Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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150. Die Universalbibliothek

Quelle: Kurt Laßwitz: »Traumkristalle«. Verlag von B. Elischer Nachfolger, Leipzig.

In seinem Werk »Traumkristalle« entwickelt Kurd Laßwitz auf den Spuren der Lullus, Giordano Bruno und Leibniz die folgende phantastische Idee.

Alles, was der Menschheit an geschichtlichem Erlebnis, an wissenschaftlicher Erkenntnis, an poetischer Darstellung, an lehrender Weisheit jemals gegeben worden ist und gegeben werden kann, muß sich in Lettern wiedergeben lassen. Unsere Bücher vermitteln ja in der Tat alles Wissen und bewahren den ganzen Schatz der menschlichen Denkarbeit.

Und dies alles tun sie – wenn man von der nur äußerlichen Verschiedenheit der Druckarten absieht – mit Hilfe von höchstens hundert Zeichen. Wenn man die großen und kleinen Buchstaben, die gebräuchlichen Interpunktionszeichen, die Ziffern, die mathematischen Symbole – die zum allergrößten Teil durch Buchstaben und Ziffern sich ausdrücken lassen – und das Spatium, die Setzertype für die Trennung der Worte und zur Füllung der im Druck leer bleibenden Zeilenstücke, zusammenrechnet, so erhält man sicher nicht mehr als die angegebene Zahl von Zeichen.

Nun ist aber die Zahl der möglichen Kombinationen dieser 100 Zeichen begrenzt. Es muß sich also alle erdenkliche Literatur in einer endlichen Anzahl von Bänden niederlegen lassen.

Man kann schon recht erschöpfend über ein Thema schreiben, wenn man einen Band von 500 Seiten damit anfüllt. Denken wir uns auf der Seite etwa 40 Zeilen mit 50 Buchstaben (wobei Spatien, Interpunktion usw. stets mitgezählt sind), so bekämen wir 40×50×500 Buchstaben für einen solchen Band, das ist 1 000 000 Buchstaben. Wenn man nun die 100 Zeichen, so oft es möglich ist, zu 1 000 000 Zeichen kombiniert, alle möglichen Zusammenstellungen herstellt, die überhaupt in dieser rein mechanischen Weise gemacht werden können, so hat man genau sämtliche Werke, die jemals geschrieben worden sind und in Zukunft geschrieben werden können, also eine Universalbibliothek umfassendster Art.

In dieser Bibliothek muß man einfach alles finden: die Bibel, den ganzen 207 Goethe, die Gesamtausgaben aller Philosophen, die Logarithmentafel ebenso wie Friederike Kempners Gedichte, eine Darstellung der Freiheitskriege neben dem Kochbuch. Obgleich immer ein ganzer Band von 1 000 000 Zeichen hergestellt werden soll, kann doch jedes kleinste Verschen ein Buch für sich bilden, denn der übrige Raum wird mit Spatien ausgefüllt. Der erste Band wird sogar ganz leer sein, denn er wird ausschließlich Spatien enthalten.

Leider wird in dieser Bibliothek auch viel Unsinn zu finden sein. Ein Band wird nur Punkte enthalten, einer nur Fragezeichen, einer wird mit den Eingangsversen des »Faust« anfangen, aber dann wird plötzlich eine Logarithmentafel folgen, von der man jedoch nicht weiß ob sie richtig ist. Und aus all dieser Spreu den zweifellos vorhandenen Weizen des gesamten Kulturschatzes der Menschheit herauszusuchen, dürfte, wenn auch diese Bibliothek notwendig ihren eigenen Katalog enthalten müßte, darum außerordentlich schwer sein, weil ihre Bändezahl sehr groß werden muß.

Da 1 000 000 Zeichenstellen in jedem Band zur Verfügung sein sollen, so entstehen so viele Bände, wie die Zahl ergibt die man erhält, wenn man 100 eine Million mal als Faktor setzt. Oder, da 100=10×10 ist, so erhält man dasselbe, wenn man die 10 2 000 000 Mal als Faktor schreibt. Das läßt sich ausdrücken durch die Potenz 102 000 000

Wollte man die Zahl ausschreiben, so erhielte man eine 1 mit 2 000 000 Nullen. Die Zahl würde im Druck etwa eine Länge von 4 Kilometern haben. Hat nun jeder Band eine Dicke von 2 Zentimetern, so erhält man für die ganze Bibliothek eine Länge von doppelt so vielen Zentimetern wie die Bändezahl beträgt. Ausdrücken aber läßt sich schon die Bändezahl nicht mehr.

Um nun überhaupt eine Vorstellung von der Längenerstreckung der Universalbibliothek zu bekommen, nehmen wir an, daß der Bibliothekar, um einen bestimmten Band herauszusuchen, mit der Geschwindigkeit des Lichts, also von 300 000 Kilometern in der Sekunde, daran entlang fährt. Hat er Glück, indem der begehrte Band nur 10 Billionen Kilometer oder 1 Trillion Zentimeter vom Ausgangspunkt entfernt ist, so wird er ihn bei der angegebenen Riesengeschwindigkeit schon in einem Jahr erreichen. Steht der Band aber am Ende, so ist die Aussicht, zu ihm zu gelangen, selbst für einen Bibliothekar mit solch fabelhafter Bewegungsfähigkeit hoffnungslos. Um nur eine einzige Trillion Bände zu passieren braucht er immer zwei Jahre. Um an der ganzen Bibliothek entlang zu fahren, hätte er demnach doppelt so viele Jahre nötig wie 1 Trillion in der Bändezahl enthalten ist. Und das gibt eine 1 mit 1 999 982 Nullen (1 Trillion ist eine Zahl mit 18 Nullen). Diese Zahl ist eben so wenig vorstellbar, wie die Bändezahl selbst, obwohl sie endlich ist.

208 Wenn man die ganze Bibliothek so zusammenpackte, daß immer 1000 Bände in eine Kiste von einem Kubikmeter gehen, so würde, um die gesamte Bücherzahl zu fassen, der ganze Weltraum bis zu den fernsten uns sichtbaren Nebelflecken so oft gefüllt werden müssen, wie eine Zahl ausdrückt, die nur einige sechzig Nullen weniger hat als die 1 mit den 2 000 000 Nullen.

Aus alledem ergibt sich also, daß es ziemlich aussichtslos ist, den gesamten Besitz der Menschheit an wissenschaftlichen, poetischen und sonstigen Werken durch mechanische Aneinanderreihung von Zeichen ausdrücken zu wollen. Besser ist es schon, man bleibt bei der zwar mühsameren, aber mehr Erfolg versprechenden Methode der gedanklichen Bücherproduktion.


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