Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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246. Sternweiten

Quelle: Bruno H. Bürgel: »Aus fernen Welten«. Verlag Ullstein & Co., Berlin, Wien, 1910.

»Was mich immer wieder mit neuer Bewunderung erfüllt, ist der gestirnte Himmel über uns und das moralische Gesetz in uns« hat Immanuel Kant gesagt. Schon der bloße Anblick des sternfunkelnden Firmaments in einer klaren Nacht vermag in der Tat tiefste Wirkung auf den Menschen auszuüben. Und die Bewunderung wächst so weit, daß sie fast die engen Hüllen der menschlichen Seele sprengt, wenn man nur ein wenig tiefer in die ewigen Geheimnisse dort oben eindringt. Welche Großartigkeit enthüllt allein die äußere Betrachtung der Entfernungen im Sternenraum!

Das Gestirn, welches uns zunächst seine Kreise beschreibt, ist der Freund unserer Nächte, der Trabant der Erde, der Mond. Er ist nur 384 000 Kilometer von uns entfernt. Wollten wir im Schnellzug zu ihm reisen, so brauchten wir immerhin schon sechs Monate zu einer solchen Fahrt. Das vom Mond zurückgeworfene Licht legt allerdings den Zwischenraum bis zur Erde in wenig mehr als einer Sekunde zurück, denn es vermag – ebenso wie die elektrischen Wellen – in der Zeiteinheit 300 000 Kilometer weit zu laufen.

Anders ist es schon, wenn wir zu dem uns am nächsten stehenden Planeten wollen, zur Venus. Ein neugeborener Knabe, in den Schnellzug gesetzt, würde erst als 52jähriger Mann auf unserm glänzenden Abendstern ankommen, denn er liegt 40 Millionen Kilometer von uns ab, 104mal so weit wie der Mond. Könnte auf der Venus ein Schütze stehen und mit genauem Ziel auf einen Erdenmenschen eine Gewehrkugel abschießen, so hätte dieser Mensch immer noch 2½ Jahre zu leben, bis die Kugel ihn erreichte, vorausgesetzt, daß sie bei dieser interplanetarischen Reise dauernd dieselbe Geschwindigkeit beibehielte, wie unsere irdischen Geschosse sie haben, und den Erdbewegungen entsprechend folgte.

344 Die Sonne während eines Menschenalters im Schnellzug erreichen zu wollen, wäre selbst für den Langlebigsten unter uns ein vergebliches Bemühen. Denn um die 150 Millionen Kilometer zu überwinden, brauchte man 190 Jahre. Eine drahtlose Depesche, die mit der Geschwindigkeit der Ätherwellen reist, würde indes schon in 8⅓ Minuten auf der Sonne ankommen.

Ein kräftiger Sprung von den bisher erwähnten Entfernungen erst führt uns zu den äußeren Planeten. Der Riese unter ihnen, Jupiter, ist 5½mal weiter von uns entfernt als die Sonne, der ringgeschmückte Saturn gar 10mal, bis zum Uranus sind es 2700 Millionen Meilen; das bedeutet eine Schnellzugreise von 3500 Jahren und auch für die elektrischen oder die Lichtwellen einen Marsch von 2½ Stunden. Der letzte der bisher bekannten Planeten unseres Sonnensystems, Neptun, zieht schon so weit draußen seine Bahn, daß von ihm aus gesehen die Sonne nur noch als ein glänzendes Sternchen erscheint. Die kleine Erde ist dem Neptun, dessen Sonnenabstand 4487 Millionen Kilometer beträgt, so weit entrückt, daß sie von dort aus garnicht mehr gesehen wird.

Aber auch bei dieser Riesenentfernung befinden wir uns immer noch innerhalb unseres Planetensystems. Sobald wir darüber hinausgehen, müssen wir die gewohnten Maße völlig aufgeben, wenn wir überhaupt noch bei Zahlen bleiben wollen, die sich einigermaßen bequem niederschreiben lassen. Haben wir bis jetzt das Kilometer als Grundmaß benutzt, so führen wir jetzt als Einheit der Entfernung das Lichtjahr ein, das heißt die Strecke, die ein Lichtstrahl in einem Jahr zu überwinden vermag. Wie schon erwähnt, legt das Licht in einer Sekunde 300 000 Kilometer zurück. Da das Jahr 31 556 926 Sekunden hat, so bedeutet ein Lichtjahr die Länge von 9 467077 800000 Kilometern; das sind rund 9½ Billionen Kilometer. Dies also ist unser Grundmaß.

Und legen wir es nun in seiner ganzen Erstreckung in den Himmelsraum aus, so finden wir, daß wir selbst mit seinem Ende noch lange nicht den uns am nächsten stehenden Fixstern erreichen. Es ist das der Stern Alpha im Sternbild des Centauren, der um 9000 Neptunsweiten von unserm Sonnensystem entfernt ist. Sein Abstand von diesem – ob wir dabei von der Sonne oder von der Erde aus messen, spielt gar keine Rolle – beträgt 4,3 Lichtjahre. Das von Alpha Centauri ausgehende Licht braucht also 4 Jahre und 4 Monate, um zu uns zu gelangen. Würde der Stern heute aus irgend einem Grund erlöschen, er stände noch 4 Jahre und 4 Monate unverändert für uns am Himmel.

Und doch ist Alpha Centauri, wie gesagt, unser nächster Fixstern. Nur fünf Fixsterne von den unzählbaren, die wir sehen, sind weniger als zehn 345 Lichtjahre, nur 39 weniger als 50 Lichtjahre von uns entfernt. Der Polarstern steht 60 Lichtjahre von uns ab, der helle Stern Kapella im Fuhrmann 70 Lichtjahre; die Sterne sechster Größe, also die, welche mit bloßem Auge gerade noch zu erkennen sind, haben schon eine Entfernung von 330 Lichtjahren. Die Sterne achter Größe tummeln sich im Abstand von 780 Lichtjahren.

Und nun nochmals ein Sprung von ungeheurer Großartigkeit: die Sternchen, welche in unendlichem Gewimmel uns den zusammenhängenden, matten Schimmer der Milchstraße vortäuschen, sind um 4000 Lichtjahre unserm Sonnensystem entrückt. Wenn einer dieser Sterne zu der Zeit, als der mächtige Hamurabbi Babylon zu einem Weltreich machte, von einer Katastrophe betroffen worden wäre, die ihn in vielfach verstärkte Glut gesetzt hätte, wir sähen ihn noch heute in seinem früheren unveränderten Licht leuchten.

Und auch bei der Milchstraße, deren ungefähre Kreisform einen Durchmesser von 8000 Lichtjahren hat, sind wir noch nicht am Ende. Denn jenseits von ihr gibt es sicher noch Millionen von Milchstraßensystemen, von denen wir so gut wie gar keine Kunde haben. Welch ein Gewimmel im unendlichen Raum! Besteht doch allein »unser« Milchstraßensystem, das heißt dasjenige, in dessen ungefährer Mitte unsere Sonne steht, aus etwa 300 Millionen Sonnen, die durch ungeheure Entfernungen von einander getrennt sind und sicher Milliarden Trabanten (Planeten) besitzen, die für uns unsichtbar sind.


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