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2.
Abendbeleuchtung.

»Störe ich dich auch nicht?« »Versuchen wir's. Wenn du mich störst, kann ich dir's ja sagen.«

Und Max holte noch einen Stuhl. Er hatte einige Schreibereien abzumachen, vor denen sich der Herr Baumeister immer etwas »schob«, am Tage kam er schon nie dazu.

Ottilie störte ihn gar nicht. Was sollte ihn auch stören, wenn die junge Frau still neben ihm saß mit ihrer Handarbeit? Von Zeit zu Zeit wechselte sie anmuthig die Stellung oder sie schöpfte tiefer Athem; aber es klang nicht wie ein Seufzer, und es war auch keiner, weder ein Seufzer der Klage noch der Sehnsucht. Alles was sie wünschte, hatte sie. Es war nur ein vollerer Athemzug dieser glücklichen gesunden jungen Brust. Im Sessel zurückgelehnt, sann Max einen Augenblick nach, da machte sie auch eine kleine Pause, legte die Hände mit dem Nähzeug in den Schoß und sah ihn an. Ein feiner Schatten an der Schläfe hob seine Stirn so wunderhübsch hervor – für ihr Leben gerne hätte sie ihm die eine verwegene Locke sanft auf den Scheitel zurückgestreichelt. Das waren die beiden einzigen Fehler des süßen Mannes: er hatte zu viel zu thun und cultivirte sein starkes, mitunter etwas störriges Haar nicht genug. Aber die willensstarke junge Frau blieb fest, sie wollte ihn ja nicht stören! Und nun – störte sie ihn doch – sie stand auf. Wollte sie ihn verlassen? Er sagte kein Wort, nur sein Blick schien nicht gerade ängstlich oder vorwurfsvoll, doch ein wenig überrascht nach dem Grunde dieser gefühllosen Handlung zu forschen. »Ich will mir mein Taschentuch holen.« »Ach so.« Und da sie es nicht weit zu suchen brauchte, auch gleich wieder treu an seine Seite zurückkehrte, lag keine bösliche Verlassung im Sinne des Gesetzes vor. Ein stiller warmer Händedruck besiegelte das frohe Ereigniß der Wiedervereinigung. Und wieder lief die Feder knisternd über das Papier. War die Seite voll geschrieben, so hielt Ottilie das Sandfaß schon in der Hand, streute über, Max ließ den blinkenden Streusand in die Büchse zurückgleiten und schrieb weiter. Wieder fädelte die junge Frau ein, nachdem sie den Faden zwischen beiden Händen gespannt, mit dem einen Finger angeschlagen, etwa wie die Saite eines Instruments beim Stimmen; dann knotete der Faden nicht so. Wieder ließ die Lampe ein leises, ungemein geschäftiges, ja sich überstürzendes Gluckern im Oelkästchen hören, wieder erholte sich ihr Schein, der etwas matter zu werden anfing, wieder hurtiger tanzten oben an der Decke, gerade über dem Cylinder, die luftigen Halbschatten ihren Ringelreigen, und der lange schmale Lichtstreif, der durch die halboffene Thüre in das andere Zimmer fiel, schien lauschend vorzudringen, ohne mehr zu erspähen, als daß es da dunkel war.

Die Uhr tickte, der Pendel schwang mit einer gemächlichen Angemessenheit, als wollte er jede Sekunde dieses traulichen Stilllebens von Grund aus durchkosten – und doch flogen die Stunden. Wie lange war es denn her, daß Ottilie die Blumen vom Fenster weg setzte und die Laden zumachte? Den zweiten Ladenflügel, der sich mit einem leichten Krachen entfaltet, schon in der Hand, sah sie noch einmal hinaus. Wie oft hatte Max diesen oder doch einen ganz ähnlichen Blick aus seinem Elternhause gehabt nach der Kirche hin! Und wenn er schaute, wie das Polygon des hohen Chors, zur Seite die schlanken Wendelthürmchen, dann das Dach des Domes, das Schloß, der hochragende Glockenthurm – all diese wohlgegliederten großen dunkeln Massen sich scharf wie im Schattenriß auf dem hellen Abendhimmel absetzten, mochten da nicht schon in träumerischem Staunen und Sinnen die ersten unbewußten Keime gelegt sein zu späteren reiferen Neigungen und Gaben, die über seinen Lebensgang entschieden und ihn – auch an ihr Herz geführt? Das wirre, lärmende und klagende Geschrei der Dohlenschwärme war verstummt. In ferner Höhe durchschnitt noch hie und da ein schwarzes Flügelpaar den transparenten Goldglanz des Himmels. Endlich erreichten alle den Kirchthurm. Auch die Nachzügler hatten die voranfliegenden eingeholt und sich immer zwei und zwei vereint, ehe sie das ersehnte Asyl aufnahm. Und nun erst schloß die junge Frau den Laden ganz, nicht ohne eine gewisse Beruhigung. Ueberall sah sie Sinnbilder ihres eigenen Glückes, ihrem liebreichen, mehr als je mitfühlenden Herzen that wohl, daß auch diese armen kleinen Geschöpfe Gottes nun geborgen waren. Der obere Querriegel ging nicht immer so leicht zu, heute machte er keine Schwierigkeiten, und der letzte kleine Riegel, der unten in das Fensterbrett eingriff, knackte ausdrucksvoller, wie andere Fensterriegel zu knacken pflegen. Es war, als wollte er sagen: »Gute Nacht, du große Welt da draußen – in unserm behaglichen Nest fängt des Tages schönster Theil erst an.« Das mag gegen Fünf gewesen sein. Die Tage nahmen mehr und mehr ab. Und was schlug es jetzt? Eins ... zwei ... drei ... Viertel? Wahrhaftig schon voll Acht. »Dann ist es die höchste Zeit, ich wollte noch die Christiane ausschicken. Ich werde unterdessen nur selbst decken, das wird das Beste sein, sonst wird es zu spät.«

Wie Ottilie hin und her ging mit geräuschloser Geschäftigkeit – wie der Schlüsselkorb nur im zartesten Pianissimo klirrte, wie sie die Theeserviette auseinander nahm, überbreitete, glatt strich, ein paar Schritte zurücktrat zum prüfenden Blick und dann nochmals die Zipfel zurechtzog, wie sie die Tassen aufstellte und die Löffel dazu that, die ihren Namenszug in nicht schärferen Linien zeigen konnten, wären sie im Augenblick erst aus der Hand des Graveurs gekommen, wie die kleine Frau die große Schürze umband, in die sie, wie in die neue Hausfrauenwürde, gleichsam erst hineinwachsen sollte, wie die zitternden Strahlen des besonders angezündeten Lichtes im Wetteifer mit dem so weit nicht ausreichenden Lampenschein ein malerisches Halbdunkel hervorzauberten – nicht zum Nachtheil des hellbeleuchteten Gesichts der jungen Frau, die unverwandt vor sich hinblickte auf die Schüssel, deren leicht rüttelnder Ton verrieth, daß sie etwas, aber nicht was sie aufschnitt: – das Alles erfüllte den jungen Herrn des Hauses mit heimlichem Behagen, obwol er nicht darauf achtete. Es war gleichsam nur die Seele dieses liebevoll sorglichen Schaltens und Waltens um ihn und für ihn, die zu seinem Herzen sprach.

Nun fing auch der Theekessel zu singen an. Zuerst war es ein dünner lang gezogener, schwacher müder Ton, als erwachte der Kessel aus tiefem Schlafe und müßte sich erst besinnen, wo er sei und was er eigentlich sollte. Ein weißliches Fädchen schwebte über dem Kessel, dehnte und reckte sich, zerriß und verflog. Ein zweites und drittes folgte, es kamen immer mehr. Dann wurden es blaßgraue Wölkchen, die rascher und rascher aufwirbelten, kaum da, auch schon wieder fort, in unaufhörlich flüchtigem Spiel kreiselten, sich haschten, verschwanden und wieder da waren. Ottilie, fertig mit ihren Anordnungen, saß auf dem Sopha. Und immer lauter, schneller, ungestümer sang der Kessel, lustig und melancholisch zugleich ... es ließ sich reizend dabei träumen – bis mit kreischendem Zischen das kochende Wasser überlief. Da sprang die junge Frau auf und löschte den Spiritus aus.

»Lieber Mann, der Thee ist bereit ... Der Thee ist fertig, lieber Max ... Aber so komm' doch, der Thee wird ja kalt.«

Als Max noch bei uns war, ließ er auch manchmal warten und mußte öfter gerufen werden. Die junge Frau schien ihn besser erziehen zu wollen – für's Erste mit nicht allzu strengen Mitteln. Da er noch immer nicht hörte, fühlte er den sanften Druck ihres Köpfchens auf seiner Schulter. Sie hatte sich wieder zu ihm gesetzt. »Hier ist ja mein Platz, wer will ihn mir rauben? Kommst du nicht zu mir, so komm' ich zu dir. Wozu hat man denn einen Mann?« ... »Ich komme ja schon, ich schreibe nur den Satz zu Ende.«

Und sie tranken ihren Thee und aßen Butterbrod mit kaltem Braten »aus dem gelobten Lande«, zu dessen fruchtbarsten Districten, alter Familienüberlieferung zufolge, auch die elterlichen und schwiegerelterlichen Speisekammern gehören.

Während abgenommen wurde, waren sie in der andern Stube. Ottilie ging schon immer gerne Arm in Arm, die Schwester mit dem Bruder, die Tochter mit dem guten Papa, die Freundin mit der Freundin. Aber Niemand, – auch nicht die geliebte zweite Vorsteherin der Pension, die wie eine Schwester zu ihr war, ja selbst der Bräutigam hatte es noch nicht so gut verstanden, sie zu führen – wie jetzt ihr lieber Mann. Als Verlobter ging er an ihrer linken Seite, nun ging sie links, er zog es vor, die rechte Hand frei zu haben, und benutzte diese Freiheit augenblicklich dazu, ihre Rechte mit freundlichem Griff von oben her nochmals zu fassen, wie zu doppelter Sicherheit des theuren Besitzes – obwol eine der Gewißheit sehr nahe Wahrscheinlichkeit dafür sprach, daß die liebe kleine Hand vorläufig gar nicht daran dachte, los zu lassen. So gingen sie auf und ab. Sie hatten etwas über die Geschichte der Baukunst zu lesen angefangen und wollten nachher mit der Lectüre fortfahren. Die junge Frau glaubte noch lange kein Blaustrumpf zu sein, wenn sie die »geistigen Interessen ihres Mannes« zu theilen sich bestrebte. Zunächst wurde das gestern Gelesene wiederholt. Ottilie hatte gut behalten und das Meiste richtig aufgefaßt. Ein paar technische Ausdrücke erklärte ihr Max noch einmal. »Ja ja, jetzt hab ich's capirt. Du weißt einem das aber auch Alles so wundervoll klar zu machen – laß dich umarmen!« Und da Max nicht ausschließlich Theoretiker war, sondern praktischer Baumeister und auch der Mann seiner dankbaren und so glücklich fassenden Schülerin, hatte er nichts dawider und ließ sich umarmen von seiner reizenden kleinen Frau. – Ach es war süß, sich ein wenig, ein ganz klein wenig zu fürchten vor dem Manne, den man so unaussprechlich liebte! Und allem Anschein nach fürchtete sich die junge Frau auch wirklich nur noch sehr wenig.

*

 


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