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3.
Braut und Bräutigam.

So leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage – blies ein blinder Flötist bei Alborns vor der Thür. Schon während der glückliche Bräutigam sich zum Ausgehen ankleidete, hatte er das elende Flöten gehört, ohne im mindesten davon belästigt zu werden. Und nun beim Gange die Straße entlang, war es doch genau so, als käme ein kribbelig lustiger Ruck und Zug von der Schulter aus quer über seinen Rücken hernieder und würfe ihm die Hüften taktmäßig herum, oder als marschirte ein ganzes Musikkorps mit klingendem Spiel vor ihm her – genug, sein ästhetisches Gewissen mochte sich sträuben, so viel es wollte, was half's? seine Beine mußten Schritt halten mit dem »alten Dessauer«, den der arme Blinde so erbärmlich schön zum Besten gab auf seiner orangegelben Flöte, die rostige Klappen mit Beiluft hatte.

Als Justus um die Ecke bog, kam ihm ein Leichenzug entgegen. Er versuchte sich ernst zu stimmen, brachte es aber kaum zu einem halbwegs elegischen Gefühl, und so quälte er sich nicht länger. »Wie ist's nur möglich, wie kann man jetzt sterben, wo das Leben erst recht anfängt schön zu werden!« jauchzte in ihm jener liebenswürdige Egoismus, der bei gesundester Jugendkraft im übersprudelnden Glücksgefühl gar nicht selten sein soll, selbst – auf dem Wege zur Braut.

»Das sind mal Stiefeln,« vernahm er dicht hinter sich ... »und das feine Tuch im Rock,« von einer andern Stimme, beide im Knabendiskant und begleitet von Schlarren an den Hacken abgekappter Schuhe. »Es ist ein Bräutigam,« sagte wieder die erste Stimme. – »Wie so denn?« – »Siehst du nicht, wie lang ihm das Schnupftuch zur Tasche heraushängt? und weil er so nobel geht. Ein Bräutigam muß schon immer was Patentes nehmen, hat letzt der Meister gesagt.«

Die Bemerkung war richtig. Justus ging etwas eleganter als vor der Verlobung, obwohl durchaus nicht stutzerhaft. »Das mußt du doch Agathe erzählen – es wird sie amüsiren,« und er näherte sich dem Ende der lieben Straße, die jedoch nur in der Bräutigamstopographie so hieß. Auf dem blauen Schilde des wohlbekannten Eckhauses stand ein anderer Name ... Agathe sah ihn kommen, sprang auf und eilte, ihren Justus schon auf der Schwelle des Hauses zu begrüßen.

Und wieder wie so oft setzte sich der Bräutigam der Braut gegenüber an's Nähtischchen und bat sie, ruhig mit der Arbeit fortzufahren, was er gerne sah, und, um doch auch nicht ganz müßig zu sein, spielte er mit dem kleinen Scheerchen. Das war so fein und zierlich, so scharf und blank, und spiegelte sich gar nett auf der polirten Tischplatte. Wenn Agathe das Scheerchen selbst brauchte, wand sie es ihm stillfreundlich aus der Hand, und wenn sie es nicht mehr brauchte, nahm er es sich wieder. Nur so viel auf- und zumachen durfte er das Scheerchen nicht, davon wurde es ja stumpf!

Dann gingen sie im Zimmer auf und ab, bald Arm in Arm, bald Schulter an Schulter, den einen Arm umgeschlungen, nicht mal so sehr zärtlich, dem Anscheine nach, es hatte mehr was ruhig Gemüthvolles, so zu sagen etwas Kameradschaftliches – oder Hand in Hand, die Finger nur lose in einander gelegt und die Arme nach dem Takt der Schritte schwingend, oder sie machten eine kleine Excursion in die Nebenstube, obgleich sie da ganz allein waren.

Und jetzt standen sie am Fenster, am sogenannten »Blumenfenster«, und vertieften sich in ein leises Zwiegespräch, das nach und nach einen sehr ernsten Charakter annahm. Agathe lauschte Justus' Rede mit einer Andacht, als hörte sie dem Seelsorger zu, nicht dem Verlobten, während die schlanke Hand der sinnvoll Niederblickenden auf der lockeren schwarzen Erde ihres Myrtenbäumchens herumtupfte. Endlich lächelte Justus ... So hätte allenfalls auch ein Vater lächeln – allenfalls auch ein Vater seinem lieben Kinde so die Wange streicheln können, gar sanft und zart nur mit zwei Fingerspitzen: so die Augen niederschlagen, ohne zu erröthen und doch in demüthiger Glückseligkeit – das konnte nur die Braut. Dann schauten sie noch eine Weile in stillem. Sinnen über die Straße nach dem Birnbaum hin, der auf dem Nachbarhofe dicht am Zaune stand, oder sie sahen auch wol noch etwas höher hinauf. Am wolkenfreien Himmel blinkten und zuckten einige silberhelle Strahlen, erst schwach und schüchtern, sie kamen und schwanden, aber jedesmal wenn sie wiederkamen, schien dreister und heller der schöne Abendstern.

Man sieht, wir brauchten uns nicht besonders zu bemühen um die Unterhaltung der Beiden. Doch gehörten sie auch nicht zu der Art glücklicher Liebenden, die so »schrecklich ausschließlich«, daß die übrige Welt kaum noch für sie da zu sein scheint, was von anderen bereits herangereiften jungen Leuten am übelsten vermerkt zu werden pflegt, die selbst noch unversagt, aber doch nicht gefühllos zusehen.

Nach dem Abendessen saßen wir in altgewohnter Weise um den großen runden Tisch vor dem Sopha. Alle hatten Platz, und die Kinder konnten sich auch mit ihren Lieblingsbeschäftigungen ausbreiten. – Von Tagesereignissen geriethen der Vater und Justus sehr in's Allgemeine über Staat und Kirche, Schule und Haus. Karl hielt seine etwas extremen Ansichten vorsichtiger zurück, als wenn wir allein waren; sonst machte er kein Hehl daraus. Agathe folgte aufmerksam, nicht ohne einige Beklommenheit. Der Vater sprach wie ein Mann, der aus dem Schatze reicher Erfahrung schöpft, aber während er sprach, dachte sie immer schon an das, was wol Justus darauf erwidern würde. Justus sprach erst recht wunderschön und bedeutend, er hatte den Doctor nicht umsonst gemacht. Doch während seiner Rede hing ihr Blick schon immer wieder an des Vaters Auge, forschend, was für einen Eindruck wol das Gesagte auf ihn machte, und ob es ihm auch nicht zu »philosophisch« und unpraktisch erschiene. Ohne dem lieben Mädchen Unrecht zu thun, wird erlaubt sein, zu vermuthen, daß ihre gespannte Theilnahme keineswegs nur rein sachlicher Natur. Der besten Braut und Tochter konnte nicht gleichgiltig sein, ob die Richtungen ihrer zwei höchsten Autoritäten auch nicht zu sehr aus einander gingen. Die »Richtungen« fingen an, eine große Rolle zu spielen, nicht nur an unserem Familientisch und in unserer guten alten Vaterstadt.

Die Hausfrau strickte, von Zeit zu Zeit erhob sie die Hand ruhig und doch mit einer gewissen schnellenden Bewegung: dann tanzte das Knäuel im Korbe, und der Faden wickelte sich weiter ab, oder ein einziger stiller Aufblick schlichtete eine kleine Grenzstreitigkeit zwischen einem brüderlichen Ellenbogen und dem schwesterlichen Nähkästchen, oder wehrte der schon oft verbotenen Unsitte, den Pinsel in den Mund zu nehmen. Zum Ausspülen der Farbe stand ja die alte gekittete Obertasse mit Wasser da. Und jetzt nickte sie Max beifällig zu, der ihr das Reißbrett hinhielt. Was der Junge so etwas nett nachzeichnete! Es war ein Grundriß, der zu den colorirten Kupferstichen vom Marienburger Schloß gehörte, die im Saal hingen. Plötzlich sah sie mit einiger Verwunderung, die schnell in ein Lächeln überging, auf die herabhängende Tischdecke nieder, die zwischen ihr und dem Hausherrn geheimnißvoll sich zu regen anfing, sich hob und senkte und plastisch rundete wie von einem kugelförmigen lebendigen Etwas, das darunter steckte. – Am Ende tauchte ein pudelschwarzer Krauskopf auf, ungemein vorsichtig, nachdem erst das eine, dann das andere Auge mausgrell hervorlugte, wie um zu recognosciren. Der Vater aber sprach ungestört weiter – das Gespräch bewegte sich in den höchsten Regionen der Socialpolitik, und aus dieser Höhe schien er das Gekrabbel an seinen Beinen gar nicht zu bemerken. So folgte dem Krauskopf auch Nacken, Kragen, Jacke und alles sonstige Zubehör der Rückseite eines netten strammen kleinen Jungen, der sich bäuchlings wie ein Reptil der Tiefe auf das Sophapolster hinaufwand und schlängelte. Vollends oben, machte er glatt und geschickt die Volte und saß nun mit einmal da, als müßte das so sein! Nur das verruschelte Haar, die halb und halb sich hinter dem Rücken der Mutter versteckende Stellung und das listige Schmunzeln über den gelungenen Streich verriethen den Eindringling. Es war Bernhard, der kurz zuvor am entgegengesetzten Ende des Tisches verschwand und auf allen Vieren unten durchgekrochen. Der kluge Sohn hatte die Conjuncturen benutzt, die kaum günstiger gedacht werden konnten, um sich à la Hans Igel wieder einmal in Besitz des molligen Nestkuckplätzchens zu setzen, dem er von Rechtswegen längst entwachsen. Die gute Mutter aber drückte ein Auge zu und ließ ihn ruhig sich »ankuschen« – es war doch immer ihr liebes Kind, wenn auch kein ganz kleines mehr.

Gottlob! des Vaters und Justus' Ansichten trafen ja im Wesentlichen gar glücklich zusammen, Agathe wurde immer leichter und froher zu Muth. Nun hatte sie erst recht ihre volle Freude daran, zuzuhören, und fragte dreist, wenn sie etwas nicht verstand. Ja mit wahrem Stolz, daß ihr Justus so ungeheuer viel klüger wie sie selbst, trug sie kein Bedenken, ihre Bitte um Aufklärung durch den anspruchslosen Zusatz nachdrücklichst zu begründen: »ich bin nämlich sehr dumm.« Alle mußten lachen, auch Justus selbst, und es ist noch sehr die Frage, ob er lieber eine Braut hätte haben mögen, deren Fähigkeiten und Wissen am Ende wol gar – seinen eigenen hohen Geist zu überflügeln drohte. Es machte ihm sichtbares Vergnügen, die erbetene Belehrung zu geben. Vielleicht war die Schwierigkeit, seine speculativen Ideen in allgemein faßlicher Form mitzutheilen, nicht ganz so groß, als der etwas verschwenderische Gebrauch von Kunstausdrücken des »Systems« ursprünglich glauben ließ. »Ich wollte mit einem Worte sagen, die Freiheit des Menschen besteht wesentlich auch darin, sich mit Selbstbewußtsein in die Schranken der äußerlichen Nothwendigkeit zu fügen, insofern sich diese Schranken nach ernster Erwägung als unabänderlich hinstellen. Wenn unsere Mittel nicht gleich gestatten, ein großes Haus zu machen, so lassen wir es uns vorerst in einem kleinen gefallen.« – »Die engsten Räume werden uns nicht bedrücken, wenn wir sie theilen,« erwiderte Agathe leise. Doch Justus verstand es recht gut, wie die Braut aus einem sanften Druck entnehmen konnte, den sie auf der linken Seite fühlte, obwol er rechts von ihr saß.

Nachdem nun der liebende Denker einmal von der Höhe der Speculation zur concreten Bethätigung des Systems auf diesem populären Wege herabgestiegen, wollte es ihm gar nicht mehr recht gelingen, sich wieder in den reinen Aether der abstracten Theorie zu erheben, und so mußte denn die endgiltige Feststellung des absolut besten Zustandes in Staat, Kirche und Haus abermals bis auf Weiteres offene Frage bleiben.

Es war spät geworden, Justus ging, wir begaben uns sogleich zur Ruhe.

»Es ist eine durch und durch gediegene Natur, er ist ihrer werth, er wird sie glücklich machen,« dachte der Vater, gähnte, löschte das Licht aus, drehte sich auf die andere Seite, und noch ehe das letzte Fünkchen des nachglimmenden Dochts erloschen, und der nicht unangenehme Geruch der Halbwachskerze sich ganz verzogen – weg war der Hausherr, der häufig genug an Schlaflosigkeit litt.

»Und daß er auch so nett zu den Kleinen ist!« dachte die Mutter und mußte noch still in sich hinein lachen im feierlichen Schweigen der Nacht, wie der komische Justus beim Abendbrod gesagt hatte: »nun Fräulein Klärchen, wie steht's, wie geht's? Aber wir haben uns heute wahrhaftig noch gar nicht die Hand gegeben – her mit der kleinen Pfote, wenn sie rein gewaschen ist, doch bitte, unter dem Tisch, daß es Agathe nicht sieht!« Und mitten in der schönen Heiterkeit über der Kinder harmloses Glück – weg war auch die Hausfrau!

Agathe konnte lange nicht einschlafen. Aufgeregt war sie nicht, nur so unbeschreiblich froh: sie lag ganz still, ihr Herz schlug ruhig, ihr Athem ging in gleichmäßigen, tiefen Zügen. Endlich kam der Schlummer. Ein leichtes Schaudern, fast einem schwachen elektrischen Schlage vergleichbar, durchzuckte ihre Glieder, mehr wonnig als beängstigend, sie schrak aber doch auf, als wäre sie bereits halb und halb im Schlaf gewesen. Sie faltete die Hände über der blühenden Brust, ein unergründliches Gefühl des Dankes suchte Ausdruck, allein schon schwankte das Bewußtsein, die Vorstellungen verwirrten sich. Dennoch will, dennoch muß sie es ihrem Gotte sagen, wie unendlich glücklich sie ist, schlicht und einfach, wie das Kind dem Vater: »es war doch wieder ganz reizend, du lieber treuer ... Justus!« Die Augen fielen ihr zu.

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