Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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194. Die ersten Luftfahrten – bei Wieland

Wielands Werke, 33. Band der großen Ausgabe. G. J. Göschensche Verlagshandlung, Leipzig, 1857. Z.

Zwei Wunder treffen hier zusammen: das der Tatsache und der Darstellung in ihrer Wirkung auf den Leser von heute, der sich den Zeitabstand 271 vergegenwärtigt. Denn fünfviertel Jahrhundert trennen uns hier vom Bericht und erster Betrachtung.

Sie entstammen einigen Abhandlungen von Wieland, die sich seit langer Zeit beinahe in Vergessenheit zurückgezogen haben. Ihre Titel sind »Die Aeropetomanie« vom Oktober 1783, »Die Aeronauten« vom Jahre 1784 und ein Zusatz von 1797; also aus den bedeutsamen Jahren, in denen Montgolfier, Charles, Blanchard die Luft zu bezwingen begannen. Aus diesen umfangreichen Aufsätzen sollen nur wenige Zeilen hierhergesetzt werden; sie sprechen am wirksamsten in ihrem ursprünglichen Wortlaut ohne irgend einen Zusatz:

Die Wunder unseres Jahrhunderts scheinen sich immer dichter aneinander zu drängen, immer größer und schimmernder zu werden, je näher es zu Ende läuft. Sagt mir nichts von Unmöglichkeit! ruft vom Anblick der Zeichen, die vor seinen Augen geschehen, begeistert ein poetischer Académicien de Marseille aus: »dem hartnäckigen Fleiß ist nichts unmöglich. Cook geht im Grund des Meers, Montgolfier fliegt gen Himmel: öffnet uns die Hölle, und ich nehm' es auf mich, ihr Feuer auszulöschen . . .«

»Cook marche au fond des mers, Montgolfier vole aux Cieux;
Ouvrez moi des Enfers, j'en étendrai les feux.
« – –

Herr Montgolfier ist zwar selbst noch so wenig gen Himmel geflogen, als der weltumsegelnde Cook jemals (unseres Wissens) auf dem Meeresgrund lustwandeln gegangen ist: aber wenigstens hat er doch schon einen Hammel, einen Hahn (das alte Sinnbild seiner Nation) und eine Ente, mit Hilfe eines frischen Westwinds, eine Lustreise von einer Französischen Viertelmeile machen lassen. – –

Der 27. August dieses Jahres war der große Tag, der die Herren Faujas de Saint Fond und Konsorten vor den Augen alles Volks entweder mit unsterblichem Ruhm krönen oder in unauslöschlichem Spott ersäufen sollte. Unter den Zuschauern befanden sich nicht wenige Ungläubige, und unter diesen auch einige Herren von der physikalischen Gilde, die mit Schmerzen auf die Verunglückung zu harren schienen . . . Unglücklicherweise kann (wie es scheint) zu Paris keine Unternehmung, von welcher einiger Ruhm oder Vorteil zu ernten ist, ohne Einmischung von Eifersucht, Parteigeist und Kabalen zustande kommen . . . Was die Zuschauer nicht wenig befremdete, war, daß weder Herr Faujas wiewohl der erste Beweger der ganzen Unternehmung, noch der eine von den Gebrüdern Montgolfier, der bei dem Versuch im Marsfeld gegenwärtig war, in den inneren Kreis, wo der Professor Charles mit Zuziehung der Gebrüder Robert sich die alleinige Direktion anmaßte, eingelassen wurden. – –

Ein Stückschuß kündigte den Augenblick an, wo der Anfang mit Ladung der Maschine »unter den Befehlen des Herrn Montgolfier« gemacht wurde; ein 272 anderer, ungefähr zehn Minuten darauf, den Moment, wo man damit fertig war; und ein dritter denjenigen, wo die Stricke . . . abgehauen wurden. Der Ballon erhob sich sogleich zu allgemeinem Erstaunen der Zuschauer und stieg dem Ansehn nach ungefähr 200 Klafter . . . An dem Korb hing den Physikern zu Ehren ein Barometer . . . Herr Pilatre de Rozier, der die Ehre hatte, unter den Naturae Curiosis, welche ihrem Lauf folgten, der erste zu sein, der an Ort und Stelle kam, fand den Ballon oder das Zelt durch einen Stoß Holz, worauf es gestürzt war, von dem Korb abgetrennt. Der Hahn und die Ente schienen sich nicht übel zu befinden; der Hammel fraß in seinem Käfig; der Barometer war zwar umgeworfen, jedoch ohne Bruch; aber der Ballon hatte . . . ziemlich große Risse bekommen. – –

Am Schluß seines Gedichts ruft er (ein französischer Poet) die Herren Charles und Robert auf, zu eilen, um das große Werk zu vollenden und ihr Luftschiff mit Rudern oder Segeln auszurüsten. »Fürchtet,« sagt er, »daß irgend ein verwegener Engländer euch die Erfindung stehle!« und er meint: »Dieses Volk, das sich den Vorzug das Meer zu beherrschen entrissen sehe, werde nun bald alles versuchen, um Herr von der Luft zu werden« . . . Aber auch die prosaischen Köpfe flogen in Gedanken mit; und schon am 5. September versicherte einer von ihnen im Journal von Paris, . . . daß er sich hiermit erboten haben wolle, die erste Maschine dieser Art . . . in Person zu besteigen, ohne eine andere Belohnung zu verlangen, als die Ehre, der erste Luftschiffer gewesen zu sein. Eine Ehre, die diesem wackern Mann gleichwohl von einem bloßen Hammel geraubt wurde; vermutlich zu seinem desto größeren Mißvergnügen, da der glückliche Hammel, wie verlautet, eine Art von Pension von Sr. Majestät erhalten haben soll. – –

»Die französische Republik (sagt Dr. Posselt im 8. Stück seiner politischen Annalen vom Jahrgang 1796) hat jetzt eine zweifache Marine: eine, die gewöhnliche, für das Meer, die andere . . . für die Luft. Jeder Armee folgen zwei Luftschiffe, deren Bestimmung ist, die Lage und Bewegungen der Feinde von oben herab auszukundschaften. Die bei der Sambre- und Maasarmee sind le Celeste und l'Entreprenant, mit welchem der Divisionsgeneral Morlot . . . in der Schlacht bei Fleurus in die Höhe gestiegen . . . Ob man, wie der angeführte Annalist hinzusetzt, in Frankreich wirklich schon mit dem Gedanken von Luftschiffen umgeht, die nicht nur ein paar Männer zu Beobachtungen, sondern eine weit stärkere Zahl, zu Unternehmungen tragen? was der Erfolg davon sein werde? und ob die mit so vielem Geräusch angekündigte Landung in Irland oder Großbritannien, welche der gegen Ende des vorigen Jahrs in dieser Absicht von Brest ausgelaufenen Seeflotte so übel mißlang, einer Luftflotte vielleicht besser 273 gelingen würde? Gewiß ist, daß der ausschließliche Besitz einer solchen Luftmarine die französische Republik dem ganzen Erdboden so gefährlich machen würde, daß dieser einzige Grund die sämtlichen übrigen Mächte in die unumgängliche Notwendigkeit setzen müßte, alle ihre Kräfte zu gänzlicher Zerstörung derselben zu vereinigen. – –

Zusatz 1797:

Die Luftballons – – aus der Mode!

Zu Anfang dieses Jahrs erschien gleichwohl eine Abhandlung, . . . worin der Verfasser, ungeachtet des wenigen Nutzens, den die Erfindung . . . bisher geschafft, die um diese Zeit beinahe allgemein gewordene Meinung, daß es am besten wäre die Äronautik gänzlich aufzugeben, ernstlich bestreitet . . . Ja er geht so weit zu zeigen, wie man eine Maschine von 100 Klaftern im Durchmesser luftleer machen könnte, welche imstande wäre, eine Armee von 20 000 Mann durch die Luft zu führen. Da die Ausführbarkeit der Sache, wie es scheint, bei diesem Theoretiker nicht in Anschlag kommt, warum sollte man auf diesem Weg nicht soweit gehen können, einen Aerostaten von Blech zu fabrizieren, der groß genug wäre, um das Wunder der goldenen Kette des Homerischen Jupiter zu realisieren, und die ganze Erdkugel aus ihren Angeln emporzuziehen? Nur Blech genug und Raum genug für die Maschine; das wäre die einzige Schwierigkeit!

Wieland.”        


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