Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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37. Formhören

Dem Menschen mit vollkommenen Sinnesorganen scheinen die Leistungen, die Blinde mit dem Hör- und dem Tastsinn vollbringen, bereits außerordentlich. Der italienische Gelehrte Augusto Romagnoli beschreibt jedoch unter dem Titel »Formhören« Leistungen des Gehörsinns normaler Menschen, welche die Fähigkeiten der Blinden bei weitem übertreffen.

Nach Romagnoli kann man sein Gehör zum Wahrnehmen von Formen erziehen. Aus den zurückgeworfenen Schallwellen soll man auf die Form der 58 Reflexionsfläche schließen können. Romagnoli selbst hat es hierin, wie er angibt, zu großer Fertigkeit gebracht.

In einer größeren Gesellschaft bemerkte er einmal beim Sprechen seltsame Veränderungen im gewöhnlichen Klang seiner Stimme, aus denen er auf das Vorhandensein eines runden Gegenstands mit ausgezacktem Rand schloß. Er stellte fest, daß eine Vase auf einem viereckigen Tisch die Ursache der Schallveränderung war. Der Gelehrte unterscheidet im Dunkeln und mit verbundenen Augen allein durch den Klang seiner Stimme, ob ein auf ihn zukommender Mensch die Arme auswärts, vorwärts oder seitwärts streckt oder sie herabhängen läßt. Sogar die Größe und die Statur von Menschen will er auf diese Weise erkennen können. Romagnoli behauptet, daß man nach einiger Übung wohl imstande sei, architektonische Formen mit dem Gehör sicher aufzufassen, wenngleich er nicht behaupten will, daß das Ohr einen ähnlichen ästhetischen Genuß an Formen vermitteln könne wie das Auge.

Von der Richtigkeit der Behauptungen Romagnolis kann sich ein jeder bis zu einem gewissen Grad leicht selbst überzeugen. Beim Sprechen in einem wohlbekannten Zimmer wird man bei geschlossenen Augen aus dem Klang der eigenen Stimme feststellen können, ob der Teppich herausgenommen ist oder nicht, ob die Gardinen hängen oder abgenommen sind.


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