Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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205. Schnellverkehr im Draht

Der alte ehrwürdige Samuel Finley Breese Morse hat schon ein rechtes Wunder auf dem Gebiet der Telegraphie vollbracht, indem es ihm gelang, alle Buchstaben, Interpunktionen und Zahlen durch nur zwei Zeichen, nämlich durch Punkte und Striche auszudrücken, die miteinander kombiniert werden. Aber dem Zeitalter des Verkehrs wurde diese Art des Zeichengebens, wenigstens für die Hauptstrecken, bald zu primitiv. Müssen doch beim Morse-Telegraphen für jeden Buchstaben, mit Ausnahme des e und des t, mehrere Stromimpulse in die Leitung geschickt werden, für Zahlen fünf, für Interpunktionen noch mehr, und das erfordert durch das vielfache Herunterdrücken der Sendetaste erhebliche Zeit. Außerdem ist es auch notwendig, an der Empfangsstelle die in Strich-Punkt-Schrift ankommenden Telegramme mit der Hand in gewöhnliche Schrift zu übersetzen, was wiederum einen beträchtlichen Zeitverlust bedeutet.

Da ist der Hughes-Apparat schon leistungsfähiger, der erstaunlicherweise gestattet, über einen einzigen Draht hinweg jeden beliebigen Buchstaben und jedes andere notwendige Zeichen in beliebiger Reihenfolge sofort deutlich lesbar in gewöhnlicher Schrift abzudrucken. Jeder Buchstabe, jede Zahl und jedes Zeichen erfordern hier nur einen einzigen Tastendruck, und ein Niederschreiben des Telegramms am Empfangsort ist nicht notwendig, da es vollkommen fertig ankommt.

Aber auch hiermit hat man sich noch nicht zufrieden gegeben. Die Anlage einer Telegraphenleitung ist teuer und erheischt eine möglichst gründliche Ausnutzung. Man versuchte darum schon vor vielen Jahren, ob es nicht möglich sei, zwei Telegramme gleichzeitig in beiden Richtungen zu senden. Das klingt beinahe wie ein Märchen, aber der Versuch glückte vollkommen. Das Gegensprechen, wie der technische Ausdruck für den Vorgang lautet, ist heute auf sehr vielen Leitungen in regster Anwendung. Während ein Telegramm von A nach B geschickt wird, läuft gleichzeitig eine Depesche auf demselben Draht von B nach A, ohne daß die Zeichen einander gegenseitig im geringsten stören.

Und vom Gegensprechen ging es dann weiter zur Mehrfach-Telegraphie. War das erste Phänomen durch verhältnismäßig einfache Schaltungseinrichtungen erreicht worden, so gelangte man hier durch Zwischenschalten einer Verteilungsapparatur zum Ziel. Die Konstruktion ist von Baudot angegeben.

289 Beim Hughes-Apparat und den nach seinem Vorbild gebauten Sendern erfolgt das Zeichengeben durch Niederdrücken von Tasten. Die Konstruktion zwingt aber dazu, zwischen einem Tastendruck und dem nächsten eine kurze Zeit – Bruchteile einer Minute – vergehen zu lassen. Während dieser Pausen aber bleibt die Leitung unbenutzt. Baudot legt nun noch einen zweiten Sender an dieselbe Leitung, und während der erste feiert, arbeitet der zweite. Jede Pause bei Apparat 1 ist lang genug, damit Apparat 2 ein Zeichen abgeben kann. Der Verteiler sorgt dafür, daß die Apparate niemals zu gleicher Zeit, sondern immer einer nach dem andern an die Leitung geschaltet werden, sodaß sie einander nicht stören können. Zwischen Berlin und Paris hat der Baudot vorzüglich gearbeitet. Es ist an anderen Stellen unter Benutzung der Gegensprechschaltung sogar gelungen, an jeder Seite bis zu vier Apparaten an eine Leitung zu legen, sodaß praktisch acht Telegramme zu gleicher Zeit über einen Draht laufen können.

Hiermit ist schon eine sehr gründliche Ausnutzung der Leitungen erreicht. Aber die Geschwindigkeit bei der Abfertigung eines einzelnen langen Telegramms konnte noch nicht befriedigen. Der Morse-Telegraphist kann in einer Minute 60 bis 70 Buchstaben abgeben. Der am Hughes-Apparat arbeitende Beamte bringt es in der gleichen Zeit auf 125 Buchstaben. Soll nun etwa ein Parlamentsbericht von 50 000 Worten zu je 6 Buchstaben abtelegraphiert werden, so braucht der Hughes-Beamte zur Übertragung der 300 000 Buchstaben 40 Stunden. Das ist für die Bedürfnisse einer Zeitung eine viel zu lange Dauer.

Abhilfe wurde durch den Maschinen-Telegraphen erreicht. Hier werden die Zeichen nicht mehr mit der Hand abgegeben, sondern mittels eines schnell rotierenden Apparats durch den Draht gejagt. Freilich ist es notwendig, das ganze Telegramm vorher auf einem Papierstreifen so aufzuzeichnen, daß für jedes Zeichen eine bestimmte Lochkombination in den Streifen eingestanzt wird. Aber es können gleichzeitig mehrere Lochstreifen von verschiedenen Teilen des Telegramms hergestellt werden, und das Lochen geht sehr schnell vor sich, da die Stanzvorrichtungen die Form von Schreibmaschinen haben; jeder Tastendruck stanzt sofort das zugehörige Lochzeichen ein. Dann gehen alle Streifen hintereinander durch die Telegraphiermaschine, und am Empfangsort erscheinen sie sofort in Druckschrift. Der Maschinentelegraph von Wheatstone gestattet die Absendung von 250, der von Murray von 350 Buchstaben in der Minute. Eine sehr erhebliche Verbesserung brachte der mit großem Scharfsinn und äußerstem Geschick aufgebaute Schnelltelegraph von Siemens & Halske, der 1000 Buchstaben in der Minute übermittelt. Er ist heute bereits vielfach im Betrieb, scheint aber insbesondere dazu ausersehen, künftigen Verkehrsanforderungen in hohem Maß zu dienen.

290 Über die Ansprüche der nächsten Zukunft hinaus geht eigentlich schon der Photo-Schnelltelegraph von Pollak und Virag, mit dem man 3000 Buchstaben in der Minute zu senden vermag. Hier aber kommen die Zeichen nicht gleich in allgemein lesbarer Schrift an. Eine so außerordentliche Schnelligkeit gestattet nicht mehr die Bewegung wirklicher Drucktypen. Bei diesem Apparat wird vielmehr durch die ankommenden Telegraphierströme nur ein ganz kleines Spiegelchen, auf das ein Lichtstrahl fällt, in geringe Schwankungen versetzt. Der zurückgeworfene Lichtstrahl zeichnet die Bewegungen des Spiegelchens auf einem vorbeigleitenden photographischen Film aus, und die Depesche wird aus den auf- und absteigenden Linien gelesen, die der Strahl auf den lichtempfindlichen Film geschrieben hat. Die fabelhafte Geschwindigkeit dieses Apparats steht zu der des Morseklopfers etwa in demselben Verhältnis wie das Dahinrasen eines modernen Schnellzugs zu der Fortbewegung eines Sprengwagens.


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