Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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121. Der Geist Katie King

Quelle: Camille Flammarion: »Unbekannte Naturkräfte«. Verlegt bei Julius Hoffmann, Stuttgart, 1908. Z.

Ende der sechziger Jahre kamen aus Amerika die ersten Nachrichten darüber, daß Geister sich in Gegenwart ganzer Versammlungen »materialisiert« gezeigt hätten. Die europäischen Medien fingen alsbald an, Sitzungen zu gleichem Zweck zu veranstalten, und es gelang ihnen bald, gleichfalls Materialisationen hervorzurufen. Crookes begann im Jahre 1872 die Angelegenheit selbst zu untersuchen. Er wählte hierzu ein neu aufgetauchtes Medium, die fünfzehnjährige, anmutige Florence Cook, bei deren Jugend an Betrug am wenigsten zu denken war. Er und seine Freunde haben länger als zwei Jahre mit dem Mädchen experimentiert und dabei geradezu ungeheuerliches erlebt.

Florence Cook behauptete, seit einem Jahr oft neben sich den Schatten eines jungen Mädchens gesehen zu haben, das sie lieb gewonnen hatte und das ihr sagte, in der andern Welt heiße es Katie King, aber während eines ihrer Erdenleben sei es Annie Morgan, eine Hofdame aus der Zeit der Königin Anna, gewesen. Nach Crookes' Bericht ist ihm der Geist Katie King sehr häufig erschienen. Er hat ihn gleichzeitig mit vielen andern Personen zahlreiche Male 169 gesehen, mit ihm gesprochen, ihn berührt, ja er ist mit ihm (oder mit ihr?) in ein gewisses freundschaftliches Verhältnis getreten. Hören wir einige Abschnitte aus den Berichten, in denen der Gelehrte über diese gewiß eigentümlichen Begebnisse Mitteilung macht:

„Ich trat vorsichtig in das Zimmer ein: drinnen herrschte Dunkelheit, tastend suchte ich Fräulein Cook. Ich fand sie aus dem Boden hockend . . . .

Ich hob die Lampe und sah mich um; da erblickte ich Katie, die ganz nahe hinter Fräulein Cook stand. Sie war mit einem weißen, flatternden Gewand bekleidet . . . . Ich hielt eine Hand Fräulein Cooks in der meinen, kniete wieder nieder, hob und senkte die Lampe, sowohl um Katies ganze Gestalt zu beleuchten, wie um mich völlig zu überzeugen, daß ich tatsächlich die wirkliche Katie sah . . . . Sie sprach nicht, aber sie bewegte den Kopf als Erkennungszeichen. Dreimal prüfte ich sorgfältig das vor mir kauernde Fräulein Cook, um mich zu versichern, daß die Hand, die ich festhielt, wohl die einer lebenden Frau war, und dreimal wandte ich die Lampe auf Katie, um sie mit der größten Genauigkeit zu beobachten, so lange, bis ich nicht mehr den geringsten Zweifel hatte, daß sie wirklich da vor mir stand . . . .

Katie zeigte sich bei mir sehr regelmäßig und erlaubte mir, sie bei künstlicher Beleuchtung zu photographieren. Zu diesem Zweck wurden fünf vollständige Photographieapparate vorbereitet. Sie sollten alle zu gleicher Zeit auf Katie gerichtet werden, jedesmal wenn sie ihr Bild abnehmen lassen wollte . . . .

Eine der interessantesten Photographien ist die, auf der ich neben Katie stehe; ihr nackter Fuß ruht auf einer bestimmten Stelle des Bodens. Hierauf kleidete ich Fräulein Cook genau so wie Katie; wir beide stellten uns in dieselbe Lage, und wir wurden von den gleichen Objektiven photographiert, die in genau derselben Stellung waren wie bei dem andern Experiment und auch von demselben Licht erleuchtet wurden. Wenn diese beiden Abbildungen aufeinandergelegt werden, stimmen meine beiden Photographien in Größe usw. genau überein, aber Katie ist um einen halben Kopf größer als Fräulein Cook und sieht neben ihr wie eine kräftige Frau aus. Auf vielen Bildern sind ihr Gesicht und ihr Körper wesentlich von dem des Mediums verschieden, und die Photographien zeigen auch mehrere andere Verschiedenheiten. (Dies soll zum Beweis dienen, daß der Geist und das Medium nicht identisch gewesen seien.)

Doch die Photographie ist ebenso unfähig, die regelmäßige Schönheit von Katies Antlitz wiederzugeben, wie Worte den Liebreiz ihres Wesens beschreiben können. Die Photographie kann freilich die Stellung abzeichnen, aber wie könnte sie die leuchtende Reinheit ihres Teints oder den stets wechselnden Ausdruck ihrer so beweglichen Züge wiedergeben, die bald von Trauer umdüstert 170 sind, wenn sie einige bittere Ereignisse ihres vergangenen Lebens erzählt, bald mit der ganzen Unschuld eines jungen Mädchens lächeln, wenn sie meine Kinder um sich versammelt und sie durch die Erzählungen ihrer in Indien erlebten Abenteuer unterhält . . . .

Eines Abends zählte ich Katies Pulsschläge: ihr Puls klopfte regelmäßig 75 mal, während der Fräulein Cooks wenige Augenblicke später 90 mal schlug, ihre normale Ziffer. Als ich mein Ohr an Katies Brust legte, konnte ich im Innern ein Herz klopfen hören, und seine Schläge waren noch regelmäßiger als die Herzschläge Fräulein Cooks, als sie mir nach der Sitzung denselben Versuch erlaubte. Katies Lungen, die auf die gleiche Weise geprüft wurden, schienen gesunder als die ihres Mediums Fräulein Cook, die zu jener Zeit wegen eines chronischen Katarrhs in ärztlicher Behandlung stand.”

Katie King zeigte sich in solcher und ähnlicher Weise während dreier Jahre, worauf sie auf Nimmerwiedersehen verschwand, leider ohne Berichte über die andre Welt zu hinterlassen, aus der sie kam und in die sie zurückkehrte. Nach dem im vorigen Abschnitt Gesagten wissen wir, was wir von den Begebenheiten zu halten haben, zumal die Berichte hierüber ganz besonders jeder verläßlichen Methode entgegengesetzt sind.

Fräulein Cook ist übrigens später mehrmals des Betrugs überführt worden, so am 9. Januar 1880, wo in einer Sitzung der »British association of spiritualists« der Geist Mary als das nur mit Flanellunterzeug und Korsett bekleidete Medium festgestellt wurde. Wunderbare Fähigkeiten, wenn auch nicht gerade spiritistischer Art, muß Fräulein Cook aber doch besessen haben, da es ihr gelang, vor Crookes und seinen Freunden einen so großartigen Betrug jahrelang durchzuführen.


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