Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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226. Der Schnee-Photograph

Quelle: Moritz Loeb, Aufsatz: »Schneekristalle« in dem Werk »Die Wunder der Natur«, Deutsches Verlagshaus Bong & Co., Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart, 1912. Z.

Die wunderbaren Formen der Schneekristalle, die sich auch dem bloßen Auge offenbaren, wenn die Flöckchen auf eine dunkle Unterlage fallen, hat wohl jeder schon einmal beobachtet – und ihre rasche Vergänglichkeit bedauert. Gibt es doch kein Mittel, um diese leichten Gebilde der Kälte aufzubewahren. Nur im Bild sind die köstlichen Formen festzuhalten, mit besonders prächtigem Ausdruck dann, wenn man die Kristalle durch das Mikroskop photographiert.

Es scheint nun eine Sisyphusarbeit, die allerfeinsten Schneeteilchen auf den Beobachtungstisch des Mikroskops bringen zu wollen. Denn sie zerbrechen schon, wenn sie nur gegeneinander stoßen, zerfließen bei der geringsten Wärmezufuhr. Dennoch hat ein amerikanischer Gelehrter durch unermüdliche Geduld und erstaunliche Geschicklichkeit es fertiggebracht, Mikro-Photographien von mehr als 2000 verschiedenen Schneekristallen herzustellen. Wilson A. Bentley in Jericho hat ein Vierteljahrhundert auf die Herstellung dieser Sammlung 315 verwendet; er mußte seine Arbeiten bei strengster Kälte, oft mitten in einem wütenden Blizzard ausführen und konnte sie nur vollenden, weil er eine große Gewandtheit im raschen Einstellen des Mikroskops und eine raschest funktionierende Kamera besaß. Das Ergebnis ist aber der Mühe wert, denn wir besitzen nun Bilder von Schneekristallen, die eine unerschöpfliche Fülle der herrlichsten Formen offenbaren.

Wie in einem riesenhaften Laubwald nicht zwei Blätter zu finden sind, die einander vollständig decken, so ist auch keine der Schneeformen einer andern gänzlich gleich. Umso wunderbarer ist aber, daß sie alle Sechseckform haben, von der auch nicht ein einziges abweicht. Innerhalb dieses Rahmens gleichen die Flöckchen bald Blumen, bald Rädern, bald winzigen Säulen, immer sind sie von berückender Schönheit.

„Wer genötigt ist, zu kunstgewerblichen oder industriellen Zwecken ständig neue figürliche Kompositionen zu ersinnen, braucht sich nicht länger den Kopf zu zerbrechen, wenn er Bentleys Photographien von Schneekristallen zu Hilfe nimmt. Musterzeichner, Spitzenklöppler und Künstler der graphischen Gewerbe können aus diesem schier unerschöpflichen Born, dem Gestaltungsreichtum der Natur, ihr Leben lang Anregungen gewinnen. Vieles, ja das meiste, was der Frost hier gewissermaßen spielend erzeugt, wird sich auf dem Webstuhl freilich nicht nachbilden lassen; denn diese Linien und Figuren sind zu zart und subtil, als daß sie sich mit Kettfaden und Einschlag erzeugen ließen. Aber der Überfluß an Formen in den Schneekristallen ist so groß, daß allein die darin gegebene Anregung genügt, um durch Vereinfachungen und Abänderungen unzählige brauchbare Vorlagen zu gewinnen.”


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