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26.
Abiturio.

Die feierliche Entlassung hatte stattgefunden, und gleich am Abend desselben Tages auch der Festschmaus, welchen die Mitschüler den Abgehenden gaben, und den der Rector genehmigte unter der Voraussetzung, daß Alles »maßvoll und anständig dabei herginge«.

Ob es nun wol anständig zuging? Die Entrepreneure, wie sie sich stolz nannten, hatten für »Anschleifung« eines trefflichen »alten Graves« gesorgt, dessen den Mund etwas stark zusammenziehende Säure sich außerordentlich milderte, wenn man erfuhr, das edle Getränk sei nach Versicherung des Kaufmanns »auf einem Rheinwein-Fäßchen abgezogen«. Die Mutter warnte Karl am meisten vor dem Genuß gewisser zum Trunk reizender Speisen, die bei solchen Gelegenheiten üblich sind, und gegen die sie ein entschiedenes Mißtrauen zu hegen schien. Dabei kündigte sie ihm vorweg an, seine Rückkehr abwarten zu wollen, ohne Nennung eines andern Grundes als – damit er nicht zu lange bliebe. Karl kam auch wirklich noch bei guter Zeit wieder und zwar sehr heiter, aber »nicht die Spur angetrunken«, wie der Redselige wiederholt versicherte mit einem Nachdrucke, als setzte er Zweifel voraus. Die Mutter sagte »geh' jetzt nur schlafen« und er kam glücklich zur Ruhe, obwol sich Alles wie närrisch rundum drehte, als er den Stiefelknecht unter dem Bett hervorholen wollte.

So begann nun die schöne Zwischenzeit, die aus dem bescheidenen Dunkel der Schule zu dem strahlenden Glanze des akademischen Lebens hinüberführt: die holde Götterdämmerung des »Mauleselthums« nach altstudentischer Bezeichnung.

Zu Gunsten zurückbleibender Freunde wurden letztwillige Verfügungen getroffen über werthvolle Vorbereitungshefte, Auszüge und andere Studienhilfsmittel. Stammbuchsprüche waren zu schreiben, und Karl verfaßte sie theils in Versen, theils in schwungvoller Prosa, die indessen den Verstand nicht ganz verlor, obwol seine Gefühle beim Hinblick auf das nahe Scheiden aus der theuren Heimath sich zuweilen bis zu wahrhaft Ossianischer Schwermuth steigerten, die vielleicht von dem Verdacht einer gewissen poetischen Selbstgefälligkeit nicht ganz frei zu sprechen. Seine wissenschaftlichen Leistungen dieser Periode hatten einen mehr negativen Charakter und bestanden hauptsächlich in jener, gegen die vorangegangene Ueberladung, mit Kenntnissen sozusagen natürlich reagirenden Hautthätigkeit des Geistes, welche die volkstümliche Seelenlehre »Ausschwitzen« nennt. Es war Karl zu Sinne, als lebte er gleichsam an einem für permanent erklärten Sonnabend Nachmittage. Die Schule war aus, um nie wieder anzufangen, und vor ihm lag der schöne Jugendtraum einer sonntäglich goldenen Freiheit. An den jenseitigen fernen Montagmorgen, der ihn in das praktische Leben einführen sollte, dachte er vorläufig nicht viel. Es war ja bis dahin eine halbe Ewigkeit, drei ganze Jahre, oder vielmehr sechs Semester, denn die Studenten legen bekanntlich dieses kürzere Maß ihrer Zeitrechnung zu Grunde, um nicht bei der unerschöpflichen Fülle all' ihrer wichtigen Erlebnisse ganz und gar die Uebersicht zu verlieren.

»Wann gehst du denn ab. Kerlchen?« fragte ein Bekannter mit jenem künstlichen Anschein des Gleichmuths, der sich bemüht, das Ungeheure der menschlichen Fassungskraft näher zu bringen.

»Donnerstag.«

»Wir sehen uns doch noch?«

»Freilich, ich werde ja wol nicht mit polnischem Abschied davon ziehen! Aber jetzt habe ich's eilig, ich muß noch viele Besuche machen. – Na, prost so lange!«

Und Karl setzte seine Visitentour fort. Er trug zu dem großen Beginnen seinen neuen blauen Frack mit gelben Knöpfen, den neuen Cylinderhut, der ihm einen rothen Streif in die Stirn drückte, die neuen sehr hellgelben Handschuhe, die feinen neuen Oberhemden, die auch Manschetten hatten, und über dem ganzen Staat den neuen faltenreichen Mantel aus grauem Kerntuch. Die Temperatur war mild und Karl nicht verweichlicht, allein der achtzehnjährige Jüngling besaß nicht die Seelenstärke, dieses bedeutendste Ausstattungsstück zu Hause zu lassen, er schmorte lieber gelinde.

Ueberall empfing man ihn herzlich, und bald trat Karl mit einer Ungezwungenheit auf, die vortheilhaft abstach gegen die etwas eckige Grazie, mit der er sich bei den ersten Besuchen einführte. Er nahm nicht mehr in so geklemmter Stellung Platz, zog die Füße nicht mehr so ängstlich unter den Stuhl, als fürchte er, die Dame des Hauses ginge unfreundlich damit um, ihm auf die Zehen zu treten, und hielt die Arme nicht mehr so steif gebogen wie ein gebratener junger Hahn, dem die Köchin unter den einen Fittig seinen Magen und unter den andern seine Leber eingeflochten hat.

»Sie gehen nach Bonn?«

»Jawol – nach Bonn,« sagte der glückliche Abiturio, und er hatte das nun schon so oft bejaht, daß er am Ende doch wol selbst daran glauben mußte. Bisher war es ihm nicht weniger märchenhaft erschienen, als wenn er den weiten Weg nach dem Rhein, quer durch ganz Deutschland, mit Radschlagen und Koboldschießen hätte zurücklegen sollen. Das muthete ihm nun freilich Niemand zu, er sollte »ganz großartig« mit der Schnellpost fahren.

*

 


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