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9.
Eveline, vormals Evchen.

»Da bin ich nun zum letzten Mal in der Schule gewesen – die liebe Schule! Wie schnell ist die Zeit verflossen! Hab' Dank, mein väterlicher Freund, du sorgsamer Gärtner im Garten der Menschheit! Ich will mir deine guten Lehren, deine weisen Worte, die du noch beim Abschied zu mir sprachst, tief ins Herz schreiben, du sollst nicht umsonst an mir gearbeitet haben, dein theures Andenken wird segensreich in mir fortwirken, so lange ich lebe! – – Aber jetzt lasse ich mich auch nicht mehr Evchen nennen, ich heiße: Eveline.« –

»Viel gute Vorsätze habe ich heute gefaßt, und so will ich zum Schluß noch den anreihen, täglich etwas in dies Büchlein einzutragen wie eine ordentliche Hausfrau, die ihr Wirtschaftsbuch regelmäßig führt. Man hat doch immer einen bestimmten Totaleindruck von jedem Tage, und wenn man den festhält und niederschreibt, bleibt die Vergangenheit ein unverlorenes Kapital, aus dem wir fort und fort Zinsen ziehen können für unsere Seele.« – Hiezu am Rande bemerkt »sehr geistreich!« mit späterem Datum.

»Und wieder flüchte ich zu dir, mein liebes trautes Tagebuch – wir sind stets gleichgestimmt, mit dir darf ich plaudern und philosophiren, fromm und ausgelassen sein, lachen und weinen, wie mir's eben um's Herz ist. Du läßt mich immer hübsch ausreden, widersprichst mir nie, dir kann ich Alles, Alles anvertrauen, bis auf die geheimsten Regungen meines Innern. Bei dir bin ich ganz sicher, daß du es Niemand weiter sagst, was ich dir mittheile – ich zeige dich Keinem, Keinem – auch der intimsten Freundin nicht.« –

»Endlich sind unsere Hüte da! Es hat lange gedauert, aber was lange währt, wird gut. Ich freue mich kindisch, sie sind eben so hübsch, als praktisch und sitzen so schön fest! Auch Agathe ist sehr froh und zufrieden – er steht ihr vortrefflich. Mama findet meinen etwas auffallend, ich finde es durchaus nicht, er ist ganz modern. Ferdinand sagt, ich sehe damit aus wie eine Bereiterin. Was weiß der? Mir gefällt er ungeheuer, und am Ende soll ich ihn doch tragen, nicht die Herren Brüder. Auch die Zuthaten sind so fein und schön, kurz das Ganze darf für vollendet gelten. Ich war ganz entzückt über das reizende Hütchen – ich hätte mit dem kleinen Ladenschwengel, der die Schachtel brachte – ein ganz netter Junge – gleich einen Galopp tanzen mögen! Aber es waren zu viele dabei«. –

»Die Gedichte der Agnes Engelrecht haben mich sehr enttäuscht. Nichts als die ganz gewöhnliche Reimerei, leerer Klingklang, kein einziger tiefer Gedanke, nicht ein Fünkchen wahrer Poesie! In der Familie gilt sie für ein großes Licht. Armer Apollo, dich bedauere ich, wie wird dein heiliger Dienst herabgewürdigt!« –

»Agathe ist so lieb und gut, mein Vorbild auf dem Pfade der Tugend, aber nicht die Spur genial! Sie hat ihre Aufsätze auch immer erst in's Unreine geschrieben – ich fast nie, und ich bekam doch stets die besten Censuren.« –

»Im Faust gelesen – ich soll zwar nicht, ich thu' es aber doch! Prachtvoll!! Welch mächtiger Geist weht mich aus dieser erhabenen Dichtung an, welche Gluth erfaßt meine Seele! Ich glaube ebenso zu empfinden, doch versteh' ich noch nicht Alles. »Du gleichst dem Geist, den du begreifst!« Schreckliches Wort, du donnerst mich nieder! Was will ich denn aber eigentlich? Eine Dichterin werden? Nein, dazu reicht mein bischen Grips doch nicht aus, das fühle ich wol. Man kann ja auch als einfache Hausfrau, als schlichte Gattin und Mutter edel und groß sein. Oder steckte doch noch etwas mehr in mir? Erwartet mich kein prosaisches Alltagsloos? Wäre die kleine Eveline am Ende doch zu Höherem bestimmt? Es wäre himmlisch! Und so weihe ich mich dir, mein Genius! in dieser heiligen Stunde mit jedem Blutstropfen meines jungen Lebens, mit jeder Fiber meiner Seele. Es schlägt Zwölf – wie feierlich das klingt! Mir wird ganz gruselig dabei ... Herrje! aber mein Licht ist ja gleich aus, ich habe es schon auf's Profitchen gesetzt – husch, zu Bett!« –

»Ach, wie schwer ist doch ein wahrhaft feines Benehmen! Die Mutter sagt: »mein Kind, suche dir nur die rechte innere Feinheit anzueignen, dann kommt die äußere von selbst.« Agathe sagte mir heute, ich wäre total unweiblich, das macht mich recht traurig.« –

»Gewiß, das wahre Glück kann nur aus dem inwendigen Menschen kommen, nur aus der Liebe zu Gott entspringen. Furcht vor Gott habe ich wol, aber die Liebe, die so recht warm dem innersten Herzen entquillt, will mir noch immer nicht aufgehen. Ach, möchte ich doch bald dem lieben Gott etwas näher kommen!« –

»Zwei neue Sonette entstanden, und ich muß sagen, sie gefallen mir. – Ein langes Gespräch gehabt mit Gertrud über Freundschaft und Liebe, auf der Straße vor unserer Thüre im Hin- und Hergehen; ich hatte schon ein paar Mal den Klingelgriff in der Hand, ließ ihn aber immer wieder los. – Besuch bei M.'s ... Leopold sah heute wieder so wunderhübsch aus!« –

»Ich war in der Wochenandacht. Der Herr Diakonus hielt eine wunderschöne Predigt. Ich will jetzt auch jeden Donnerstag gehen Ich habe mich so recht erbaut, ich war tief ergriffen. Ja, es lebt noch ein Gott! Die Thräne quillt, die Erde hat mich wieder.« –

»Ernestine ist hier. Sie, Agathe und ich, wir saßen in der Laube. Die beiden Freundinnen sprachen ein Langes und Breites über Liebe und Heirathen. Es war höchst interessant. Nachdem ich fast die ganze Zeit mucksmäuschenstill gesessen und bescheiden zugehört, wollte ich zuletzt auch meine Ansicht aussprechen. Allein sie ließen mich gar nicht zu Worte kommen und thaten doch wahrhaftig, als dürfe ich über so ernste Dinge noch gar nicht mitreden – oho, nun gerade! Was denkt ihr denn? Das heißt, heirathen möchte ich jetzt noch nicht, aber mich mal verloben – o ja, das möchte ich für mein Leben gern! Ich möchte doch blos mal probiren, wie das eigentlich ist. Aber küssen ließe ich mich nicht, fällt mir nicht ein – wozu? Und so eine ganze feste Verlobung ein- für allemal – nein, das wäre doch auch wol noch nichts Rechtes für mich. Ich würde immer Angst haben, es käme ein Anderer, der mir noch besser gefiele. Eigentlich gefallen mir nämlich alle hübschen jungen Männer. Kann man sich denn nicht auch lieben, ohne gleich zu heirathen? Am nettsten wäre es so: ich bliebe ruhig bei den Eltern und Geschwistern, er käme nur Sonntags – nein, das wäre wieder zu wenig, wollen mal sagen – drei Tage in der Woche, Sonntag, Dienstag und Donnerstag, und sonst hätten wir alle beide volle Freiheit. So würde unser Seelenbündniß nimmer herabgezogen in den Staub der Gewöhnlichkeit, wir würden einander nie überdrüssig, und welch ein Triumph, wenn wir uns auf die Manier doch treu blieben bis ins höchste Alter – er ein ehrwürdiger Greis mit weißem Haar, ich ein altes krummes, schrumpfeliges Mütterchen mit Schüttelkopf und Wackelkinn – na, dann könnten wir uns ja meinetwegen auch noch trauen lassen.« –

»Ich habe Leopold recht lange nicht gesehen!! Ob er wol Sonntag kommt? Ach möchte er doch! Ich freue mich immer so, wenn Leopold kommt, und hätte er doch auch wieder die hübsche Weste an, die steht ihm so gut – ich glaube gar, ich bin ein wenig verliebt in ihn – ach warum nicht gar, Dummheiten!« –

»Mit meinen Geburtstagshandschuhen habe ich jetzt sieben Paar, ich möchte aber gern das Dutzend voll haben!« –

»Es ist doch zu arg, daß man nicht seinen Willen haben soll – blos weil man die Tochter seiner Eltern ist, sagte gestern Gertrud. Natürlich schallendes Gelächter von uns Allen, sie versicherte aber es ganz ernst zu meinen. Manchmal ist Gertrud wirklich naiv.« –

»Wol wüßte ich, was mich zur Dichterin machen könnte – eine große Leidenschaft, eine unglückliche Liebe. Aber weiß der Himmel, soviel Mühe ich mir gebe, es wird immer nichts d'raus. Wenn ich eben recht anfangen will, unglücklich zu lieben – perdauz! kommt mir schon wieder ein anderes junges Herrchen in die Quere, den ich noch viel schöner, liebenswürdiger und interessanter finde – und mit der einen gewaltigen, das Herz bis in seine innersten Tiefen tragisch aufwühlenden Leidenschaft ist's wieder nichts.« –

»Unsere Gesellschaft ist glücklich von Stapel gelaufen. Alles war sehr nett und wohlgelungen. Der Vater wollte erst gar nicht recht heran. »Aber, lieber Papa, wir müssen doch unseren Verpflichtungen nachkommen.« »Ich wünschte, liebes Kind, daß dein Pflichtgefühl in jeder Beziehung so entwickelt wäre.« Da hatt' ich's! Aber siehe da! Der Oberförster Knauf schickte diesmal das stehende Weihnachtsreh, auf das die Mutter längst schon nicht mehr hoffte, noch jetzt, dazu sehr schöne Karpfen. Nun bekamen wir wieder Oberwasser, und wurde es auch kein grand bal paré, so doch immer ein allerliebster, fideler Abend. Von Familien waren Meßners, Krauses, Richters, Rademachers, – Gertrud leider nicht – Engelrecht's und Wiedmanns. Außerdem junge Leute und ein paar ältere Herren. Leopold glänzte durch Abwesenheit, sein Benehmen ist seit einiger Zeit sehr eigenthümlich. O wir brauchen ihn nicht, wir waren auch ohne ihn vergnügt. Wir tanzten nach dem Klavier, und zwischenein wurden Sprichwörter aufgeführt. Beim Essen saßen die Respectpersonen und vernünftigen Leute an dem einen Tisch, an einem zweiten, kleineren wir – Anderen. Nein, der Unsinn, der da gemacht wurde, es war großartig! Ich muß wol nicht die Allerstillste und Zahmste gewesen sein. Wie das schallende Gelächter gar nicht aufhören wollte, kam die Mutter zu uns heran und sagte mir in's Ohr: »Eveline, deine Stimme höre ich immer oben auf, du trinkst jetzt keinen Tropfen mehr!« Ich glaube wahrhaftig, die Mama dachte, ich hätte was im Krönchen. Kostbar! Ich war nicht ein bischen schwindelig – nur so ungeheuer lustig. Ich hatte mein helles Barege an, und die rothe Sammtschleife – die cerise, nicht die rosa. Ja, noch Eins muß erwähnt sein, ich darf es mir nicht schenken. Selbsterkenntniß ist der erste Grund aller Besserung, denn wie soll ich meine Fehler ablegen, wenn ich sie nicht kenne? Beim Tanzen trat mir Herr Bockholz, Ferdinand's College, auf den Fuß, daß ich hätte schreien mögen, und doch hatte ich's in fünf Minuten schon vergessen. Nach Tische stehen nun Bertha Wiedemann, Auguste Rademacher und ich zusammen – da werde ich gewahr, wie Herr Regierungsrath Siellach, die Lorgnette am Auge, mir auf die Füße sieht. Das that gar nicht weh – und doch kann ich es noch immer nicht vergessen. Wie einfältig! Der Herr Rath ist kein junger Mann mehr und entschiedener Kahlkopf. Ich bin aber durchaus keine Mondscheinschwärmerin – freilich Perrücken sind mir noch mehr zuwider, die hasse ich und würde mich scheiden lassen von einem Manne, der mir mein Herz mit falschem Toupé abgeschwindelt. Ob dem alten kahlen Herrn wol mein kleiner Fuß ein bischen in's Auge gestochen hat? – Eveline, jetzt bist du aber still, es ist nicht mehr zum Aushalten mit dir!« –

»Dieser Esel, der Michalski, einen so warten zu lassen! Er hält auch nie Wort, bei den Galoschen war es dieselbe Geschichte, von einem Tage zum andern vertröstet er, immer heißt es: »morgen sind sie ganz gewiß fertig.« Wenn der dumme Kerl nur nicht so gut arbeitete! Er verläßt sich darauf, daß er trotz alledem leider der Beste ist in unserm alten Nest. Sonst hätte ich's schon längst bei der Mutter durchgesetzt, daß wir von ihm abgehen. Bekomme ich meine Stiefelchen zum Sonntage nicht, so weiß ich wahrhaftig nicht, was ich machen soll. Suse – patruse – was ruschelt im Stroh, es sind die lieben Gänschen, die haben keine Schuh'. Nun, endlich einmal kriege ich sie doch, die netten Stiefelchen mit hohen Absätzen – juchhe! Es wird reizend sein! Auch werde ich mindestens einen Zoll größer, und wie nett klappert's nicht auf dem Steinpflaster!«

»Sieh, sieh! das ist ja recht niedlich. Und so was erfährt man erst auf Umwegen. Ich bin ordentlich stolz! Ich habe bereits den ersten Korb ausgetheilt! Noch dazu, ohne selbst was davon zu wissen. Eigentlich finde ich es sonderbar vom Papa, daß er ihn abgefertigt, ohne mal mit mir über die Sache zu sprechen. Genommen würde ich ihn ja nicht haben, aber man hätte mich doch wenigstens fragen können. Gertrud hat aus dem andern Zimmer gehört, wie ihre Mutter es Herrn Rademacher erzählte. Welch ein Glück, sonst wäre mir am Ende gar nichts davon zu Ohren gekommen! Der Vater hat ihm geschrieben, ich sei noch ganz Kind. Ich will nur wünschen, daß Papa diesen Bescheid nicht Jedem ertheilt – denn käme ein Anderer, der etwas weniger scheußlich, da würde ich auch nicht gleich zugreifen mit allen zehn Fingern – o nein, so sind wir nicht – aber man will doch selbst prüfen. Soll ich so lange wie ein unmündiger Balg behandelt werden, bis die alte Jungfer fertig ist? Gott, wenn der Unglückliche sich ein Leides anthäte! Es wäre furchtbar, ich würde nie wieder Ruhe finden. Aber eigentlich kann ich doch nicht dafür, daß ich ihn so bezaubert habe. Ich möchte blos gerne wissen, was dem armen Schlucker wol an mir so sehr gefallen hat? Also Einem habe ich richtig schon den Kopf verdreht – wenn auch nur einem Feldmesser ohne Anstellung, der bereits vorher halb verrückt war. Es ist doch immer ein Anfang.«

»Ich habe rasend viel zu thun zu unserer Aufführung bei Mehners – ich mache die Verse – die Kostüme wollen auch besorgt sein – mein's wird reizend.«

»Der große Abend ist vorüber, unsere Aufführung hat viel Beifall gefunden. Auch unser Herr Nachbar, mein alter lieber Lehrer, kam zu mir heran und beglückwünschte mich. Ueber meine Dichtung sagte er nichts, was mich einigermaßen verschnupfte, um so mehr Teilnahme schien ihm mein Spiel abgewonnen zu haben. »War es wirklich dein erstes Debüt? Und das Einstudiren hat dir gar nicht viel Mühe gemacht? Und gar kein Kulissenfieber hattest du vor dem Auftreten?« – »Nicht 'n bischen.« – »Ja, ja, das ist öfter so bei gebornen Dilettanten.« Nun merkte ich Schaf erst, daß es ein wohlberechneter Dämpfer war – ich mußte geduckt werden. Das Einzige, was mir dabei gefiel: daß der alte liebe Lehrer mich wieder duzte. Er fing schon mal an, mich mit Sie zu kränken, da wurde ich aber unangenehm und verbat mir's ernstlich. »Es giebt junge Männer, die kommen schon als Großväter und junge Mädchen, die kommen schon als alte Jungfern auf die Welt,« hörte ich ihn neulich sagen, obwohl ich's nicht hören sollte. Ich fühlte mich aber nicht getroffen.« –

»Ich möchte das Weib eines großen tragischen Dichters sein! Wie gern wollte ich jeder eigenen schöpferischen Thätigkeit entsagen, und die Gaben, die mir etwa verliehen sein mögen, ganz und gar seinem erhabenen Genius unterordnen. Ich wollte ihm meine Seele bis in die innersten Falten und Fältchen erschließen, daß er das Frauenherz so recht aus dem Grunde studirte. Ich glaube nämlich, die meisten Dichter stellen sich uns viel zu ideal vor, aber er müßte die reine, unverfälschte Wahrheit kennen, dann könnte er mich ja noch immer idealisiren, so viel er Lust hat. Wie wollte ich sein Wirken belauschen, wie ihn aufheitern in den Stunden der Erholung, wie ihn ermuthigen, wenn Zweifel am Gelingen seine große Seele umdüstern, wie ihn anfeuern nach jedem Erfolge zu immer neuem Streben und Schaffen – wie wollte ich ihn verehren, ihm dienen – ihn liebkosen! ... auch wenn er etwa nicht mehr ein junger und schöner Mann, sondern alt und häßlich wäre? I, er wird ja doch wol nicht!« –

»Da lesen wir Sonntags den Egmont mit vertheilten Rollen bei Engelrechts, ich Klärchen, und den Brackenburg der neue junge Doctor. Sonst kein übler Mann, soll auch sehr geschickt sein, aber ein schrecklicher kleiner Brummbär! Vielleicht verdroß ihn die sentimentale Rolle; das ist aber ganz egal, es bleibt immer eine Eselei – am Theetisch saß er neben meiner Wenigkeit und sagte doch auch nicht Bäh nicht Mäh zu mir – als wäre ihm der Mund zugewachsen. Mit der Agnes, seiner andern Nachbarin, konnte er sich doch recht gut unterhalten. Na, warte, dich will ich ärgern!« –

»Wie dumm, daß ich so unvernünftig gesund bin! Es brauchte ja nicht gleich eine schwere Krankheit zu sein, nur so ein unschädliches, ganz, ganz kleines Leiden – nicht mehr als quanzweise nöthig wäre, um mich von ihm behandeln zu lassen. Er vertritt jetzt ohnehin unsern alten Medicinalrath. Setzen wir also mal den Fall – ich klage, will aber nichts davon wissen, daß nach dem Arzt geschickt wird, nach dem neuen schon gar nicht, ich habe kein Vertrauen zu ihm – sage ich, dann schickt die Mutter gewiß, solche Capricen dürfen nicht geduldet werden. Er kommt, fragt mich aus – dies ist unangenehm, läßt sich aber nicht vermeiden – er fühlt mir den Puls, das thun sie immer, auch die jungen, hoffe ich. Während er nun nach der Uhr sieht und die Pulsschläge zählt, schleicht meine andere Hand sachte, kätzchensachte heran und umfaßt die seine – ich drücke sie erst leise, dann immer inniger und wärmer. Da springt er dann endlich auf: »was fällt Ihnen ein?« – »Was mir einfällt? Ei, Herr Doctor, ich bin krank! So kuriren Sie mich doch – dazu sind Sie!« Der Abscheuliche soll gesagt haben: »die Liebe ist auch, nur eine Krankheit – wie alle Thorheiten, sie sitzt in der Leber.« Empörend! Wenn der nicht mal eine Frau kriegt, die ihn furchtbar unter dem Pantoffel hält, so ist es aus mit der gerechten Weltordnung ... Und nun einen Strich durch oder – zwei, einmal rechts, einmal links – nicht gar zu dick, damit es nicht die ganze Seite entstellt, aber frisch und kräftig – kreuzweise, wie man Ohrfeigen giebt ... Nein – habe ich das alberne Zeug gedacht und geschrieben, soll es auch stehen bleiben mir selbst zur Beschämung, Warnung, Reue und Besserung! Wozu führe ich denn Buch über mein inneres Leben? Ich will mich nicht schöner machen, als ich bin.«

»O Gott, Gott, wie glücklich bin ich! Ich weiß, mich liebt ein starkes, warmes, treues Herz! Er hat nie von Liebe zu mir gesprochen, aber ich weiß es doch, er liebt mich, er liebt mich! O wie pocht's in meiner Brust, welch ein süßes Gefühl durchzittert mich bei dem berauschenden Gedanken: er liebt dich! Es ist kein Stern erster Größe, kein Genie, aber ein höchst talentvoller, junger Mann, auch seine äußere Lebensstellung für jetzt nicht gerade glänzend, doch er wird schon seinen Weg machen – mit dieser Stirn, mit diesen Augen bleibt man nicht bis an's Ende seiner Tage Auskultator. Ach, ich will ja so gern geduldig warten! Ja, ich bin unaussprechlich glücklich! Edmund, mein Herzens-Edmund, du bist der erste Mann, den ich wahrhaft liebe – dich werde ich ewig lieben!« – » Wahrhaft« und » ewig« unterstrichen.

»Edmund ist einer von den wenigen Männern, die bei großer Schönheit hohen inneren Werth besitzen. Er hat keine Leidenschaft, als nur für das Edle, Wahre, Schöne; alles Niedrige, ja nur alles Gewöhnliche liegt tief unter ihm. Er liest wundervoll vor, zuweilen von seinen eigenen herrlichen Gedichten. O wie schön er ist! Dunkelbraunes Haar, ein wenig gelockt, das Gesicht oval und blaß, Augen groß, herrlich blau, mit einem unbeschreiblichen geist- und seelenvollen Ausdruck. Der Mund klein, sehr charakteristisch, oft umspielt seine Lippen ein eigenthümliches, bald gemüthreiches, bald fein ironisches Lächeln – so kann nur Er lächeln!« –

»Ein neues, reizendes Element belebt unsere Geselligkeit. Frau von Hillerström ist auf längere Zeit in die Stadt gezogen, um den Arzt näher zu haben, sie hat auch unsern alten Medicinalrath. Frau von Hillerström ist meine ganze Schwärmerei. Sie ist so gut und mild, und doch so bestimmt, sie imponirt mir unendlich durch ihr nobles, sich stets gleich bleibendes Wesen. Ein Besuch von ihr bei uns, oder von uns bei ihr beglückt mich Tage lang. Sie muß mal wunderschön gewesen sein und ist auch noch jetzt eine höchst angenehme Erscheinung, sie macht sehr gut Toilette, obwol sie meistens ganz einfach geht.« –

»Wenn eine Einladung von Hillerströms kommt, möchte ich immer gleich bis an die Decke springen vor Freude. Die reizenden Hillerströms! Da ist es einmal wie allemal einzig hübsch. Ich weiß nicht, dort ist ein ganz anderes Klima, man fühlt sich so frei und leicht. Jeder hat stets sein Bestes bereit, worüber er geistig verfügen kann, während es in manchen anderen Häusern, zum Beispiel bei den reichen Paustians, doch immer gerade so ist, als fiele einem gleich beim Eintreten Mehlthau oder Torfasche auf den Kopf. Dann ist das so einzig an Frau von Hillerström, Jeder wird bei ihr nur nach Liebenswürdigkeit und Talent, nicht nach Rang und Titel geschätzt. Auch Edmund ist sehr viel da – mein herrlicher Edmund! Und was für entzückende Billetchen schreibt sie, fast immer mit etwas Französisch untermischt – ich verwahre sie mir alle in meinem »Erbbegräbniß«. Eben hat der Diener wieder ein Zettelchen abgegeben, ich möchte Noten mitbringen, es soll etwas musicirt werden.« –

»Die gute Frau von Hillerström hat mir erlaubt, ich kann kommen, so oft ich will. Ich begreife die Mutter nicht, sie nahm es gar nicht recht so auf, wie ich erwartet hatte. »Sehr freundlich von der Frau Baronin, aber der Vater wünscht durchaus nicht, daß du dich ganz einnistest in der hohen Aristokratie, es möchte dir am Ende in unserm eigenen bürgerlichen Hause nicht mehr gefallen.« Freilich sind es Aristokraten, aber im besten Sinne des Worts. Ihr Adel ist Seelenadel, und nach dieser Art Vornehmheit hat doch Jeder nicht gemeine Mensch zu streben. Vermuthlich glauben die Eltern, ich würde da verwöhnt – sie irren gewaltig. Frau von Hillerström sieht mir durchaus nichts nach, noch gestern hat sie mich wieder ganz gehörig gerüffelt ... (»gerüffelt« ausgestrichen und »gescholten« übergeschrieben). Der Wischer, den ich besah ... das heißt – bekam ... mit einem Wort, sie tadelte meine burschikosen Redensarten. Wie oft hat mir das nicht auch schon die Mutter gesagt, und wie oft habe ich mir's nicht auch schon fest vorgenommen, gewählter zu sprechen, ich denke blos immer nicht d'ran. Aber das ist es ja eben, ich bin viel zu flüchtig, immer viel zu sehr oben hin! Doch nun setze ich einen Trumpf darauf. Frau von Hillerström hat eine wunderbare Macht über mich, ich vergöttere sie.« –

»Alma Hillerström hat sich fabelhaft entwickelt in den zwei Jahren, die wir uns nicht sahen – das süße Geschöpf! Voilà la silhouette ... (am Rande » silouette, silhou...« als orthographische Federprobe). Geistreicher Kopf, vielleicht ein wenig zu groß für die Figur, Augen – die reinen Sterne, dunkelbraun, im Gespräch blitzartig aufleuchtend. Nein, und so was von Wimpern ist noch gar nicht dagewesen: pechschwarz und seidenweich, werfen sie gesenkt einen leichten Schatten holdester Schwermuth, der dem blühenden Gesicht etwas ungemein Pikantes giebt, und so dicht und von so ungewöhnlicher Länge sind sie – bei raschem Auf- und Niederschlag »machen sie ordentlich Wind«, nach Gertrud's klassischer Versicherung. Alma ist voller Fähigkeiten, und alle ihre Anlagen sind gleichmäßig ausgebildet. Sie ist eine durch und durch harmonische Natur. Soviel weibliche Anmuth und Eleganz, soviel Kenntnisse und soviel Bescheidenheit werden gewiß selten in einem Wesen vereint sein – und dabei eine Seele so weich und schön, so ganz für Liebe und Freundschaft geschaffen! Wäre ich ein junger Mann, ich würde mich ganz rasend in Alma ver... ich würde mich sehr für sie interessiren. Edmund wird das aber hoffentlich bleiben lassen.« –

»Das Einzige, was mir bei Hillerströms nicht gefällt, ist – der Attaché. Warum mußte der auch jetzt gerade zum Besuch kommen? Er ist sehr höflich und freundlich zu mir, aber ich habe immer das Gefühl, als ginge auch das Allerverbindlichste, was er mir sagt, mindestens handhoch über meinen Kopf weg, und sieht er gar so mit einem gewissen herablassenden Wohlwollen auf mich nieder, das ist noch zehnmal ärger ... es ist dann doch gerade, als wollte er sagen: »ah – ganz charmant, wüßte ich nur erst, wozu das kleine Ding eigentlich auf der Welt ist!« Ich kann ihn einmal nicht leiden den dummen Diplomaten, der so verdammt – gescheit ist, er spricht alle Sprachen der Welt und soll zur großen Carrière bestimmt sein. Meinethalben! wäre er doch schon jetzt Gesandter in Petersburg, Paris oder wo der Pfeffer wächst!« –

»Mein Edmund, fühlst du es wol, daß ich dir jeden Abend gute Nacht sage – jeden! Schlummre sanft, du mein Ein und Alles!« –

»Welch ein Morgen! Ich habe prächtig geschlafen und weiß von nichts. Agathe aber versichert, ich hätte mich viel hin- und hergeworfen und mich alle Augenblicke umgedreht wie der Bratapfel, der hübsch gleich gar werden wollte auf beiden Seiten. Thatsache ist, die Schleife meiner holden Nachtmütze saß mir beim Erwachen unter dem linken Ohr.« –

»Wie eine Fontäne im Morgensonnenschein, so ist Alma – ein beständiges Sprudeln und Funkeln. Kommt ein Philister dem lebendigen Strahl zu nahe, dann spritzt ihm der wehende West auch wol ein paar Tropfen in die trockene Visage – doch gleich findet der springende Quell das Gleichgewicht wieder: er entbehrt nicht der eigenen selbstständigen Kraft, er steigt aus der Tiefe auf, bleibt immer frisch, rein und klar. Das schillernde Farbenspiel seiner Schaumperlen ist gebrochenes Himmelslicht. So ist Alma – so möchte ich auch sein!« –

»Mit der Diplomatie geht es mir besser, ich habe es doch glücklich dahin gebracht, daß wir auf dem Kriegsfuße stehen. Die dumpfe Schwüle vorher war aber auch nicht zu ertragen. Edmund und der Attaché scheinen sich eher abzustoßen, als anzuziehen ... Schade!« –

»Es war heute nicht Alles, wie es sein sollte zwischen uns. Aber wie ist denn das? Ich bin doch noch ein freies Wesen, und überwachte er nicht jedes Wort, jede Bewegung von mir, als wären wir bereits verlobt, und ich gäbe ihm Anlaß zum Mißtrauen? Wol hätte ich freundlicher zu ihm sein können – sein sollen – ich hätte mich zwingen müssen. Zwingen? Ist Liebe – die wahre Liebe denn Zwang, nicht ein freies Geschenk des Herzens? Das war kein guter Tag heute, und der einzige Lichtblick ... doch nein – ich will es nicht, aber ich will es nicht – ich will es nicht – potz tausend noch mal – es soll, es darf nicht sein! Wo bliebe die gepriesene freie Willenskraft des Menschen, wenn man nicht im Stande wäre, eine ganz thörichte kleine Regung noch im allerersten Keime zu ersticken? Wollen doch mal sehen, was ein guter starker Mädchenwille vermag!« –

»Edmund, ich dulde die Qualen der Verdammniß um dich – ich leide furchtbar.« –

»Es heißt ja, er soll mit seiner Relation durchgefallen sein – er soll auch viel Schulden haben, sogar Spielschulden. Der Unglückselige! doch nun muß ich ihn erst recht lieben, und wäre es auch nur, um ihn zu retten vor gänzlichem Untergange – es ist ja gar nicht anders möglich, oder könnte auch die heißeste Liebe erkalten? Nie und nimmermehr!« –

»Der Einzige! Aber sein Name kommt nicht in dieses Buch – zu den Anderen, weil es eben wirklich der Einzige ist. Es klingt bei Gott fast komisch oder ruchlos – und doch ist es so! Ich habe vordem nicht gewußt, was wahre Liebe ist.«

»Der Tag war kühl gewesen, Frau von Hillerström fröstelte und ließ Feuer im Kamin machen. Nun war das Holz niedergebrannt, die letzten Flämmchen zuckten blau und roth, die Kohlen glühten, ihr greller Schein fiel in die Dämmerung. Der Mond sah in's Fenster, der Diener brachte die Lampe, mußte sie aber wieder mit hinausnehmen. Gesprochen haben wir wenig, ich hatte mir das Fußkissen geholt und kniete neben der verehrten Frau, die meine Hand hielt. O hätte ich das Kissen doch nur einen Schritt weiter rücken und wie zu der theuren Hochverehrten auch so – zu ihm emporschauen dürfen, und er hätte mir auch so die Hand auf den Scheitel gelegt und hätte auch gesagt: »liebes Kind!« – und weiter nichts? ... Oder doch? Er neigt sich und flüstert leise, ganz leise – noch etwas – ach, nur einmal, nur einmal wollte ich das Glück!« –

»Es ist vorbei. Alles ist vorüber – Frau von Hillerström ist wieder sehr leidend, sie geht zum Winter nach dem Süden mit Alma – er, er ist schon voran. – »Schmeichelei ist erst so süß und dann so bitter,« sagt die Mutter, aber ich dulde keinen Flecken auf dem lieben, lieben Bilde der ewig unvergeßlichen Erinnerung. Es ist nicht wahr, mir hat Niemand geschmeichelt! Und geschieht mir schon recht, ja es ist mir ganz gesund. Habe ich nicht gewünscht, unglücklich zu lieben – um der poetischen Anregung willen? Nur noch ein paar solche Schläge, und ich werde keiner Anregung mehr bedürfen – ich werde genug haben ... Nein durchaus nicht, noch lange nicht! Kopf in die Höhe! Ich lasse mich nicht sobald unterkriegen – dazu bin ich viel zu stolz! Ach vielleicht ist auch die wahre Liebe etwas viel zu Hohes und Heiliges für mich unnützes Geschöpf! Aber stille, stille! Ich will nicht klagen und jammern, besser machen will ich's. Eine einzige von der Nadel gefallene Masche, die ich flink wieder aufhebe, ist mehr werth als eine Legion der besten Vorsätze, die unausgeführt bleiben. Nur Muth, Muth, liebes Herz, bist ja noch so jung – ich will, ich will – könnte ich mich nur erst recht ausweinen, es liegt mir wie ein Stein auf der Brust ... Ach, es ist so schwer!« –

*

 


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