Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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245. Wie die Sonne geheizt wird

Quelle: Felix Linke: »Kann die Erde untergehen?« Verlag von J. H. W. Dietz Nachf., Stuttgart, 1911.

Eine der tiefsten Erkenntnisse, die dem Menschengeist gelungen sind, ist die von der Einheitlichkeit der Naturgesetze im Weltall. Der ganze Kosmos ist demselben Gesetzbuch unterworfen. Und es kennt keinerlei Standesunterschiede. Ob man ein bescheidenes Wasserstoffatom, ein Eisenmolekül oder eine strahlende Sonne ist, immer hat man in gleicher Weise dem über alles erhabenen und doch das Kleinste nicht vernachlässigenden Gesetz zu gehorchen.

Nun sagt ein sehr wichtiger Paragraph in dem großen Gesetzbuch der Natur, daß ein Körper nicht dauernd Energie abgeben kann, ohne daß ihm Energie zugeführt wird. Es ist dies ja der berühmte Paragraph, der den armen Perpetuum mobile-Erfindern immer so unangenehm in die Quere kommt. Wärme aber ist nur eine bestimmte Form von Energie. Da müssen wir uns fragen: die Oberfläche der Sonne strahlt seit unvorstellbar langen Zeiträumen, Jahrmillionen oder Jahrbillionen, Wärme in den Weltenraum hinaus; woher bezieht sie die Energiemengen, die sie nötig hat, um so viel Wärme so lange Zeit hindurch ständig und, so weit wir wissen, unvermindert abzugeben?

Ganz leicht ist die Beantwortung der Frage nicht, und es erscheint nicht vollkommen feststehend, ob heute schon das letzte Wort darin gesprochen ist.

Die Oberfläche der Sonne strahlt in der enormen Hitze von 6000 bis 8000 Grad. Die Wärmemenge, die sie in einem Jahr allein der Erde zusendet, würde genügen, um einen die Erde rings einhüllenden Eispanzer von 31 Metern Dicke abzuschmelzen. Wenn die Sonne nicht wäre, würde die mittlere Jahrestemperatur in Europa, die jetzt +13 Grad beträgt, sich in -73 Grad verwandeln. Dabei ist natürlich die von der Sonnenoberfläche ausgehende Wärmemenge, welche die Erde trifft, nur ein ganz geringer Bruchteil der insgesamt ausgestrahlten Wärme. Schwebt doch die Erde als ein unbedeutendes Stäubchen im Weltenraum, in den die Sonnenoberfläche nach allen Richtungen einstrahlt. Nur der zweimilliardste Teil der Sonnenwärme gelangt auf die Erde.

Um die von der Sonne ausgestrahlte Wärme zu ersetzen, müßte man nach der Angabe von Helmholtz stündlich 75 000 Kilogramm Kohle auf jedem Quadratmeter der Sonne verbrennen. Ohne Wärmezufuhr müßte sich die Sonne jährlich um vier bis acht Grad abkühlen. Das kann aber nicht gut der Fall sein, denn dann müßte die Sonne, die den alten Ägyptern geschienen hat, um 6000 Grad wärmer gewesen sein als die, welche uns heute leuchtet. Und in verhältnismäßig kurzer Zeit schon wäre ein völliges Erlöschen des Gestirns zu befürchten. Sehr bald müßte die ganze Erde vereisen und der letzte Mensch frierend seinen Tod in einer Eishöhle abwarten.

342 In Wirklichkeit ist sicherlich die Sonnenwärme in der historischen Zeit, die doch nun schon fast 7000 Jahre alt ist, nicht geringer geworden. Woher schöpft nun der glühende Ball die Energie, die ihn so lange Zeit hindurch in gleicher Wärme hält?

Zunächst hat man angenommen, daß die nötige Wärmezufuhr durch das immerwährende Aufprallen von Meteoren auf die Sonne bewirkt würde. Aber das kann nicht sein, weil dann die Sonne inzwischen schon eine so bedeutende Vergrößerung ihrer Masse erfahren haben müßte, daß die heutige Ordnung im Planetensystem nicht mehr bestehen könnte.

Es ist darum klar, daß die Wärmezufuhr an die Sonnenoberfläche nicht von außen kommen kann, sondern nur vom Innern der Sonne her. Helmholtz meinte, daß der Fall der äußeren Sonnenteilchen gegen den Mittelpunkt hin die ausgestrahlte Wärme immer neu bilde. Dieser Fall gegen den Mittelpunkt muß eintreten, da ja die Sonne beständig Wärme verliert und sich eigentlich abkühlen, dabei also schrumpfen muß. Schrumpfung bedeutet aber nichts anderes, als Fall der äußeren Teile gegen den Mittelpunkt, und dabei muß Wärme frei werden. Helmholtz hat gezeigt, daß bei der gewaltigen Größe des Sonnenballs der Durchmesser jährlich nur um 60 Meter zu schrumpfen brauchte, um alle diejenige Wärme bereitzustellen, die in den Raum hinausgestrahlt wird. In einem Jahrhundert würde der Sonnenkörper dabei um 6 Kilometer abnehmen, in 2000 Jahren um 1/100 Prozent – also um einen Betrag, den man mit den besten Hilfsmitteln der modernen Meßtechnik nicht nachzuweisen vermag.

Dehnt man aber diese Rechnung über sehr lange Zeiträume aus, so ergibt sich, daß die Sonne, um ihren heutigen Zustand erreicht zu haben, nicht älter als 18 Millionen Jahre sein könnte. Daraus folgte, daß der Erde für ihre Entwicklung bis zum heutigen Tag nur wenige Millionen Jahre zur Verfügung gestanden hätten, was für den Ablauf der geologischen Perioden und auch für die biologischen Entfaltungen durchaus zu wenig ist; diese müssen sich vielmehr in außerordentlich viel größeren Zeiträumen abgespielt haben.

Der große schwedische Forscher Svante Arrhenius vermeidet bei der von ihm aufgestellten Theorie diese Klippe. Auf der Oberfläche der Sonne gibt es, wie wir aus spektroskopischen Untersuchungen wissen, nur chemische Elementarstoffe; in der Tiefe aber, die durch die Sonnenflecke dem Spektroskop hier und da zugänglich gemacht wird, sind chemische Verbindungen vorhanden. Wenn diese Verbindungen aus dem Innern der Sonne, in deren Mittelpunkt nach Arrhenius ein fürchterlicher Druck von 8520 Millionen Atmosphären herrscht, rasch zur Oberfläche aufsteigen, zerfallen sie, und dabei werden ungeheure Energiemengen frei. Der Zerfall geschieht unter gewaltigen Explosionen, 343 gegen welche die Detonationen von Dynamit als der Hauch aus dem Mund eines Kindes anzusehen sind.

Bei solchen Explosionen auf der Sonne sind Geschwindigkeiten emporgeschleuderter Materie von 900 Kilometern in der Sekunde beobachtet worden. Ihre unvergleichliche Kraft steht also fest. Sie genügen, um der Sonnenoberfläche immer wieder neue Wärmemengen zuzuführen, die ausgestrahlte Wärme Milliarden und Billionen Jahre lang immer wieder zu ersetzen, sodaß auf diese Weise unser Sonnensystem noch undenklich lange Zeiten hindurch in unveränderter Weise bestehen kann, wenn auch seine Dauer nicht als ewig bezeichnet werden darf.


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