Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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204. Kriegs-Wunder

Die Zone des Schweigens

Der Geschützdonner aus dem Sundgau wurde bis in die Karlsruher Gegend, der von Ypern bis tief hinein in die preußischen Rheinlande gehört. Schlägt man vom Ursprungsort einen Kreis mit dem größten Radius der Reichweite, so sollte man annehmen, daß innerhalb dieses Kreises durchweg Hörbarkeit vorhanden sein müßte. Das ist indeß nicht der Fall. Das gesamte akustische Gebiet zerfällt vielmehr fast durchgängig in zwei Felder, die durch einen breiten Ring voneinander getrennt sind. Dieser Ring ist »die Zone des Schweigens«.

Sie wird bedingt durch atmosphärische Lagerungen, die aus sehr hohen Luftzonen den Schall reflektieren und je nach Dichte und Feuchtigkeitsgehalt bis in Gebiete entsenden, wohin der direkte Schall nicht mehr zu dringen vermag. Es ist eine Art von Echo, dessen Besonderheit spitze Reflexwinkel an der hohen Resonanzschicht beansprucht und sonach in seiner Wirkung eine mittlere Distanz überspringt. Da der Vorgang sich symmetrisch nach allen Seiten abspielt, so wird das Gebiet dieser Distanz ein Ring, innerhalb dessen der Kanonendonner verstummt, um jenseits auf weite Entfernungen hin wiederum seine Schallwucht zu äußern. 287

Irrwege der Kugeln

Bei zahllosen Millionen von Schüssen bietet sich dem Zufall Gelegenheit zu Unerhörtem. An der Westfront ereignete es sich, daß eine deutsche mit einer französischen Gewehrkugel in der Luft zusammenprallte und sich mit ihr zu einem Klumpen vereinigte. Das Stück wurde gefunden und wird wohl irgendwo als Rarität aufbewahrt.

Im Berliner Zeughaus ist das Gewehr eines deutschen Soldaten ausgestellt, gegen dessen Mündung ein feindliches Infanteriegeschoß schlug, als der Soldat gerade laden wollte. Die Mündung wurde aufgerissen, ein Teil des Geschosses fuhr durch den Lauf und zerschellte an der geöffneten Kammer. Etwas noch merkwürdigeres ereignete sich am 29. Januar 1915 an der Westfront. Da fuhr ein französisches Infanteriegeschoß richtig in den Lauf eines deutschen Gewehrs hinein, stieß gegen die darin liegende Patrone und brachte diese zur Entzündung, sodaß die Kammer aufgesprengt wurde. Auch diesmal blieb der Soldat unverletzt.

Beiläufig bemerkt: auch juristische Anomalien sind durch Projektile verursacht worden. So entspann sich allen Ernsts ein Fachstreit darüber, wem eine herausoperierte Kugel gehöre. Eine Reihe von Autoritäten vertrat in Beiträgen zu gelehrten Zeitungen folgende Standpunkte: 1. Sie gehört dem Mann, aus dessen Wunde sie entfernt wurde. 2. Sie gehört dem Militärfiskus. 3. Sie gehört dem operierenden Arzt. 4. Sie ist herrenlos (res nullius) und gehört demjenigen, der sie nimmt. Vereinzelt erhob sich sogar die Ansicht, daß die Kugel, obschon vorläufig beschlagnahmt, einen Bestandteil des feindlichen Vermögens darstelle. Im Prozeßfall wäre die fragliche Kugel beim erkennenden Richter eventuell auf ein »Wunder des Scharfsinns« angewiesen.

Der Steilschuß

Die stärksten Mörser, wie sie in Form der »dicken Berta« wirken, tragen auf sehr weite Entfernungen. Die ballistische Regel besagt, daß das Maximum bei einem Erhebungswinkel des Rohrs von 45 Grad erreicht wird. In Wirklichkeit bedingen die technischen Voraussetzungen, der Luftwiderstand usw. eine flachere Wurfparabel. Immerhin erreicht solch Geschoß im Kulminationspunkt der Bahn eine Höhe, die ihm gestattet, alle denkbaren Hindernisse zu überfliegen. Nimmt man den Standort des Geschützes und das Ziel als in der Ebene liegend an, so läßt sich von jenem zu diesem ein Volltreffer erzielen, selbst wenn sich zwischen beiden ein Gebirge von der Höhe des Montblanc auftürmte.

Die Kosten

Nach dem Durchschnitt von 1915 berechnet, hatten die kriegführenden Völker 288 in jeder Woche doppelt so viel auszubringen, wie zu Zeiten Friedrichs des Großen der ganze siebenjährige Krieg gekostet hat.


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