Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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256. Der Liliputstern

Quellen: Bruno H. Bürgel: »Aus fernen Welten«. Verlag Ullstein & Co., Berlin, Wien, 1910. Z. – Professor Dr. Julius Franz: »Der Mond«, 90. Bändchen der Sammlung »Aus Natur und Geisteswelt«. Verlag B. G. Teubner, Leipzig, 1906.

Im weiten Himmelsraum kreisen Sterne aller Artbildungen. Die wechselnden Farben weiß, gelb, rot und viele Zwischenstufen zeigen an, wie verschieden die Wärmegrade sind, die auf ihnen herrschen. Auch die Massen der Himmelskörper weisen sehr große Unterschiede auf.

Sicher gibt es in dem Milliardengewimmel sehr viele Sterne, die augenblicklich eine Ausdehnung haben gleich der der Sonne, wenn dieser Gasball durch Abkühlung dieselbe Dichte erreicht haben wird wie die Erde, also auf ein Viertel seiner jetzigen Ausdehnung geschrumpft ist. Wunderbar, sich vorzustellen, daß auf solch einem Weltkörper Leben vorhanden sei! Die Schwerkraft ist dort fünfzigmal stärker als bei uns. Ein Wesen von der Größe eines Durchschnittsmenschen würde 8000 Pfund wiegen. Die gallertartige Substanz, aus der unser Körper besteht, müßte unter einem solchen Druck einfach zerquetscht werden. Nur Wesen, die Beine und Muskeln von Stahl besitzen, könnten diesem Gewicht widerstehen.

Ganz unmöglich ist es, sich das Leben auf einem Planeten von der Größe der Riesensonne Canopus zu veranschaulichen. Wenn der Stern die gleiche Dichte wie die Erde hätte, so würde die Gravitationskraft 10 000mal so groß sein wie bei uns. Unter dem Druck einer solchen Kraft würde eine an den Enden unterstützte Stahlstange sich wie Kitt biegen.

Den Gegenpol hierzu bildet die Vorstellung vom Leben, wie es sich auf einem der kleinen Planeten gestalten müßte, die in großen Scharen zwischen Mars und Jupiter kreisen. Der kleinste von ihnen, zugleich der allerwinzigste der bisher bekannten Weltkörper überhaupt, ist der von James E. Keeler im Jahre 1900 auf der Licksternwarte in Amerika aufgefundene Planetoid. Er hat nur einen Durchmesser von einem halben Kilometer.

Eine Erde von 500 Metern Durchmesser! Welch ein seltsames Kapitel im großen Wunderbuch der Natur! Dieses Sternlein, das irgend eine kosmische Katastrophe zu einem selbstständigen Weltkörper gemacht hat, ist noch nicht einmal halb so hoch wie der Brocken. „Es käme schon bedenklich aus dem Gleichgewicht, wenn wir auf ihm ein modernes Wohnhaus errichten würden, und wenn sich darauf ein Armeekorps fortbewegte, so könnte eine solche Lageveränderung und Verschiebung einer schweren Masse das ganze 362 Liliputanersternlein in Unordnung bringen, so daß es ins Schwanken geriete und Neigung hätte, Oben und Unten zu vertauschen.

Da die Oberfläche dieser »Welt« nur 785 000 Quadratmeter groß ist, so könnte als Siedelung nur ein großes Rittergut auf ihm ein Unterkommen finden. Nur der dritte Teil des Berliner Tiergartens hätte auf jener kleinen Erde Platz. Eine »Reise um die Welt« wäre dort gerade ein angenehmer kleiner Spaziergang, denn da der Planet nur anderthalb Kilometer Umfang hat, so umwanderte ihn ein Fußgänger in kaum einer halben Stunde. Die Anlegung von Straßenbahnen wäre nicht lohnend, denn vom Nordpol bis zum Südpol dieser Welt hätte eine Bahn nur 2 bis 3 Minuten zu fahren.

Wie man leicht berechnen kann, ist auf der Oberfläche jenes Sternchens jeder Gegenstand 13 000mal leichter als auf Erden, denn die Schwere der Körper ist ja abhängig von der Anziehungskraft des Weltkörpers, auf dem sie sich befinden. Je kleiner oder leichter der Weltkörper selbst ist, desto weniger stark ist auch die Anziehungskraft, die er auf alle Gegenstände, die sich auf seiner Oberfläche befinden, ausübt. Ein Stein also, der hier einen Zentner wiegt, hat auf jener kleinen Welt ein Gewicht von etwa vier Gramm, und ein normaler erwachsener Mensch hätte dort ein so außerordentlich geringes Gewicht, daß erst zehn Personen zusammen soviel wiegen würden, wie hier bei uns ein Hühnerei! Es wäre also für Menschen unseres Schlags außerordentlich schwer dort zu laufen; bei jedem Schritt, der ja für die Verhältnisse jener Welt viel zu kräftig und ungestüm wäre, würden wir Gefahr laufen, wie ein Vogel hoch in die Luft zu fliegen. Aber Schaden würden wir dabei kaum nehmen, denn wir fielen nicht in der Weise zum Boden nieder wie hier bei uns, sondern schwebten langsamer als ein Flaumfederchen bei Windstille zu Boden. Feuerte dort die Artillerie ein Geschoß ab, es fiele garnicht mehr auf den Weltkörper nieder, sondern verlöre sich im Weltenraum oder umkreiste den kleinen Planeten beständig als ein winziger Mond.”

Die Frage, ob solche Sterne bewohnt oder bewohnbar sind, ist zwar vom wissenschaftlichen Standpunkt aus ziemlich müßig, aber doch interessant genug, um sie zu überdenken. „Wenn wir die Gewißheit hätten, daß außer Tieren und Pflanzen keine Lebewesen im Kosmos vorkämen, so könnten wir die Frage der Bewohnbarkeit unseres kleinen Sterns durch Lebewesen kurzweg verneinen. Aber es ist wahrscheinlich, daß auf anderen Himmelskörpern Geschöpfe vorkommen, die wir, wenn wir sie genauer kennen lernten, wohl als lebend, aber weder als Tier noch als Pflanze bezeichnen würden. Es ist nicht ausgeschlossen und sogar wahrscheinlich, daß solche Wesen einen ähnlich komplizierten und wunderbaren Bau haben wie irdische Lebewesen. Sie würden dann auch richtige 363 Funktionen ausüben und Bewußtsein haben können. Ihre Intelligenz könnte sogar höher sein als die der Menschen, wenn auch andersartig, wie ja auch die Tiere der Erde sehr vieles wissen und wahrnehmen, was dem Menschen entgeht.

Auf Erden ist das Leben an den Kohlenstoff gebunden. Und dieses Element scheint auch wegen seiner vierfachen chemischen Verbindungen hierzu besonders geeignet. Aber es ist nicht unmöglich, daß auch das verwandte Silizium in ähnlicher Weise eine Grundlage für Verbindungen abgeben kann, die ein organisches oder ein dem organischen ähnliches Leben begründen.” Seine Formen sind für uns allerdings nicht vorstellbar.


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