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5.
Ein Abenteuer.

Unsere Alborns waren in Maraiten, auch die Karsthöfer, die ihre Tochter abholten.

Martha, obwol wieder nur ein paar Tage da, kannte alle Schlüssel, wußte, wo Alles lag und stand, pflegte die Blumen, machte die Lampen zurecht, fütterte den Vogel, erzählte den Kindern Märchen und wartete nicht erst, bis sie gebeten wurde, der Hausfrau einen Gang abzunehmen. Ehe man sich's versah, weg war sie und erschien nicht eher wieder, als bis sie besorgt, was zu besorgen war.

Zum Nachmittagskaffee kamen noch einige Nachbarn, auch Pfarrers und ihre Verwandte, die Frau Rektorin, die sich mit all ihren Förmlichkeiten und all ihrer »Fischbeingrazie« denn doch glücklich die volle, eben eingeschenkte Tasse in den Schooß goß auf ihr schwarzseidenes Kleid. »Wie gut, daß noch kein Schmant d'rin war! Mit schwarzem Kaffee macht man ja Flecke aus,« tröstete sie Martha – die Einzige, die hilfreich zusprang, während die Anderen erschreckt auffuhren und Jeder nur sah, daß er nicht selbst was abbekam. »Und nun opfern Sie noch Ihr schönes Battisttuch!« »Wenn es gewaschen wird, sieht es wieder gerade so weiß und zart aus, wie vorher.« Das war so recht nach der Martha!

Bei einer Spazierfahrt im Sommer stieg ein Gewitter auf, man hatte keine Schirme mit und fuhr in der »Fregatte«, der großen offenen Britschke. Da meinte sie: »mehr wie naß werden können wir doch nicht.« »Ihr scheint in Karsthof für Alles guten Rath zu wissen.« »Mit unnützen Grillen und Sorgen geben wir uns nicht viel ab.« Damals hatte sie »ganze Himbeeren« und Erdbeeren eingekocht und schrieb oben auf das Papier das Datum, und was in den Gläsern war. »Wenn ich dann davon nehme,« sagte Frau Ernestine Alborn, »sehe ich doch gleich, daß es von dir ist, und werde mich dankbar deiner erinnern.« »Wer weiß noch, wie sie sein werden, liebe Tante?« Sie waren vorzüglich. Auch heute kamen davon auf den Tisch.

Die Damen sprachen über Milchwirtschaft, und es war von einer »Stärke« die Rede, die fast gar keine Milch hatte. »Ich lasse das Kalb doch saugen, wird es nicht satt, so gebe ich es noch zu einer andern Kuh, tränken lasse ich's nicht nebenbei.« »Versteht sich, sonst denkt das Kalb am Ende: »wenn ich aus dem Eimer zu saufen kriege, das ist ja viel bequemer und – will gar nicht mehr saugen,« bemerkte die eifrige junge Wirthin. Hierauf hörte sie wieder den Herren zu und fragte: »Steht diesmal nicht überall die spät gesäete Winterung besser? die früher zugesäete hat den Regen nicht mehr zur Zeit bekommen.« Es war ganz richtig. Ein junger Herr aus der Stadt lächelte: »Sie scheinen sich ja enorm für die Wirthschaft zu interessiren, gnädiges Fräulein, für die äußere wie für die innere.«

»Glauben Sie aber nicht, daß sie für nichts Anderes Sinn hat,« sagte Martha's Vater – »erkundigen Sie sich nur bei meinem Neffen.«

»Bei welchem?«

»Hier bei diesem – bei Hugo.«

Hugo wußte gar nicht, worauf das hinaus sollte.

»Nun, ein Fähnrich erlebt zwar Viel und Großes, auch im Frieden, aber du bist es doch erst seit vierzehn Tagen, zehn davon hast du uns geschenkt, und bei unserem stillen Leben auf dem Lande passirt einem so etwas nicht oft. Hast du das romantische Abenteuer schon ganz vergessen von Sonntag Abend?«

»Ein Abenteuer? Ein romantisches Abenteuer? Und Martha ist mit dabei betheiligt?«

»Allerdings!«

»Aber lieber Vater!«

»Ja, erzähle es nur! Dann können die Anderen sehen, ob ich die Wahrheit sage – oder – oder soll ich es erzählen? Ziere dich doch nicht, das ist ja sonst nicht deine Art. Hugo kann dir helfen. Jeder erzählt seinen Theil – das ist das Beste.«

»Wenn du es wünschest ... nun wer fängt an?«

»Immer wer fragt.«

»Also letzten Sonntag waren die Legewieser bei uns und die Cousinen aus Roßwinden. Wir tanzten, es wurde spät. Zur Abkühlung kamen wir noch auf Räuber-, Mord- und Diebesgeschichten. Endlich sind Alle fort, wir sagen uns gute Nacht, und ich will in meine Stube gehen. Wie ich die Thüre aufmache, stürzt mir ein gräßlicher Kerl mit einer Maske entgegen und fällt mir fast in die Arme. Ich schreie auf, springe zurück, da purzelt das Scheusal wie todt hin, – ich sehe, daß sich Jemand den zarten Spaß gemacht, mir eine Strohpuppe hinter die Thüre zu stellen. Und wenn ein Vetter im Hause, der auf den Lorbeeren des Fähnrichsexamens ausruht alle Morgen bis Zehn, da bedarf es keines Großinquisitors, um herauszukriegen, wem man für solche Aufmerksamkeiten zu Dank verpflichtet. Ich thue aber, als wäre gar nichts geschehen, wie er zum ersten Frühstück erscheint, als wir gleich mit dem zweiten fertig sind; wir amüsiren uns denn auch den Tag über herrlich, und ich warte ruhig bis gegen Abend, wie es so anfängt schummerig zu werden. Als die Hühner sitzen gehen, lasse ich mir von den Küchenmädchen den Hahn greifen, gebe ihm einen Löffel Branntwein ein, drehe ihn ein paar Mal herum, mit dem Kopf nach unten, daß er duselig wird – der Erzählerin rotirende Handbewegung machte die Procedur vollkommen anschaulich – schleiche mich in die Fremdenstube und setze den berauschten Hahn unter das Bett vom Verfasser des Scheusals ...«

»Erlaube, Cousinchen, jetzt ist die Reihe an mir. Schlaflose Nächte kenne ich Gott sei Dank nur, wenn ich mal durchkneipe oder durchtanze – die Kameraden sagen, ich schnarche, so wie ich mit einem Beine im Bett bin. Ich halte mich denn auch nicht lange mit dem Abendsegen auf, sage nur: »ob sie mich liebt? ...« und puste das Licht aus, aber die Erwählte meines Herzens macht es mir schwer, ich muß dreimal pusten, ehe es ausgeht. Sie wird mich also wol dreimal ablaufen lassen, aber ich bin nicht schüchtern, ich komme zum vierten Mal wieder. Dann drehe ich mich auf die andere Seite und schnarche den Schlummer des Gerechten – wie lange weiß ich nicht. Plötzlich fahre ich auf mit einem Schreck – wie Lenore um's Morgenroth, es muß aber noch tief in der Nacht gewesen sein, reibe mir die Augen und denke: »nein, was man doch nicht manchmal zusammen träumt – dieser Unsinn – wie soll doch? ...« Indem kräht der Hahn zum zweiten Mal, schlägt mit den Flügeln, daß es klatscht ganz wie sich's schickt und gehört für einen rechtschaffenen Haus- und Hofhahn. Ich fasse mir an die Nase: »Mensch, wie ist das mit dir? ... wachst du oder träumst du?« Ich fühle meinen Puls – ein Puls wie im Paradeschritt! Nun wurde mir aber himmelangst – ich dachte nicht anders, ich wäre verrückt geworden. Wie sollte ein Hahn, ein wirklicher Hahn, jetzt unter mein Bett kommen? Da schmettert die Bestie zum dritten Mal: kikeriki ... kikeriki! ... Nein, was zu toll ist, ist zu toll! Ich muß wissen, wie und wo und wenn's noch so wäre! Feige liegen bleiben und von so 'nem verdammten Gespenst von Hahn, der bei Lebzeiten weiß Gott was für eine schwere Sünde begangen und nun keine Ruhe im Grabe hat, sich am Ende die ganze Nacht unter dem Bett was vorkrähen lassen ... das wäre ja eine Schande, da verdienst du das Portepée nicht. Ich mache also Licht. So wie das aber hell auf brennt – schurr! rutscht was unter der Bettstelle hervor, und meiner Seele! es ist ein Hahn wie andere Hähne von Fleisch und Blut, und das verschüchterte Thier fährt wie besessen in der Stube herum, weil er das Licht nicht gewohnt ist. Jetzt ich nicht faul – mit einem Satz aus dem Bett: »Na warte, ich will dich bekikeriki–en!« Aber war ich flink, so war er noch flinker, hatte ich längere Beine, so hatte er die Flügel extra, war er in voller Montur mit Busch und Sporen, so war ich wie gerupft in leichtestem Nachtgewande: schimpfte, wetterte und fluchte ich, so gackerte und schrie er, als wollt' er dem Teufel ein Ei legen, als wären Marder, Fuchs und Iltis zugleich hinter ihm her. Und so geht das immer in die Runde wie in der Reitbahn – mit Hindernissen. Bald jachert er über den Stuhl mit den Kleidern, bald verwickelt er sich in meinen Stiefel und schmeißt den Stiefelknecht um, bald fegt er den Staub vom Ofen, bald plantscht er in der Waschschüssel, wirft die Seife in's Zahnpulver – wischt sich die Füße an meiner Zahnbürste und seift sich den Schwanz mit dem Rasirpinsel ein, bald stiftet er Unheil – ich weiß nicht wie und wo ... Und jetzt wieder fliegt er wie die Motte gegen das Licht, das an meinem Bett steht neben dem Glas Wasser; das stößt er auch um. Und das war ein Glück – sonst hätten wir am Ende zu all dem Unsinn noch das Haus angesteckt. Als ich eben zupacken will zwischen umkampelndem Licht, Leuchter und klirrender Lichtmanschette, zwischen Glas, umgegossenem Wasser, Kopfkissen und Zudeck – futsch! ist's stockfinstere Düsterniß. Das brachte uns beide einigermaßen zur Besinnung mitten im hitzigsten Jagdeifer. »Hahn,« sage ich – und trete auf den schmalen Bettteppich, ziehe den Fuß aber schnell wieder zurück, als hätte ich in Eis getreten: so kalt und naß war es, und ich bücke mich, um das Feuerzeug und die ausgestreuten Schwefelhölzer aufzuheben, und stoße mir das Schienbein am Stuhl, daß ich hätte schreien mögen, und falle aus der Construction und muß meine Rede noch mal von vorne anfangen. »Hahn, sage ich – ich denke, für den Spaß wäre das genug« ... und halte ihm das Thörichte seines ganzen Benehmens in kurzen, einfachen, aber ernsten Worten vor. Er schenkte mir auch Gehör, mindestens verhielt er sich still. Unterdessen habe ich die Streichplatte gefunden, ein paar Zündhölzchen dazu, und ich streiche darauf los. Der Phosphor qualmt und leuchtet und riecht nicht schön, und ich fahre fort in meiner feierlichen Ansprache und streiche und streiche, aber keins will brennen. Das ist ja Alles quitschend naß. Zuletzt glückt es doch, ich sehe auch gleich das Licht, ergreife und zünde es wieder an, halte die Hand vor, schaue forschend ringsum: da sitzt der Patron ganz vernünftig und zahm in der Ecke wie eine Gluckhenne auf dem Nest. »Mein Herr Hahn, sage ich, wenn Sie brüten wollen: meinetwegen! das geht mich nichts an, ich mische mich nicht in Familienangelegenheiten, aber Nester in den Dielen werden hier nicht ausgebuddelt wie im Sande auf dem Hof – das geht nicht. Oder soll ich Ihnen etwa eins von meinen Kissen unterlegen?« – So 'n Hahn ist aber schlauer, als man meinen sollte: er merkte die Ironie. Wie ich mich ihm nähere – huschu! geht das Jagdvergnügen von Neuem los ... Na ich werde daran denken. Zuletzt erwischte ich ihn denn doch. Er mag wol geglaubt haben, sein Leben wäre verwirkt, und sträubt sich wie nicht recht klug und kratzt und hackt und haut mit dem Schnabel, als wären meine Finger Engerlinge und Regenwürmer – und beträgt sich auch sonst nicht zum manierlichsten. Das Mädchen hat sich gewundert den andern Morgen und höflich gefragt, ob jetzt die fremden Herrschaften in den Hühnerstall und die Hühner in die Fremdenstube logirt würden – es sähe ja beinahe so aus. Ich war nur froh, wie ich endlich das Fenster aufgerissen und ihn Hals über Kopf expedirt hatte. Denn man muß bedenken: so viel Zeit war ja nicht, daß ich das Licht wieder in den Leuchter stecken konnte, ich mußte das Alles mit einer Hand bewerkstelligen und schon bei dem ganzen letzten Treiben in der andern das flackernde Licht halten.«

»Ueber den tieferen Zusammenhang nachzudenken, hatte ich während alledem freilich keine Zeit: so einigermaßen dämmerte mir doch das Richtige auf – wenn man sich aber in die Seele des unglücklichen Hahns versetzt, was mag sich wol das arme Vieh von Trunkenbold, Nachtschwärmer, Störenfried und Wecker wider Willen bei der ganzen Sache gedacht haben?«

»So, das wäre das Abenteuer ... Und nun singe uns etwas, Martha ... zur Beruhigung meiner Nerven. Hat man so etwas selbst erlebt, das regt doch ganz anders auf, als wenn man sich's nur erzählen läßt.«

»Sehr gern – wenn die Anderen nur ebenso gern es mit anhören wollen.«

Der Hauslehrer, der auch musikalisch, machte das Klavier auf, die heitere Blondine nahm Platz, spielte und sang – und nicht erst was: es waren lauter gute Sachen. Und der junge Herr aus der Stadt schien gar nicht einmal so sehr erstaunt. Bisher sah er Martha stets in größeren Gesellschaften und hatte eine durchaus feingebildete junge Dame in ihr kennen gelernt. Nur daß feine und liebenswürdige junge Damen in der Wirthschaft so gut Bescheid mußten, mochte ihm noch nicht oft vorgekommen sein.

Unser Ferdinand, der auch da war, hatte freilich schon manches nette, wohlerzogene und ebenso wirthschaftliche Mädchen gesehen, aber noch keine, die so hübsch spielte und sang und so komische Geschichten erzählte.

»Wie gefällt sie dir denn sonst?« fragte Schwester Agathe.

»O gut.«

*

 


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