Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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221. Bremsung der Erddrehung

Quelle: Dr. Fr. Bidlingmaier: »Ebbe und Flut« in der Sammlung »Meereskunde«. Verlag Ernst Siegfried Mittler & Sohn, Berlin, 1908. Z.

Die Beobachtung der Vorgänge bei den Gezeiten (siehe den vorigen Abschnitt) gestattet einen seltsamen Ausblick auf das einstige Schicksal unserer Erde.

Die Erdkugel vollzieht unter den beiden Flutbergen hinweg ihre tägliche Rotation, „indem sie 27mal schneller als diese im Raum sich dreht. Die Wassermassen reiben sich also an dem festen Erdkörper, indem sie am Meeresgrund entlang gleiten und gegen jede kontinentale Scheidewand anprallen. So wirken sie wie eine Bremse an dem festen Erdkörper, und notwendigerweise wird dadurch die Rotation der Erde verzögert, also der Tag verlängert. Gleichzeitig muß, wie man zeigen kann, auch der Monat zunehmen, nur in langsamerem Tempo als der Tag. Schon ist auf solche Weise der Mond zur Ruhe gekommen; sein Tag ist gleich einem Monat geworden, sodaß er der Erde immer dasselbe Gesicht zukehrt.

Freilich zählen die Zeiten, in denen die Zunahme des irdischen Tags und Monats merkliche Beträge erreicht, nach Jahrmillionen. Die lebendige Kraft des ungeheuren Massenkolosses, des rotierenden festen Erdkörpers, ist viel zu gewaltig, als daß sie sich viel um das bischen Weltmeer an seiner Oberfläche, um das Plätschern dieser winzig flachen Wasserschale kümmerte. Aber kleine Ursachen bringen mit der Zeit große Wirkungen hervor, und unerbittlich führt uns die Gezeitenreibung einem Zustand entgegen, in dem die Erde sich immer langsamer um ihre Achse dreht, bis sie schließlich zu ihrer eigenen Rotation dieselbe Zeit braucht, wie der Mond, um einmal die Erde zu umlaufen. Der Erdentag ist dann gleich dem Monat geworden, der Mond ist relativ zur Erde für 309 immer zur Ruhe gekommen, und wie mit einem Balken verbunden vollzieht von da an das System dieser beiden Himmelskörper in 55 unserer jetzigen Tage eine Umdrehung.

Fügt es das Geschick, daß der Mond dereinst gerade im Meridian von Berlin zur Ruhe kommt, dann werden unsere Antipoden, falls es noch solche gibt, nur noch aus Ammenmärchen von dem Mond hören, oder aber sie werden eine Weltreise unternehmen müssen, um den merkwürdigen gelben Stern zu sehen, der immer in derselben Richtung über den nächtlichen Dächern Berlins stehen bleibt.”

Sicher aber ist, daß wir das nicht mehr erleben werden! Glaubte doch Laplace aus den Beobachtungen über Sonnenfinsternisse in alten Zeiten den Schluß ziehen zu können, daß sich die Länge des Tags seit dem Jahre 729 vor Christo noch nicht um 0,01 Sekunde geändert hat. Zur Verlängerung des Tags um eine ganze Sekunde ist danach ein Zeitraum von 167 000 Jahren notwendig.


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