Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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4. Der Nilstaudamm von Assuan

Als die Pyramidenbauer vor tausenden von Jahren die Steinblöcke aus den Randgebirgen des Nils brachen, um ihre mächtigen heiligen Bauten daraus zu errichten, da mißglückte ihnen wohl auch einmal die Formung einer Quader; sie ließen sie dann halb bearbeitet am Fuß des Gebirges liegen. Manch einer dieser Blöcke, behauen von Händen, deren Zeitalter längst unter dem Horizont der Geschichte versunken ist, manche Quader, die das Grab eines Pharao beschützen sollte, hat nun bei einem hochmodernen Bauwerk Verwendung gefunden. Die altehrwürdigen Steine haben aber dabei keinen unangemessenen Platz erhalten, denn was da von neuzeitlichen Europäern im Tal des ägyptischen Stroms erbaut worden ist, darf sich an Großartigkeit mit den Pyramiden beinahe messen; man könnte auch sagen, daß es sie an Nützlichkeit weit übertrifft, wenn dieser Vergleichsmaßstab hier angebracht wäre.

Der Nil ist noch heute, wie in den biblischen Zeiten, der Spender des Reichtums für Ägypten. Die modernen Produkte des sonnendurchglühten Landes, wie Baumwolle, Weizen oder Zuckerrohr, gedeihen nur da, wo das Wasser des Stroms Schlamm und genügende Feuchtigkeit hinträgt. Nun ist der Wasserstand des Nils außerordentlich wechselnd. Wenn in den Gebirgen seines innerafrikanischen Quellgebiets der Schnee schmilzt, wälzt der Fluß ungeheure Wassermengen dahin. Er tritt weit über seine Ufer, aber es konnte früher durchaus nicht alles Wasser der guten Monate ausgenutzt werden, sondern ein großer Teil rann in diesen Zeiten des Überflusses ungenutzt ins Meer. Wenige Monate später lagen dann weite Strecken verdurstet da und vermochten keiner Pflanze Leben zu spenden.

Hier war es also nutzbringend, einen Ausgleich zu schaffen, eine Einrichtung, die gestattete, das überflüssige Wasser zur Zeit der Flut zu sammeln und seine Segnungen möglichst über das ganze Jahr zu verteilen. Eine solche Sparbüchse für Wasser ist der heutigen Technik nichts Unbekanntes; man nennt sie eine Talsperre. Der mächtigste dieser Bauten steht heute am oberen Nil in der Nähe der Stadt Assuan.

Das Tal des Nils ist hier zwischen den einsäumenden Gebirgen 2000 Meter breit. Um das Flutwasser anstauen zu können, wurde eine steinerne Mauer von kolossalen Abmessungen errichtet, die das ganze Tal absperrt. Das Material hierzu wurde in den benachbarten Gebirgen gebrochen, und so ruht heute mancher Block, der ursprünglich bestimmt war, als Bestandteil einer Pyramide in der Sonnenglut der Wüste zu liegen, auf dem Grund des Stroms. Die Sperrmauer, die fast senkrecht zur Flußachse gezogen wurde, ist 2 Kilometer lang, oben 12, unten 35 Meter breit und – nach der vor kurzem vollendeten Erhöhung – 7 fast 50 Meter hoch. Ihre Staukraft reicht 225 Kilometer flußaufwärts. Der künstlich gebildete See vermag jetzt bei gänzlicher Füllung wohl 2⅓ Milliarden Kubikmeter Wasser zu fassen.

Damit man die Wassermassen nach Belieben abfließen lassen kann, sind in der Sperrmauer 180 tunnelartige Öffnungen freigelassen, die durch Schützentore gesperrt werden können. Diese Tore haben bei voller Stauung einen sehr hohen Druck auszuhalten; er geht bei den Toren der untersten Reihen bis zu 210 000 Kilogramm. Einige Zeit nach Beginn des Hochwassers auf dem Fluß – wenn die oberste schlammführende Schicht abgelaufen ist – werden sie alle geschlossen und bleiben nun drei Monate lang in diesem Zustand; denn so lange Zeit braucht der riesige See, um sich aufzufüllen.

Eine sehr eigenartige Folge der Nilanstauung durch den Damm von Assuan ist es, daß die alten Tempel, die auf der Nilinsel Phylae stehen, dadurch während des größten Teils des Jahrs unter Wasser liegen. Der Hathortempel mit seiner reizvollen Darstellung antiker Tänzer und Musiker, der berühmte »Kiosk«, den Kaiser Augustus begonnen, Kaiser Trajan vollendet hat, sie werden regelmäßig von den Fluten begraben und sind so sicherer allmählicher Zerstörung verfallen. Nur der hochgelegene Isistempel mit seinen riesigen Pylonen ragt immer über den Wasserspiegel hinaus als ein Grabdenkmal untergegangener Schönheit.


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