Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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114. Traum-Schrift

Den genauen Gegensatz zu dem im vorigen Abschnitt geschilderten Phänomen bildet ein Bericht, den wir einem berühmten Dramatiker verdanken. Der Vorhang ist durch die Persönlichkeit dieses Autors völlig verbürgt.

Mehrfach war es ihm begegnet, daß ihm kurz vor dem Einschlafen Gedanken kamen, die sich später als fruchtbar für seine Arbeiten erwiesen. Um sich aber vor dem Verlust derartiger Motive ganz sicher zu stellen, hielt er auf dem Nachttisch einen Block weißen Papiers in Bereitschaft, um im Bedarfsfall die motivischen Einfälle sofort zu notieren.

Dieser Bedarfsfall war wieder einmal eingetreten. Dem im Bett Liegenden kam der Ansatz zu einer novellistischen oder dramatischen Szene, die ihm originell und wirksam erschien; und seinem erprobten Vorsatz getreu, erhob er sich ohne Zögern, schaltete die Beleuchtung ein und notierte seine Gedanken in gewohnter Ausführlichkeit auf dem Block. Alsdann begab er sich beruhigt wieder auf die Lagerstatt.

Beim Erwachen am nächsten Morgen trat ihm augenblicklich die bewußte Szene wieder in Erinnerung, und er versuchte, sie unabhängig von seiner Notiz in Gedanken wieder zu rekonstruieren. Lediglich um die Probe auf das Exempel zu machen und um sein Gedächtnis zu prüfen. Der Versuch gelang nicht. Die Szene, wie sie ihm am Abend zuvor vorgeschwebt hatte, blieb in dämmerhaften Umrissen stehen und wollte keine Form gewinnen.

154 Um so besser, dachte er, daß ich sie aufgeschrieben und mich dadurch vor dem Ärger des Verlusts bewahrt habe. »Denn was man schwarz auf weiß besitzt . . .« Neugierig, aber ohne übertriebene Hast – denn der Besitz war ja gesichert – stand er auf; er setzte sein Augenglas zurecht, griff nach dem Block und begann zu lesen.

Genauer: er wollte beginnen. Aber eine gewaltige Enttäuschung überfiel den Autor: nicht eine Silbe, nicht ein Buchstabe stand auf den Blättern.

Alles war Traum gewesen, restlos.

Die Tatsache an sich ist sicherlich weit häufiger, als wir uns dessen bewußt werden, wenn wir uns mit unseren Erinnerungen beschäftigen. Aber den wunderbaren Zufällen ist es zuzurechnen, daß im Einzelfall für die fließende Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit ein so schneller und drastischer Beweis erbracht wurde.


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