Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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91. Selbstpeinigungen

Quellen: Dr. Hutten: »Das schwarze Schuldbuch«. Verlag für Volksaufklärung von Alfred Metzner, Berlin, 1910. – Dr. Max Kemmerich: »Aus der Geschichte der menschlichen Dummheit«. Verlag von Albert Langen, München.

Es ist eine im Mittelalter häufig zu beobachtende Erscheinung, daß Menschen einzeln oder auch in großen Gruppen sich Schmerzen zufügten, um die Gottheit zu versöhnen. Am bekanntesten sind die Züge der Flagellanten, die zuerst in Italien, dann, als der schwarze Tod um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts durch Mitteleuropa schritt, auch in Deutschland üblich waren. Die Flagellanten oder Geißler zogen selbst im härtesten Winter mit entblößtem Oberkörper dahin und peitschten sich bis aufs Blut. Pater Damiani, Abt im Stift Gubbio, regelte die Geißelübungen nach einem arithmetischen System, nach dem 3000 Geißelhiebe gleich einem Jahr Buße zu bewerten waren. Einer seiner Untergebenen, der Mönch Dominikus der Gepanzerte, brachte es bis auf 300 000 Hiebe in einer Woche.

Besonders erfinderisch in der Askese war der heilige Franz von Assisi, der Begründer der Bettelorden. Nachdem er ursprünglich dem Lebensgenuß zugewendet war, übte er später das Küssen der Geschwüre bei Aussätzigen, das Küssen und Umschmeicheln der Läuse, die Gewöhnung der Zunge an die unappetitlichsten Dinge, wie Eselsmist. Anhängerinnen des heiligen Franz waren die heilige Klara und die heilige Passidea, die ihre selbstgeschlagenen Wunden mit Essig und Pfeffer wusch, auf Kirschkernen schlief, sich im Teich einfrieren ließ und sich mit dem Kopf nach unten in einen rauchenden Schornstein hängte.

Als Selbstpeiniger hat aus früherer Zeit der Syrer Symeon eine besondere Berühmtheit erlangt. Um dem Himmel schon auf Erden möglichst nahe zu sein, brachte er 36 Jahre seines Lebens auf einer schmalen Säule zu, die zuerst 6 Ellen hoch war, allmählich aber auf 36 Ellen erhöht wurde. Er starb 460. Seine Nachfolger, deren es bis zum zwölften Jahrhundert in Palästina und Syrien zahlreiche gab, wurden Säulenheilige (Styliten) genannt. Symeon der Jüngere soll es auf 68 Jahre Säulenaufenthalt gebracht haben.

Viele andere Selbstpeinigungen zur höheren Ehre Gottes werden berichtet. Der heilige Eusebius schleppte sich mit einem Gewicht von fast drei Zentnern Eisen durchs Dasein. Thaleläus klemmte sich für zehn Lebensjahre in die Speichen eines Wagenrads. Der heilige Makarius wählte zum Sitz für seine entblößte Kehrseite einen Ameisenhaufen. Eine häufig geübte Askese war das ewige Schweigen, ferner verzichtete man auf das Waschen oder strafte sich selbst mit Schlafentziehung. Seit den Zeiten des Justinian wurde dauerndes Weinen modern, gewiß eine schöne Methode, um Gott die Freude über seine Schöpfung auszudrücken. 121


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