Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4.
Die kleine Eva.

Evchen, unserm bildschönen Evchen flogen alle Herzen zu – und es war ja auch ein liebes aufgewecktes Kind, ein Feuer und Leben! Aber – aber – aber – Evchen war eine kleine Schmeichelhexe. Ehe du's dir versahst, schlängelte Evchen sich an – hopp! saß sie auf dem Schooß, der weiche kleine Arm fuhr um deinen Nacken: das Händchen faßte den andern weichen kleinen Arm bei dem andern feinen Handgelenk, daß es war, als schnappte eine Falle zu, ihre Wange schmiegte sich an deine Wange, und dann sagte sie nur: »o bitte, bitte!« Doch das war schon ganz genug – mochte sie noch so viele Fehler haben, man sah nichts mehr davon: eine Art Augenschwäche, der Väter schöner Töchter oft unterworfen sein sollen, versichert ein erfahrener Augenarzt – Mütter weniger. Die anderen lieben Quälgeister wußten dies auch sehr gut, und wenn etwas ausgequestet werden sollte, mußte allemal Evchen vor.

Aber Evchen war eine kleine Naschkatze. Betreffen ließ sie sich zwar nie: trat die Mutter unvermuthet in die Stube, so war das Höchste, was sie sah, daß Evchen eine Wendung machte, jedoch nicht nach dem Teller mit Zuckerwerk hin, o nein – weg davon, ganz weg, und dazu sang sie so unbefangen, als hätte das liebe Kind beim guten Gewissen selbst Singstunde.

Aber Evchen war so verschämt. Blickte man sie scharf an über Tisch, das ertrug unsere zarte Kleine gar nicht, schnell fuhr das Gesichtchen herab und blieb unter dem Tischtuch, bis sie's nicht mehr aushalten konnte – vor Lachen, und über und über roth, wie eine Maikirsche, verstohlen wieder aufguckte – das war so ihre Weise, sich zu schämen.

Aber Evchen stand viel zu viel vor dem Spiegel, und dann hieß es wol: »spielst du schon wieder Menagerie?« »Wie so?« »Nun – du willst den kleinen Affen sehen.« Tiefen Eindruck machte das indessen nicht, und wenn es Jemand war, gegen den sie's sich herausnehmen durfte, so schaute sie mit ihren Leuchtkugelaugen groß auf, daß man sah, es war ihr Ernst damit, und sagte: »o ich weiß doch, daß ich sehr hübsch bin.«

Aber Evchen war ein kleiner Wildfang, was viele Enkeltöchterchen der Mutter aller Mütter doch gar nicht sind. Höher als sie schaukelte sich Niemand, oder sie erfand ganz neue Arten von Schaukeln, die wagerechte Schwingungen machten, wie Haus-, Stuben-, Stall- und Gartenthüren, an denen sie aufstieg und sich anklammerte, während das abstoßende Füßchen den Schwung gab. An keinem Kieshaufen lief sie vorbei, ohne nicht tüchtig oben daraus herumzutrampeln, und ritt mit den Knaben um die Wette die unbändigsten Steckenpferde.

»Wer pfeift schon wieder? Du – Evchen? – Bist du denn ein Kutscher?«

Einmal soll sie sogar rittlings auf einem Treppengeländer hinabgerutscht sein – ohne Quersattel! Allein das Gerücht bedarf der Bestätigung, die Menschen reden ja so viel.

Beim Brautspielen aber war die kleine Eva nie zufrieden mit einem andern kleinen Mädchen, das als Abzeichen ihrer männlichen Rolle ein weißes Tüchlein um den Arm gebunden hatte: entschieden verlangte sie, ihr Bräutigam und Tänzer müsse ein wirklicher Junge sein, wogegen sich, strenge genommen, auch nichts einwenden ließ.

Aber Evchen hielt schlecht Farbe in der Freundschaft. Eines Morgens sah man sie noch mit ihrem besten Kumpan untergefaßt gehen, wie Mann und Frau. Am selbigen Tage Nachmittags erwartet sie nun ihr Treuer wieder aus dem Spielplatze. Sie erscheint auch, als der Freund aber die Freundin einem seiner Bekannten zeigt und freilich nicht gar fein den Finger ausstreckt, wie ein kleiner Wegweiser: »da kommt sie«, erwidert Evchen schnippisch: »nein – da geht sie!« spaziert kühl weiter und schielt nur ein ganz klein wenig hinüber nach den verdutzten Jungen, über eins von den großen grünen Schirmblättern fort, wie sie in der Saison stark als »Knicker« getragen wurden. Denn das mußte man Evchen wieder lassen, sie verstand es, für ihren Putz in der einfachsten Weise zu sorgen. Ein Veilchenstrauß, ein Röschen, ein paar Kornblumen, eine Dolde grellrother Ebereschbeeren lose in den Huschkopf gesteckt – und das kleine Ding sah reizend aus.

Heute zu Tage, wo auch schon die Kinder Alles auf's feinste haben müssen, würde das nun freilich nicht mehr so gehen. Mein am Ende kommt es wol auf dasselbe hinaus. Schöne Kinder jeden Alters können in dem Punkt mit sich machen was sie wollen, und sie gefallen uns doch.

*

 


 << zurück weiter >>