Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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12. Riesenbrücken

Quellen: Ernst von Hesse-Wartegg: »Die Wunder der Welt«. Union, Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig. – Dr. Richard Hennig: »Buch berühmter Ingenieure«. Verlag von Otto Spamer, Leipzig, 1911.

Der Hauptteil der Fünfmillionenstadt New York, die bereits mehrfach erwähnte Manhattan-Insel, ist durch außerordentlich breite Flußmündungen von den übrigen Stadtteilen getrennt. Der sehr lebhafte Verkehr zwang dazu, feste Verbindungen zwischen den Stadtteilen zu schaffen; dies führte zu Brückenbauten von großer Kühnheit und ungewöhnlicher Ausdehnung.

15 Zuerst entstand die Brooklyn-Brücke über den East River, die größte Hängebrücke der Welt. Sie ist mit ihren Zufahrten fast 1850 Meter lang und liegt 41 Meter über dem Wasserspiegel. Bis vor kurzem noch konnten die größten Schiffe unter ihrem sanft gewölbten Bogen hindurchfahren. Das ist jetzt allerdings nicht mehr möglich, weil die Schornsteine des Hamburger Riesendampfers »Imperator« 47½ Meter über das Wasser ragen. Der Brückenbau wird von vier kolossalen, unter wahren Mauerbergen verankerten Stahltrossen gehalten, von denen jede fast einen halben Meter stark ist. Nicht weniger als 23 000 Kilometer Draht sind in diese Seile hineingeflochten.

Im Zug der 181. Straße wird der Hudson-Fluß von der Washington-Brücke überspannt. Ihre größte Spannweite beträgt 156 Meter. Das Gewaltigste an diesem Bauwerk aber sind die Brückenpfeiler, welche die höchsten Steinbauten der Welt darstellen. Mit ihrer Höhe von 173 Metern überragen sie die Spitze des Ulmer Münsterturms um 12 Meter.

Höher noch über dem Wasser als die Brooklyn-Brücke liegen merkwürdigerweise die Brückenbauten, die mitten aus der weiten, flachen Ebene der Holsteinischen Marschen emporsteigen. Ihre Aufgabe ist es, den Verkehr über der breiten Einschnitt hinüberzuleiten, den der Nordostseekanal hier bildet. Di. höchsten Mastspitzen der größten Schiffe müssen unter den Brückenbahnen hindurchfahren können, während doch das Kanalbett nur mit geringer Vertiefung in die Landschaft eingeschnitten ist. Die Zufahrt vom Bahnhof Rendsburg zu der nahe gelegenen Hochbrücke hat zur Ausbildung einer Schleife gezwungen, wie sie sonst nur im Hochgebirge anzutreffen ist. Der große Höhenunterschied zwischen dem Bahnhof und der Schienenlage auf der Brücke konnte eben nur durch künstliche Längen-Entwicklung überwunden werden. Jeder Zug fährt auf der Rampe einmal vollständig im Kreise herum.

Deutschlands längster Brückenbau ist die Anlage, welche die Eisenbahn bei Müngsten über die Wupper führt. Das Tal des Flusses ist hier tief eingeschnitten, sodaß die Kaiser-Wilhelm-Brücke nicht weniger als 107 Meter über dem Wasserspiegel liegt. Der kühne Mittelbogen hat eine Spannweite von 170 Metern, die ganze Brücke ist 500 Meter lang.

Zu den gewaltigsten Eisenbauten auf der Erde zählt die Bahnbrücke über den Firth of Forth in Schottland. Die Ostküste dieses Lands wird von gewaltigen Flußmündungen zerrissen, die durch die Kraft der Wogen zu breiten Meeresarmen erweitert sind. Sie schneiden sehr tief in das Land ein und bildeten schwere Hindernisse, namentlich für den Verkehr der Hauptstadt Edinburgh mit den nördlichen Landesteilen. Erst in neuerer Zeit ist es gelungen, den breitesten dieser Einschnitte, den Forth-Busen zu überbrücken.

16 Über den schmaleren Firth of Tay war schon in den siebziger Jahren eine Eisenbahnbrücke gespannt worden. Aber gerade dadurch sollte die Errichtung weiterer Bauten dieser Art für längere Zeit aufgehalten werden. Denn die von Bouch mit mangelhaftem Material, unter reichlicher Verwendung des für solche Zwecke wenig geeigneten Gußeisens errichtete Tay-Brücke brach in der Nacht zum 28. Dezember 1879 bei einem Orkan zusammen, als gerade ein Zug darüberfuhr. Der Mittelteil stürzte mit dem Zug ins Wasser. Es ist dies eine der größten Eisenbahnkatastrophen, die sich je ereignet haben; 200 Menschen kamen dabei ums Leben. Das schreckliche Begebnis ist von Theodor Fontane in seinem berühmten Gedicht »Die Brücke am Tay« behandelt worden, und Max Eyth hat es in seinem schönen Buch »Hinter Pflug und Schraubstock« unter der Überschrift »Berufstragik« ausführlich beschrieben. Derselbe Bouch hatte auch einen Entwurf für die Forthbrücke gemacht, der dann glücklicherweise nicht zur Ausführung kam; auch dieser Plan enthielt schwere Konstruktionsfehler.

Das bedeutende Werk gelang dann in den Jahren 1883–1890 dem Ingenieur John Fowler. Bevor noch die Tay-Brücke irgend jemandem Mißtrauen einflößte, hatte dieser geniale Mann ihre Schwäche so genau erkannt, daß er seinen Familienmitgliedern strengstens verboten hatte, darüber zu fahren. Er unternahm die Überbrückung des breiten Forth-Busens nach einem neuen System, das dem Bauwerk ein ganz eigenartiges Aussehen gegeben hat. Die wichtigsten Teile der beiden großen Bogen, also die Mittelstücke, sind im Gegensatz zu den andern Bauten dieser Art ganz schwach konstruiert. Das macht einen geradezu abenteuerlichen Eindruck. Man glaubt beim Anblick, diese Brücke könne keine Belastung aushalten. Es ist aber bei ihr durch einen hervorragenden und kühnen konstruktiven Gedanken eine solche Verteilung der Kräfte bewirkt, daß die sonst am meisten belasteten Mittelstücke nur sich selbst zu tragen haben.

Die ganze Forth-Brücke ist 2470 Meter lang. Die Spannweiten der beiden Mittelöffnungen betragen je 521 Meter. Die freischwebenden Mittelstücke sind je 106 Meter lang. Die Schienen liegen fast 50 Meter über dem Wasserspiegel. Die Gesamtbaukosten, einschließlich der Anschlüsse an die vorhandenen Bahnstrecken, haben 3 367 625 Pfd. Sterl., das sind 67 400 000 Mark, betragen. 50 Millionen Kilogramm Eisen sind für das Bauwerk verbraucht worden.


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