Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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115. Der Spuk in Hydesville und in Stratford

Quelle: Dr. Alfred Lehmann: »Aberglaube und Zauberei von den ältesten Zeiten an bis in die Gegenwart«, deutsche autorisierte Übersetzung von Dr. med. Petersen I, Düsseldorf, zweite Auflage. Verlag von Ferdinand Enke, Stuttgart, 1908. Z.

Die beiden Vorfälle, die im Folgenden geschildert werden, haben eine besondere geschichtliche Bedeutung darum, weil sie den Anlaß zu der ganzen spiritistischen Bewegung gegeben haben.

„In dem kleinen Dorf Hydesville in der Grafschaft Wayne (Nordamerika) wurde ein Mann nachts durch Klopfen an seine Tür geweckt. Es war indes niemand da. Kaum hatte er sich ins Bett gelegt, als es wiederum klopfte, und dieses wiederholte sich mehrere Male, ohne daß er die Ursache entdecken konnte. Einige Zeit nachher wachte seine kleine Tochter um Mitternacht mit einem Schrei auf und erzählte, eine kalte Hand sei ihr über das Gesicht gefahren. Dann hörte man nichts mehr von der Sache, bis achtzehn Monate später ein angesehener Methodist, Fox, mit Frau und drei Töchtern in das Haus kam.

Im Februar 1848 fing eines Abends, als die Kinder zu Bett gebracht waren, das eigentümliche Klopfen wiederum an. Eins der Kinder begann aus Spaß mit den Fingern zu knipsen, und das Klopfen erfolgte in demselben Takt. Das Kind rief: »Zähle nun eins, zwei, drei, vier« usw.; vor jeder Zahl klatschte es in die Hände. Das unbekannte Wesen klopfte in derselben Weise. Frau Fox forderte es nun auf, bis zehn zu zählen, worauf zehn Schläge gehört wurden. Sie fragte dann nach dem Alter der Kinder, für jedes einzelne wurde die richtige Anzahl Schläge gegeben. Die Frau fragte dann, ob es ein menschliches Wesen sei, das diesen Lärm mache; aber es kam keine Antwort. Sie fragte dann, ob es ein Geist sei; wenn es der Fall sei, so solle dieses durch 155 zwei Schläge bestätigt werden. Es klopfte zweimal. Sie fragte nun weiter und erfuhr, daß der Geist hier auf Erden Krämer gewesen sei, in demselben Hause gewohnt habe, ermordet und im Keller begraben worden sei.

Bei der Untersuchung fand man später auch wirklich im Keller einen Unterkiefer und einige Haare; ob sie aber von einem Menschen herrührten, wurde nicht festgestellt. Die Sache erregte Aufsehen, die Nachbarn strömten herbei, um das Klopfen zu hören, das sich stets in der darauf folgenden Zeit wiederholte; niemand konnte die Ursache entdecken. Die Familie Fox wurde als vom Teufel besessen angesehen und aus der Methodistenkirche ausgestoßen; kurz darauf zog sie nach der Stadt Rochester.

Hier ging das Klopfen wieder los und erregte dasselbe Aufsehen wie früher. Da es nur in Gegenwart der Kinder stattfand, nahm man ganz natürlich an, daß sie in irgend einer Weise den ganzen Lärm verursachten.

Es wurde deshalb ein Komitee aus den angesehensten Männern der Stadt eingesetzt, das die Sache untersuchen sollte. Dieses ging sorgfältig zu Werke; es stellte die Kinder barfuß auf Kissen und vergewisserte sich, daß sie keinen Apparat hatten, mit dem sie die Laute hervorrufen konnten. Trotz dieser Vorsichtsmaßregeln hörte man das Klopfen im Fußboden und in den Wänden; es war aber nicht möglich, die Ursache zu entdecken.

Viele Menschen kamen nun des Abends zur Familie Fox, um dies berüchtigte Klopfen zu hören; man versammelte sich gewöhnlich um einen größeren Tisch, und nun schienen die Laute von diesem auszugehen. Auf solche Weise wurden das Tischklopfen und kurz darauf auch die Bewegungen des Tischs, das Tischrücken, entdeckt. Mehrere Personen fanden nun, daß auch in ihrer Nähe solche Laute und Bewegungen entstehen konnten, während dieses bei andern Leuten niemals geschah; damit war also die besondere Gabe der Mediumität festgestellt.

Es wurden dann zuerst in Rochester und später in den Nachbarstädten öffentliche Vorträge über diese merkwürdigen Phänomene gehalten. Die Sache wurde dadurch in weiteren Kreisen bekannt; man fing überall an, mit den Tischen zu experimentieren, und in kurzer Zeit verbreitete sich die Bewegung über ganz Amerika und pflanzte sich nach Europa fort.

Kaum war das Klopfen in Rochester verstummt, so fingen in einer andern amerikanischen Stadt, Stratford (Ontario), einige Spukgeschichten noch ernsterer Art an.

Der Spuk ereignete sich im Hause des Predigers Dr. theol. Phelps, er begann, wie in Hydesville, mit Klopfen und Bewegungen. Außerdem wurden verschiedene Gegenstände in geheimnisvoller Weise in den Stuben umhergeworfen, 156 und selbst als man die Türen abschloß, hinderte dieses die Gegenstände nicht, sich auf eigene Hand umherzutummeln. Man sah, wie ein Stuhl sich von der Diele erhob und fünf- bis sechsmal mit einer solchen Wucht herabfiel, daß das ganze Haus erzitterte und selbst die Nachbarn es spürten. Ein großer Metallarmleuchter, der auf einem Kamin stand, wurde von einer unsichtbaren Kraft auf den Fußboden gesetzt und solange gegen diesen geschlagen, bis er zerbrach. In einem der Zimmer zeigten sich Gestalten, aus Kleidern gemacht, die im Haus gesammelt waren; diese waren so ausgestopft, daß sie Menschen ähnlich sahen.

Am häufigsten knüpften diese Ereignisse sich an die Person des jungen, elf Jahre alten Harry Phelps. Er wurde auf verschiedene Weise vom Spuk geplagt; bald wurden seine Kleider zerrissen, bald wurde er in den Brunnen geworfen, einmal wurde er sogar gebunden und an einem Baum aufgehängt. Später begannen allerlei Zerstörungen, die Fenster und Glasgeräte des Hauses wurden zerschlagen; es wurden Blätter aus Dr. Phelps Notizbüchern, die in einem verschlossenen Sekretär lagen, gerissen; zuletzt brach sogar Feuer in dem Haus aus, sodaß eine Menge Briefe und Manuskripte verbrannten. Nachdem so ein paar Jahre verflossen waren, beschloß man endlich, mit den feindlichen Mächten auf die von der Familie Fox angegebene Weise zu verhandeln, und die Störungen hörten dann allmählich auf.”

Zur Beurteilung dieser seltsamen Vorgänge wurde der bekannte okkultistische Schriftsteller Andrew Jackson Davis, den man den »Swedenborg der neuen Welt« nannte, herbeigerufen. Seiner ganzen somnambulen Natur nach kam auch er natürlich zu denselben Ergebnissen wie die andern, daß nämlich Geister in Hydesville und in Stratford ihr Wesen trieben. Aber auch ihm drängten sich schon Einwände auf. „Die Eltern, schreibt er, haben beständig in allen Fällen die Aussagen des Knaben für buchstäblich wahr genommen, aber ich entdeckte, daß er häufig in einer gewissen geistigen Aufregung nicht imstande war, zwischen den Wirkungen, die er selbst hervorrief, und denen, die von einem anwesenden Geist hervorgerufen wurden, zu unterscheiden.« Endlich heißt es: »Die Unglücksfälle, die im Haus vorkamen, habe ich als Beweis für satanische Wirkungen anführen hören, aber ich habe entdeckt, daß einige von ihnen vom Knaben aus Spaß und andere von unverzeihlich boshaften Personen, die der Familie ganz fremd waren, ausgeführt wurden.«”

Also bereits Davis zweifelt das Mystische bei diesem Phänomen an, und sicher wäre man zu einer ganz natürlichen Erklärung gekommen, wenn zur Nachforschung ein nüchtern denkender Gelehrter berufen worden wäre. 157


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