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26.
Grossmutterstübchen.

Die Großmutter ist schon sehr alt und schwach, sie kann den Kindern nicht mehr viel sein. Aber weiß Gott, wie es zugeht, ihr Giebelstübchen ist der gemüthlichste Raum des ganzen Hauses.

In der Frühe, wenn die Sonne kommt, ihren goldenen Strahlenfinger auf die Kommode am Fensterpfeiler legt und nach dem Kaffeetische zeigt, sieht es doch gerade so aus, als wollte sie sagen: »Da möchte ich auch lieber sitzen, als draußen der Welt zu ihren alten Thorheiten leuchten« – und Abends weilt die Dämmerung nirgends länger als hier zum Plauderstündchen, für das Jeder in der Familie, wäre er auch noch so beschäftigt, gerne ein paar Augenblicke erübrigt, und zu dem die von ihrem Spaziergange zurückkehrenden Freunde einsprechen, die in den Kleidern noch die frische freie Feldluft mitführen, die das Großmutterstübchen wie ein Hauch aus der guten alten Zeit durchweht, da die Großeltern eben so rüstig mitgingen: aber das ist lange her, der Großvater schläft schon viele Jahre draußen im Schlummergarten vor dem Thore.

Zu Mittags ist's wieder nicht ungemüthlich im Giebelstübchen der Großmutter. »Bei der Großmutter schmeckt doch immer Alles besser,« sagen die Kinder, obwol in der elterlichen Küche mit verzeihlicher Eifersucht behauptet wird: »die alte Lieschen – die Köchin der Großmutter – kocht auch nicht anders als mit Wasser«. Die Kinder bleiben aber dabei: »oben bei der Großmutter schmeckt es am besten«, am allerbesten, versteht sich, das Uebriggebliebene, das hinter den, mit grünen Seidenfähnchen verhängten Glasthüren des Schenktisches aufgehoben wird. Daher die zauberhafte Anziehungskraft der grünen Thürchen auf jeden eintretenden kleinen Gast. Das Institut der grünen Thürchen erfreut sich einer Popularität, die selbst dem ältesten Stück aus der einstmaligen ersten Einrichtung des Großvaters, dem urgeschichtlichen Kissensopha, den Rang abläuft, dem Sopha, auf dem sämmtliche Onkels und Tanten als Kinder gehen gelernt und die Jüngstenehre genossen, zwischen Vater und Mutter zu sitzen, wo sie dann Abends nach dem Thee, genau so wie die Jüngsten gegenwärtiger Zeitrechnung, in eine der weichen Ecken gelagert, schon vor dem Zubettbringen einschliefen.

Reichthümer giebt es im Großmutterstübchen nicht, es trifft sich nur zufällig so, daß dort immer zu haben ist, was eben am dringendsten gebraucht wird und sonst nirgend zu finden war: ein Faden bunter Seide oder Zeichengarns, ein passender Knopf aus dem Knopfkästchen, das richtige »Spiel« Nadeln zu einer besonderen Strickarbeit, vor allen Dingen Pflästerchen zum Verbinden blessirter Enkelfinger; und die alleinige Bedingung, die sich an die freigebigste Gewährung des Begehrten knüpft, ist die: »bringt mir nur zurück, was ihr nicht mehr braucht, damit auch ein andermal wieder etwas da ist.«

Und nicht nur mit materiellen Anliegen kommen die Kinder, sie wissen recht wohl, daß Alles, was ihre jungen Seelen bewegt, hier ein stets geneigtes Ohr findet. Im Großmutterstübchen ist guter Rath – nicht theuer: im Großmutterstübchen gewinnt man die wirksamste Fürsprache, wenn der Muth fehlt, selbst die Eltern zu bitten: im Großmutterstübchen wohnt ein so liebevolles Verständniß für die Freuden und kleinen Leiden der Kindheit: das Großmutterstübchen hat ein Wort der Belehrung für jede wißbegierige Frage, eine liebreiche Ermahnung für jeden reuigen kleinen Sünder, einen frommen Kernspruch für jeden Sonntagmorgen, wenn die Glocken zur Kirche rufen, ein Lächeln für jeden Kinderscherz, einen Trost für jeden kindlichen Kummer, und erscheinen ungebetene Gäste – Eigensinn, Unart, üble Laune, die selbst nicht weiß was sie will, so können sie sich darauf verlassen, ihnen wird unverblümt die heilsame gerade durchfahrende Wahrheit zu Theil.

Nur eine Zeit ist, wenn die Kinder nicht kommen sollen: während der Mittagsruhe. »St! die Großmutter schläft.« Die Thüre drückt sich leise wieder zu, wie tief beschämt über die Unachtsamkeit, so leise, als ließe sich durch reuevolle Sanftheit des Rückzuges die Störung ungeschehen machen.

Sonst ist zu jeder Tageszeit Empfangstunde, und Besuch um so willkommener, als die Großmutter selbst fast gar nicht mehr ausgeht. Sogar zu den eigenen Kindern kommt sie äußerst selten einmal.

»Großchen, kommst du heute zu uns? Wenn dir das Treppensteigen schwer fällt, wir tragen dich.«

»Ich weiß, ihr habt über Riesenkräfte zu verfügen.«

»Einziges, bestes Großchen, thu' uns die Liebe!«

»Nun, nun, erdrückt mich nur nicht mit euren Umarmungen, dann kann ich gewiß nicht kommen.«

»Wir sind dir ja nur so unmenschlich gut, Großchen!«

Und wenn zärtliches Schmeicheln, Streicheln, Handküsse und Fußfälle einigermaßen für den Ausdruck unmenschlichen Gutseins gelten können, so darf die Aufrichtigkeit nicht bezweifelt werden.

»Denke doch nur an Weihnachten, wie gut da Alles ging!«

Ja, damals hatte die Großmutter den Bitten nachgegeben; sogleich lief die Nachricht durch das ganze Haus, und die Kinder kamen, eins nach dem andern, heraufgesprungen, sich durch eigenen Augenschein zu überführen, daß es kein schwindelhaftes Gerücht sei. Nein, es war wirklich die Wahrheit. Keines konnte genug rühmen, wie »hübsch es der Großchen ließ« im glänzenden Seidenrocke, und wie sie lange nicht so wohl und klar ausgesehen. Ein Jedes wollte den geliebten Gast beim Gange die Treppe hinab führen, stützen, das Tuch noch dichter um sie ziehen, die Thüren öffnen oder ungehörig offen stehende Thüren schließen, damit keine Idee eines Zuglüftchens die Passage unsicher machte, und wer sonst nichts weiter thun konnte, der lief wenigstens mit – voraus oder hinterher, um doch auch dabei zu sein.

Einen einzigen Fehler hat der Großmutter Stübchen: man kommt nicht so leicht daraus fort. Da heißt es dann: »bleibe doch noch ein bischen«, oder »ihr wollt schon wieder laufen?« oder »wer weiß, wie lange ihr mich noch habt«, oder »ja, was ich doch sagen wollte«, oder »warte wenigstens, bis ich die Nadel abgestrickt, den Strumpf zugemacht – ich bin ja gleich fertig«.

Die Großmutter hat ganz Recht, sie ist sehr alt und schwach, sie kann den Kindern nicht mehr viel sein: sie selbst sagt das, also muß es wol wahr sein. Und doch – ihr Giebelstübchen mit seiner traulichen Enge, mit seinem behaglichen Stillleben des Alters, mit seinen sonnigen Morgenstunden, mit seinen gastlichen Familienabenden zur Winterszeit, während im Sommer schattige Baumwipfel vor seinen Fenstern rauschen, und ferner Lerchensang herüber tönt, mit seinem altehrwürdigen Hausrath, der längst wie zu lebendiger Einheit zusammenwuchs und gleichsam eine Art monumentaler Familiengeschichte darstellt, das Großmutterstübchen mit seiner harmlosen Heiterkeit, seiner Groß und Klein verwöhnenden Nachsicht, mit seinem reichen Schatze von Erfahrung und Lebensweisheit, ist Allen, die mit Kindesrechten darin ein- und ausgehen, der Heimath heimathlichste Stätte, der gemüthlichste Raum – in unseren vier Wänden.

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