Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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235. Wrackfahrten

Quelle: Professor Dr. O. Krümmel: »Flaschenposten, treibende Wracks und andere Triftkörper in ihrer Bedeutung für die Enthüllung der Meeresströmungen« in der Sammlung »Meereskunde«. Verlag von Ernst Siegfried Müller & Sohn, Berlin, 1908. Z.

Mit ragendem Bug und stolz aufgerichteten Schloten, erfüllt von heiterstem Leben fährt der Riesenozeandampfer über die Fläche des Weltmeers. Die Musik spielt auf dem Promenadendeck, lachende und plaudernde Menschen überall. Da taucht plötzlich, von der Kommandobrücke her längst gesichtet, ein Gespensterschiff auf, eine Mahnung an den Tod, der immerfort in den Fluten lauert. Es ist ein Schiff ohne Bemannung, der Rest eines einst stolzen Seglers, ein Wrack, das irgendwo bei einem Sturm schwer verwundet und von der Mannschaft darauf verlassen worden ist, aber doch noch nicht untersinken konnte. So fährt es zwischen Sein und Nichtsein dahin und schreckt die Seefahrer.

Solche treibende Wracks sind auf den Meeren keine seltenen Erscheinungen. Am häufigsten trifft man sie an der atlantischen Küste der Vereinigten Staaten von Nordamerika, wo noch viele Segelschiffe verkehren und die verheerenden Stürme des Golfstroms viele von ihnen leck schlagen. Wenn auch die meisten der Wracks bald untergehen, so treiben doch viele lange Zeit umher, und es gibt Wrackfahrten, die zu den größten Seltsamkeiten in der Geschichte der Schiffahrt gehören und zugleich gute Auskünfte über die Meeresströmungen geben.

In einem Vortrag, den Professor Dr. Otto Krümmel aus Kiel im Berliner Museum für Meereskunde hielt, hat er hierüber sehr interessante Angaben gemacht:

„Ein zunächst unverständlicher Fall ist die Trift der beiden Hälften des Schoners »Fred B. Taylor«. Der deutsche Schnelldampfer »Trave« kollidierte mit diesem Schiff am 22. Juni 1892; der Schoner wurde in zwei Teile zerschnitten, und beide Teile erlitten dann eine gänzlich verschiedene Trift. Das Heck trieb nach Norden und strandete am 7. August an der Küste bei Kap 331 Porpoise, der Bug aber trieb nach Süden und versank Ende August auf der Höhe der Delawarebai. Die Erklärung für das auffällig verschiedene Verhalten der beiden Wrackteile ist folgende: das Heck ragte weit aus dem Wasser und folgte so den Wirkungen der vorherrschenden Winde; der Bug aber war tief eingesenkt, der Wind konnte ihm nicht viel anhaben, und er folgte durchaus dem kühlen Meeresstrom nach Südwesten.

Die längste aller bisher bekannt gewordenen Wracktriften ist die des Schoners »Fanny Wolston«, die vom 15. Oktober 1891 bis zum 21. Oktober 1894, also 1100 Tage dauerte und eine Strecke von fast 15 000 Kilometern umfaßte. Da der Schoner 46mal erkannt und gemeldet wurde, können wir seine Bahn recht gut verfolgen. In wiederholten Schleifen hielt er sich ziemlich lange südöstlich von den Azoren auf, erschien später im Westen zwischen den Bermudas und den Bahamas, geriet aber zuletzt von neuem in den Golfstrom, um dann endlich nach dreijähriger Irrfahrt zu verschwinden.

Als am 18. Dezember 1887 ein riesiges Holzfloß aus 27 000 Baumstämmen, das von der Fundybai nach New-York unterwegs war, auf den Nantucketbänken von einem heftigen Nordwest zerschlagen wurde, verbreiteten sich diese Bauhölzer garbenförmig durch den Golfstrom hin, waren im März 1888 noch in dichten Scharen bei 60 Grad westlicher Länge, im Juni schon lockerer bei den Azoren und in letzten, weit zerstreuten Resten im September bei Madeira.

Im Jahre 1822 befand sich der englische Oberst Sabine auf seiner berühmten Pendelexpedition an der afrikanischen Küste beim Kap Lopez. Dort strandete ein Schiff, das Palmöl in Fässern geladen hatte, und wurde von der Brandung völlig zerschlagen. Im Jahre darauf, im Juli 1823, war Sabine nahe am Nordkap, in Hammerfest, und dort trieben zu seinem Erstaunen einige Fässer ans Land, die Palmöl enthielten und durch ihre Brandmarken als ehemaliger Besitz des am Äquator gescheiterten Schiffs identifiziert wurden.”


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