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23.
Auf der Höhe der Zeit.

»Ich hatte schon so viel gehört von der Wiederherstellung Ihres Domes,« sagte ein Herr an der Wirthstafel unseres neuen Hotels, »aber ich gestehe, meine Erwartungen sind übertroffen. Das ist jetzt eine der schönsten Kirchen im ganzen Preußenlande. Auch in der Stadt hat sich viel verändert. Nehmen wir nur all die hübschen geräumigen hellen Läden. Ich kenne größere Orte, wo man sie nicht so hat – und überall Schaufenster. Davon war in alter Zeit keine Rede. Dann die Gaserleuchtung, besseres Steinpflaster, hie und da, hübsche Anfänge von Trottoir – freilich noch vereinzelt, aber genug, um zu weiterer Nachfolge aufzufordern – und vor Allem gewiß so Manches, das Werthvollste vielleicht, was man nicht gleich beim ersten Gange über die Straße bemerkt. Irrte ich, oder kann das wirklich eine Lokomotive gewesen sein – der Pfiff, den ich erst hörte?«

»Wann war es denn?«

»So etwa um Sonnenuntergang, auch Vormittags schon. Da mag es gegen Zwölf gewesen sein.«

»Es ist das Zeichen für die Arbeiter einer Fabrik.«

»Ich glaubte schon, Sie hätten Eisenbahn, aber nur für die Ortsangehörigen, da ich doch – seit lange zum ersten Mal wieder – das Vergnügen genoß, mit der Post zu fahren die zwei letzten Meilen hierher.«

»An uns liegt die Schuld nicht. Wir schicken Deputationen auf Deputationen. Die erste hat der Herr Minister mit Wohlwollen empfangen: er interessire sich dafür, erkenne das Bedürfniß gerne an, nur – und da hat der Herr Minister gemüthlich die eine Hand in die Tasche gesteckt – die Staatsregierung sei leider nicht in der Lage, die Geldmittel zu bewilligen. Das war aber noch der Vorige. Der Neue erklärte einer andern Deputation kurz und bündig, bei der nächsten Vorlage stände unsere Bahn »in erster Reihe«. Das waren seine Worte. Nun können Sie sich denken, mit welchem Jubel dieser glänzende Erfolg aufgenommen wurde. Seitdem ist nun wieder Alles still, ja die Schwarzseher, die es hier wie überall giebt, fangen schon an, zu munkeln, ob nicht am Ende einige andere, selbstredend auch sehr nöthige Projekte noch ein Endchen vor »der ersten Reihe« gestanden haben dürften. Aber Sie werden nur lachen über unsere Kleinstädtereien. Erzählen Sie uns jetzt einmal von Ihren Weltfahrten.«

»Weltfahrten? Ich weiß nicht ...«

»Sie waren diesen Winter wieder in Italien?«

»Nur einen Theil des Winters, ich bin dann noch in Aegypten gewesen.«

»In Cairo?«

»Allerdings, aber ich habe da nicht stillgesessen. Ich bin den Nil hinauf gefahren, so weit es geht.«

»Und jetzt kommen sie geraden Wegs von den Pyramiden, Mumien und Nilkatarakten zu uns?«

»Bis nach Ostern waren wir in Rom, im Frühjahr am Gardasee, und jetzt wollen wir nach Interlaken. Meine Frau und Kinder sind schon da. Ich mußte aber doch erst einmal wieder sehen, wie es zu Hause geht und steht. Mein Verwalter schrieb mir von einigen durchgreifenden Wirthschaftsänderungen, die er sehr empfiehlt. Mündlich wird man sich doch eher klar über so etwas.«

»Und da machten Sie nur so beiläufig auf der Tour von Oberitalien nach der Schweiz den kleinen Abstecher nach Altpreußen. Wir haben den Profit.«

»Theilen wir uns darin. Ich wäre nicht hier, ich hätte ja gelassen vorbei dampfen können, ohne das dringende Verlangen, den Ort einmal wieder zu sehen, wo ich meine glücklichsten Jugendtage verlebt.«

»Und das Alles nennen Sie noch keine Weltfahrten? Freilich auch bei uns haben sich die Begriffe in dem Punkt nicht unwesentlich geändert. Noch als meine Schwester, die jüngste, unverheirathete, eine Freundin in England besuchen wollte – und das ist gar nicht einmal so sehr lange her – da wurde Familienrath gehalten, der Fall sehr ernst in Erwägung gezogen. Die Mehrheit hatte denn doch schließlich nichts dawider, nur die gute Großtante Sabine war außer sich. »Aber da muß sie ja auch über's Wasser?« »Anders wird es wol nicht gut gehen, oder sie müßte weit umfahren, und dann käme sie am Ende doch nicht hin.« »Kind,« sagte die Großtante, »wenn du mir folgen willst, bleibe doch ruhig hier. Es ist ja hier auch so hübsch, und es geschieht so schon so viel Unglück. Neulich ist schon wieder ein Junge im Garnseeer See ertrunken.« – Wenn wir als Knaben eine Ferienreise nach Graudenz, Marienburg, nach Elbing oder gar nach Danzig unternahmen, war das wunder was, und wir erlebten hundertmal mehr Abenteuer, als jetzt der kleine Alborn, der eben von seinem ersten, doch etwas größeren Ausfluge in die Welt zurückgekehrt. Es macht auch Niemand viel daraus, er selbst am wenigsten. Eine Wasserfahrt nach dem Mariensee amüsirt ihn noch gerade so wie vorher. Ja er versichert, es sei hier schwieriger zu steuern, wie auf dem großen Ocean, wo man doch nicht immer gleich wieder vorne anhackt, wenn der Kahn nur eben hinten abgestoßen. Er tanzt noch in alter Anspruchlosigkeit mit unseren hübschesten Blondinen, als hätte er nie eine Schwarze oder Kupferfarbige gesehen. Und seine alten Lieblingsgerichte verschmäht er durchaus nicht, als hätte er nie steinharten Schiffszwieback in seinen Thee gebrockt – als wäre er nie auf jenen glückseligen Inseln gelandet, wo sie allerdings nur frisches Wasser einnahmen, und streng nach Ordre keine Zeit und Gelegenheit blieb, table d'hôte zu speisen mit den Herren Menschenfressern.«

»Dieser bescheidene kleine Weltumsegler ist wol Seekadet?«

»Natürlich.«

»Alborn nannten Sie ihn?«

»Jawol.«

»Aber das ist kein Sohn von Justus Alborn und unserer Jugendfreundin Agathe.«

»Nein, von ihrem Vetter.«

»Dem Gutbesitzer?«

»Ja wol.«

»Hat der nicht Maraiten?«

»Ganz richtig.«

»Und wie geht es denn Justus' Schwager, dem Landwirth? Ferdinand, denke ich, hieß er?«

»Und heißt noch so. O, das ist der arrangirte Mann. Er hatte erst gepachtet, dann kaufte er dasselbe Gut: vor seiner Zeit das schlechteste im Kreise, ist es jetzt eines der besten.«

»Hat er nicht auch ein neues Wohnhaus gebaut? Wer erzählte mir das doch?«

»O ja, ein sehr hübsches Haus.«

»Ich kenne keine Gegend, wo man auf dem Lande so viel neugebaute Häuser sieht.«

»Sie werden auch nicht viele Gegenden kennen, in denen bisher so viel erbärmliche alte Häuser auf den Gütern waren.«

»Er hat eine Tochter des Karstöfer geheirathet?«

»Die Martha – freilich.«

»O die kenne ich ja auch noch. Das war ein allerliebstes Mädchen.«

»Und es ist eine eben so nette und treffliche Frau.«

»Daß Max Baurath geworden, werden Sie dann auch wol wissen? Den Leutchen geht es ja gut, nur haben sie keine Kinder. Für sie eine große Entbehrung, im Allgemeinen hat es doch noch immer nicht den Anschein, weder daß die Menschheit als solche, noch die Familie im Besondern auszusterben in Gefahr wäre.«

»Ist nicht Einer verunglückt?«

»Daß ich nicht wüßte. Der Adolph ist früh gestorben, aber »verunglückt« kann man nicht sagen. Er war Privatdocent, die Sache zog sich nur zu sehr in die Länge, und so nahm er eine Lehrerstelle an. Wer indessen einmal öffentlich gesprochen, sei es auf dem akademischen Katheder, auf der Kanzel, auf der Volksrednerbühne oder einer andern Bühne, – wenn der es auch ein paar Jahre aushält ohne den alten Trieb – er wird immer wieder rückfällig, so lange der Mann bei frischer Kraft ist: hat mir mal ein Universitätsprofessor selbst gesagt. So kam das Jahr Achtundvierzig. Adolph wurde in's Frankfurter Parlament gewählt, saß auf der Linken, ging mit dem »Rumpf« mit, nahm am badischen Aufstande Theil, zog sich nach Amerika zurück, lebte dann in Zürich, docirte dort wieder an der Universität, schrieb ein gutes Buch und erhielt, als Alles vergeben und vergessen, einen Ruf als Professor nach Königsberg. Der Elbinger Gymnasiallehrer hätte es freilich kürzer gehabt, wäre er direct über's frische Haff auf die Albertina losgesteuert. Schade, daß die Freude nicht länger dauerte, nachdem die Eltern so viel Kummer und Sorge um ihn gehabt.«

»Karl, den ältesten der Brüder, habe ich zuletzt gesprochen, wie er eben nach Westfalen versetzt war. Jetzt ist er ja wol in Trier?«

»Der ist in Trier. Aber es heißt, er soll auch da nicht bleiben. Das ist nun mal bei den Beamten so: die werden hin und her geworfen. Er ist ein Streber ... mißverstehen Sie mich nicht – nur in gutem Sinn, sonst wäre er jetzt schon mehr.«

»Geheirathet hat er nicht?«

»Doch, er hat noch spät geheirathet, leider die Frau im ersten Wochenbett verloren. Eine der Schwestern ist bei ihm, die Klärchen. Wie er Regierungsrath in Münster war, und die Eltern ihn besuchten, hat sich Eveline dort verlobt.«

»Ich weiß, ich weiß. Die hat ja ein großes Glück gemacht. Wie man mir sagt, kann sie mit den Lokomotiven aus ihres Mannes Werkstätten durch halb Europa fahren.«

»Nur nicht nach ihrer Vaterstadt – aber ich will nur nicht wieder davon anfangen. Sonst denken Sie, wir spekuliren auf Ihr gewichtiges Fürwort.«

Der Fremde lachte: »Ich würde wenig dafür thun können. Aber was in meinen schwachen Kräften steht, geschieht gewiß, schon um Frau Evelinens willen, die ich ja auch noch als Evchen gekannt, und es war ein liebenswürdiges Evchen. So ist die Familie also in der ganzen Welt zerstreut?«

»Ein respectabler Stamm blieb immer noch der alten Heimath getreu, und sie haben sich dafür auch von auswärts rekrutirt. Bernhard, den Jüngsten, hat der große Schwager unter seine Flügel genommen. Er wurde auch Techniker, war auf Reisen im Auslande, dann eine Zeit lang Disponent einer Fabrik zu Eßlingen in Würtemberg, und verlobte sich da. Die ganze Familie der Braut setzte sich aber auf die Hinterbeine. Dem kleinen Bernhard, der jetzt einen halben Kopf größer wie mein Kleiner, den wir den »langen Pflaumenschmeißer« nennen, und sich eines Bartes erfreut – ich hätte an dem dritten Theil genug – that das sehr leid. »Wenn jedoch die ganze Familie in mich verliebt wäre, und das Mädchen wollte mich nicht,« sagte der kleine Bernhard – »das würde mir noch mehr leid thun.« Und – wie sein Großvater schon immer gesagt: »es giebt zweierlei Arten Schwabe'mädele: die einen haben blaue, die anderen schwarze Augen, die einen haben lange, die anderen kurze Zöpfe, aber ihren eigenen Kopf und ihr eigenes Herz haben sie alle – dieweil geschrieben steht: du sollst Vater und Mutter verlassen und deinem Manne anhangen.« Und so etablirt sich Bernhardchen hier bei uns mit einer Fabrik von Ackerbaumaschinen und führt das Mädel heim. Die Dampfpfeife, die Sie gehört, war die von seiner Fabrik. Aber was will das Alles sagen in jetziger Zeit? Ich werde Ihnen mal einen andern Fall mittheilen. Wir hatten ein sehr gutes Mädchen im Dienst. Meine Frau war zufrieden, wie lange mit keiner. Zu unserm großen Bedauern wurde es ihr zu schwer, sie konnte es nicht durchsetzen, sie war zu schwächlich. Und da sie schon immer sehr geschickt mit der Nadel, erlernte sie die feine Schneiderei und bekam denn auch bald eine Stelle auf dem Lande bei einer adeligen Familie. Wir hatten lange nichts von ihr gehört – da trifft sie meine Frau in den letzten Pfingstfeiertagen. Sie war hier bei ihren Verwandten zu Besuch.«

»Wie geht es dir denn?« »O sehr gut.« Und nun kann sie die Herrschaft nicht genug rühmen und kann den Herrn Prediger auch nicht genug rühmen. Sehr fromm war sie schon von jeher. Wenn sie nur irgend abkonnte, ist sie immer in die Missionsstunden gelaufen. Und vom Herrn Pfarrer kommt sie auf den Küster und vom Küster auf die Frau Küsterin – was das für liebe Leute sind, und wie gut gestellt! Küsters haben eine Tochter, die ist an den Brenner verheirathet. Mit der verkehrt sie am liebsten. Aber Küsters haben nicht blos den Herrn Brenner zum Schwiegersohn, sie haben auch einen leiblichen Sohn. Kurz sie wird roth und blaß, schlägt die Augen holdselig nieder. Wie sich von selbst versteht: der Sohn ist ein Ausbund von Vortrefflichkeit, und sie seine Braut. »Was ist er denn aber sonst noch?« »Missionär!« »Was? Und den willst du heirathen? Hast du dir das auch überlegt? Willst du denn mit ihm mitgehen?« »Er ist schon voraus, ich werde ihm aber nachreisen. Er wollte doch erst selbst sehen an Ort und Stelle, wie da Alles ist und mir dann schreiben. Ich habe auch schon zwei Briefe.« »Wo ist er denn?« »In Afrika.« »Und es gefällt ihm?« »O ja, es soll ja sehr nett sein in Afrika, ich sollte nur in Gottesnamen nachkommen.« So giebt sie ihre Stelle als Schneiderin wieder auf und wird dem Manne ihrer Wahl zum Herbste folgen. Wie die Mädchen früher von Garnsee nach Graudenz, von Riesenburg nach Rosenberg, von Neuenburg nach Meve heiratheten, heirathen sie jetzt ein bischen nach Afrika. – Aber wenn Sie nach Berlin kommen, verrathen Sie um Gotteswillen nichts davon. Wir kriegen im Leben keine Bahn, wenn die Herren an maßgebender Stelle Wind davon haben, wie sehr wir auch ohne das schon auf der Höhe der Zeit.«

*

 


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