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III.
Auswärts und daheim.

»Gott grüß' dich wieder Vaterhaus!«

 

1.
Der Landmann.

Die auswärtigen Kinder waren verpflichtet, regelmäßig zu schreiben, und zur Beantwortung ihrer Briefe erübrigte der Vater, wenn er auch sehr viel zu thun hatte, immer noch ein halbes Stündchen. Blieb ihm durchaus keine Zeit, dann schrieb die Mutter, hatte die aber auch durchaus keine Zeit, so schrieb sie – doch. Ja wenn Alles ruhig herging, kam ihre Feder gar nicht recht in Fluß; es schien, die Briefe geriethen der Hausfrau am besten bei einem frischen, fröhlichen Kinder- und Wirthschaftstrubel rings um sie her.

So blieb auch mit den in der Ferne Weilenden der Zusammenhang erhalten. Karl war auf der Universität, und bald nach seinem Abgange hatte Ferdinand gleichfalls das elterliche Haus verlassen. Sein Studientrieb war kein starker gewesen, namentlich schien er gegen die alten Sprachen einen natürlichen Widerwillen zu empfinden. Der Lehrer, der die schöne Aufgabe hatte, den Knaben in die klassischen Alterthümer einzuführen, war genöthigt, ganz neue Nummern zu gebrauchen, um dem wahren Werthe seiner Uebungsarbeiten gerecht zu werden. »Vier bis Fünf« genügte nicht immer – abwärts gerechnet. Um so mehr Antheil und Scharfblick zeigte der schwache Lateiner für Dinge des praktischen Lebens. Wollte die Hausfrau wissen, wo ein Huhn, das die schlechte Gewöhnung hatte, die Eier zu verschleppen, sich heimlich sein Nest angelegt oder interessirte es jemand, welches der Miethspferde, mit denen spazieren gefahren wurde, das beste sei, da konnte Ferdinand allemal Auskunft geben. Und war der Junge sonst nirgends zu finden, so brauchte man nur zum Nachbar zu schicken, der neben seinem bürgerlichen Gewerbe noch eine Ackerwirthschaft betrieb; auf dessen Feldern, in seinen Ställen und Scheunen war Ferdinand's zweite Heimath.

Bei so entschieden anderer Neigung des Knaben standen die Eltern davon ab, ihn den ganzen Kursus der gelehrten Schule durchmachen zu lassen. Als er die oberen Klassen erreicht und confirmirt war, gab der Vater seinen Bitten nach, er durfte zur Landwirthschaft übergehen, und der Oberverwalter einer ausgedehnten Herrschaft übernahm es, ihm die nöthige Anleitung zu geben.

Dieser brave Mann hatte leider kein günstiges Vorurtheil für junge Herren aus der Stadt; ohnehin war er strenge in seinen Anforderungen. Nur so auf den Feldern herum zu spazieren, nur hier oder da zuzusehen, wo es eben Vergnügen machte – davon war keine Rede; jeder Lehrling mußte tüchtig heran mit seiner ganzen Kraft, der unbemittelte Eleve wie der vornehmste Volontär. Sie alle hatten auch abwechselnd die Fuhren zu geleiten, wenn Getreide oder andere Produkte versandt wurden, und bekamen dabei oft Nebenaufträge aus dem häuslichen Gebiet, wie sie sich immer auf dem Lande finden, wenn »Gelegenheit« nach der Stadt ist, aber den jungen Leuten nicht allemal erwünscht sind – etwa Hühneraugenpflaster aus der Apotheke, Stecknadeln und Schürzenband vom Krämer zu holen, oder das neue Kindermädchen als Rückfracht mitzunehmen. Ebenso erschien es mehr nützlich als interessant, vom Morgen bis Mittag, und von Mittag, bis Abend »bei den Ställen beschäftigt zu sein.« So umschrieb Ferdinand in einem Briefe zartfühlend die ihm übertragene Aufsicht beim Verladen jener bekannten, für das Gedeihen der Felder höchst wichtigen, aber nicht anmuthigen Stoffe, in deren Nähe allerdings Niemand ohne dringende Veranlassung so lange verweilt haben würde. Jetzt mußte er auch das Frühaufstehen lernen. Im Sommer fing der Tag, schon um drei Uhr an. Der großen Anstrengung noch nicht gewachsen, kam der neue Eleve dann stets todmüde nach Hause, und ein paarmal wurde der bei Tisch Vermißte in tiefem Schlummer auf dem sogenannten Kanapee der Inspektorstube gefunden; der einladende Ruheplatz war nach des Brennereischreibers Versicherung »mit versteinerten Kalbshaaren gepolstert.« Die Scherze dieses Herrn fielen, beiläufig bemerkt, oft noch kräftiger aus. Dagegen war der Umgangston in der Familie des Verwalters der Art, daß der Mutter Stoßseufzer ungerechtfertigt erschien: »ach Gott, wenn er uns nur nicht verbauern möchte!« Im Ganzen überzeugte sich unser guter Sohn, daß die berufsmäßige Erlernung der Landwirthschaft doch sehr verschieden von einer Vergnügungsfahrt auf das Land während der Schulferien. Er hielt aber wacker »die Ohren steif«, that unverzagt seine Pflicht, wurde bald als brauchbar und zuverlässig erkannt und durfte hoffen, sich einst in der gewählten Laufbahn recht glücklich zu fühlen. Blieb auch immer noch Manches zu wünschen, im Wesentlichen fand er keinen Grund zur Klage, und ein Maler, welcher die Unzufriedenheit mit sich selbst und der Welt in einem allegorischen Bilde darstellen wollte, hätte ein anderes Modell wählen müssen als die Figur unseres angehenden Landmanns, mit der gedrungenen Kraft seiner derben Schultern, mit dem blühend frischen Gesicht, das im Hochsommer noch einen Extraauftrag von Roth und Braun erhielt, und mit diesen großen blauen Augen, strahlend von Jugendfeuer bei aller verständigen Umsicht, dann und wann belebt von einem Aufblitz satirischer Schalkheit, die den gebornen Praktiker verrieth. Denn so »stramm aufgezäumt« der gesetzte junge Mann sich im Allgemeinen hielt, der Anblick eines bockbeinigen Pferdes und eines liederlich bestellten Ackers, oder die landwirthschaftlich dummen Fragen sehr kluger Städter machten ihn doch lachen, und dann zog sich sein Mund noch immer so in die Breite, er zeigte noch immer einige Neigung, sich in's Ohr zu schnappen, wie einst, als ihm Meister Nickelhardt das Maß nahm zum Habit »für den Hans Engelrecht«.

*

 


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