Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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108. Das Unterbewußtsein

Quelle: Dr. Albert Moll: »Der Hypnotismus«. Fischers Medizinische Buchhandlung, Berlin, 1907.

Unter den Phänomenen, die im Zusammenhang mit der Hypnose auftreten, ist das eigenartigste wohl die nachhypnotische Suggestion, das heißt der Zwang, der auf eine Versuchsperson ausgeübt wird, Befehle, die ihr während des hypnotischen Schlafs gegeben worden sind, nach dem Erwachen auszuführen. Die Lehre vom Unterbewußtsein hat hierdurch manche Bereicherung erfahren, weil hier unter der Schwelle des Bewußtseins ganz komplizierte psychische Vorgänge stattfinden.

Dr. Albert Moll hat einmal in der Hypnose einer Person folgendes suggeriert: »Vom letzten Dienstag an gerechnet werden Sie am sechzehnten Dienstag zu mir kommen und alle Anwesenden mit Schimpfworten anreden.« Diese Suggestion ging in Erfüllung; hier hat natürlich im Unterbewußten eine bestimmte Arbeit stattgefunden. Entweder hat das Unterbewußtsein das Datum ausgerechnet oder, was ebenso möglich ist, es hat das Unterbewußtsein die Wochen gezählt, sodaß der richtige Dienstag schließlich zur Verwirklichung der Suggestion benutzt wurde.

Der hervorragende Lütticher Psychologe Delboeuf hat ähnliche Versuche gemacht. Er gab für den Termin zur Verwirklichung der nachhypnotischen Suggestion eine größere Zahl von Minuten an, die nach dem Erwachen bis zur Ausführung der Handlung verstreichen sollten; so erteilte er den Befehl, nach tausend Minuten dies oder jenes zu tun. Ein englischer Arzt, Bramwell, gab einer neunzehnjährigen Dame den Auftrag, nach Verlauf von 4335 Minuten ein Kreuz aufzuzeichnen. Sowohl bei Delboeuf wie bei Bramwell sind solche Versuche wiederholt gelungen, obwohl die Versuchspersonen im normalen Zustand Zeiten nicht gut schätzen konnten. Die Fehler, die bei weiteren Versuchen auftraten, waren verhältnismäßig gering; sie betrugen höchstens fünf Minuten, und diese sind durch das Zögern bei der Ausführung des Versuchs erklärbar. In Zwischenhypnosen wurden die Versuchspersonen wiederholt aufgefordert, die Minuten in Tage und Stunden zu verwandeln; sie verrechneten sich hierbei, führten aber den Auftrag trotzdem richtig aus, einige Male sogar während des nächtlichen Schlafs.

Noch interessanter ist aber die irrtümliche Motivierung bei Ausführung suggerierter Handlungen. Wenn Erinnerungslosigkeit besteht, weiß die Versuchsperson nicht mehr, daß ihr eine Suggestion gegeben wurde, und bei Ausführung der entsprechenden Handlung sucht sie deshalb diese oft auf ganz merkwürdige Weise zu motivieren. Moll erzählt folgendes Beispiel:

Ein Herr ist in Hypnose. Ihm wird suggeriert, nach dem Erwachen einen 144 Blumentopf vom Fensterbrett zu nehmen, ihn in ein Tuch einzuwickeln, auf das Sofa zu stellen und dann dreimal eine Verbeugung vor dem Blumentopf zu machen. Alles wird pünktlich ausgeführt. Nach dem Grund seines Handelns gefragt, erwidert der Herr: »Wissen Sie, so nach dem Erwachen sah ich dort den Blumentopf stehen, da dachte ich mir, es ist kalt, ein derartiger Blumentopf muß gewärmt werden, sonst geht die Pflanze zu Grunde. Ich wickelte ihn deswegen in das Tuch, und dann dachte ich mir, das Sofa steht so hübsch nahe am Ofen, da werde ich den Blumentopf auf das Sofa stellen. Die Verbeugungen machte ich mehr aus Hochachtung vor mir selbst über die gute Idee, die ich gehabt hatte.« Der Herr erklärte, daß er etwas törichtes in der ganzen Sache nicht finden könne, er habe ja seine guten Gründe dafür angegeben.

Solche irrtümliche Motivierung, ein Vorgang, der überaus häufig beobachtet wurde, weist deutlich auf die relative Wertlosigkeit unseres Gefühls der Willensfreiheit hin. Von Spinoza rührt der Ausspruch her, die Illusion des freien Willens sei weiter nichts als die Unkenntnis der Motive unserer Entschlüsse. Wenn man hypnotische Experimente macht, kann man gewissermaßen experimentell die Richtigkeit dieses Satzes zeigen. Andererseits darf man natürlich nicht vergessen, daß es sich hier um einen Ausnahmezustand handelt, und man wird sich deshalb vor Verallgemeinerungen hüten müssen.


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