Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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49. Der Sperlingsvater

Quelle: Zeitschrift »Tierseele«. Verlag von Emil Eisele, Bonn, 1913.

Im Tuileriengarten zu Paris ereignete sich in unseren Zeiten durch viele Jahre alltäglich ein Idyll.

Da erschien um die Mittagsstunden ein nachlässig gekleideter, mit einem unmöglichen Filzhut bedeckter und überhaupt wenig anmutig wirkender alter Herr, der sofort der Mittelpunkt einer wahren Vogelwallfahrt wurde. Von allen Seiten flogen die zahllosen Spatzen des Gartens herbei, setzten sich dem Herrn »Pol« auf den Kopf, die Arme, die Hände, und gaben durch ihr ganzes Gebahren zu erkennen, daß zwischen diesem Mann und ihnen eine innige Beziehung obwaltete; vielleicht noch obwaltet, wenn Monsieur Pol noch leben sollte, und falls der Krieg die zarten Fäden zwischen ihm und der Vogelwelt nicht zerstört hat.

Niemals ist beobachtet worden, daß er die Tierchen »abrichtete« oder durch Kunstgriffe zähmte; sie gehörten eben zueinander, wie die Wesen im Urzustand nach dem Bild, das die Dichter vom goldenen Zeitalter entwerfen. Daß Monsieur Pol die Taschen voller Körner und Brosamen hatte, versteht sich von selbst, 69 konnte aber für die Tatsache nur als Begleitmotiv gelten; denn tausend andere füttern die Vögel, ohne im entferntesten einen derartigen Freundschaftsgrad zur gefiederten Welt zu erzielen.

Das Merkwürdigste aber war, daß die zahllose Sperlingsschar ihm gegenüber keine unterschiedslose große Masse bedeutete, sondern individualisiert war, wie die Schüler einer Klasse. Jeder einzelne Sperling hatte seinen Namen und kannte ihn: Jacques, Philippe, Josephe, Mirabeau, Général Hoche, Jean und Jeannette, und jeder folgte dem Namensanruf pünktlich wie ein Soldat, der sich auf Kommando meldet.

Monsieur Pol hatte anfänglich mit den Gärtnern zu kämpfen, denen die Menschenaufläufe unbequem waren. Allein die höheren Instanzen verschafften ihm freien Weg wie staatliche Anerkennung, und eines Tags konnte sich der Vogelzauberer seiner piependen Gemeinde als Ritter der Ehrenlegion vorstellen.


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