Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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225. Die schiefe Friedrichstraße

Quelle: Ausschnitt aus der »Vossischen Zeitung« vom 29.11.1915.

Ein Schnitt durch die Erde in der Richtung ihrer Achse geführt, ergibt bekanntlich keinen Kreis, sondern eine Ellipse. Die Erde ist infolge der bei ihrer Drehung auftretenden Zentrifugalkraft an den Polen abgeplattet. Folglich muß jeder Marsch, den man auf unserer Halbkugel von Süden nach Norden macht, den Dahinschreitenden dem Erdmittelpunkt näher bringen.

Die große Verkehrsader Berlins, die Friedrichstraße, zieht nun mit ziemlicher Genauigkeit von Süden nach Norden. Geht man in dieser Erstreckungsrichtung über ihr Pflaster, so muß man notwendigerweise dem Erdmittelpunkt näher kommen; der Belleallianceplatz am Südende der Straße muß weiter von 314 ihm entfernt sein als das Oranienburger Tor im Norden. Jeder wird das auf eine Frage hin sofort zugeben, aber auch gleich hinzusetzen, daß der Unterschied doch nur sehr gering sein, daß es sich nur um ein verschwindend kleines Maßteilchen handeln könne.

Um so verblüffender ist die Antwort. Es sind nämlich 7 Meter.

Der Beweis – ohne mathematische Genauigkeit – ist leicht erbracht. Die Friedrichstraße ist reichlich drei, der ganze Erdquadrant zehntausend Kilometer lang; dadurch ist ja unser Längenmaß, das Meter, definiert. Die Friedrichstraße macht also rund den dreitausendsten Teil des Erdquadranten aus, es wird also auf sie auch der entsprechende Teil der Abplattung entfallen. Die ganze Abplattung beträgt ein Dreihundertstel des Werts, das heißt, der Polarradius ist um ein Dreihundertstel kürzer als der Äquatorialradius. Das ist relativ sehr wenig, absolut ausgedrückt macht es aber, da der Erdradius 6300 Kilometer lang ist, immerhin 21 000 Meter aus. Und hiervon der dreitausendste Teil: es sind und bleiben sieben Meter.

Daraus wiederum folgt, daß eine senkrechte Wand am Nordende der Friedrichstraße mit einer gleichfalls genau senkrechten Wand am Südende einen nicht unbeträchtlichen Winkel bilden muß. Solche Winkel lassen sich im allgemeinen schon bei sehr langen Gebäuden rechnerisch bestimmen, wenn sie auch dem Maurer nicht bemerkbar werden.


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