Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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64. Der Bandwurm in der Perle

Quelle: Dr. E. Carthaus, Aufsatz: »Die Perlen« in dem Werk »Die Wunder der Natur« Deutsches Verlagshaus Bong & Co., Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart, 1912.

Eine Perlenschnur, die den Hals einer schönen Frau umschlingt – der köstlichste Schmuckgegenstand geschmiegt an das Geschöpf, welches wir als die höchste Leistung der schöpferischen Natur betrachten! Ein berückender Anblick! Aber da streckt die Wissenschaft eine rauhe Hand aus, rührt an die Perlen auf der rosigen Haut – und alle Schönheit ist verschwunden.

Die Perle, die eine versteinerte Freudenträne aus dem Auge einer Göttin sein soll, sie ist in Wirklichkeit nichts anderes als der schreckliche Plagegeist einer armen, von Steinkrankheit befallenen Muschel. Wie der Mensch vom Gallen- oder Blasenstein gequält wird, so das Tier durch die Perle. Diese wird aus Kalksubstanz aufgebaut, die in allen Gefäßbahnen kreist und in feinsten Schichten aus dem Körper allmählich ausgeschieden wird. Den Anlaß dazu gibt eine Reizung der betreffenden Körperstelle durch Eindringen eines anorganischen Fremdkörpers oder – eines Eingeweidewurms, der, wie der Bandwurm beim Menschen, in den Eingeweiden der Muschel schmarotzt. Die Perle ist also trotz ihrer Schönheit eine pathologische Bildung, und die Muschel freut sich nicht, wenn sie sich Perlmutter fühlt.

Da der Fremdkörper der Zentralpunkt für die Perlenerzeugung ist, so wird er von der sich bildenden Substanz umgeben und ruht eingeschlossen in ihrer Tiefe. Jede Perle birgt also in ihrem innersten Innern entweder ein Sandkörnchen oder den Schneckenbandwurm. Gerade das Vorhandensein eines solchen Mikroorganismus, der sehr zählebig zu sein scheint, erklärt eine außerordentlich seltsame Erscheinung.

Die prachtvollsten Perlen insbesondere werden glanzlos und unansehnlich, wenn sie längere Zeit unbenutzt daliegen oder von altersschwachen, kränkelnden Personen getragen werden; sobald sie aber am Hals einer jungen, lebenskräftigen Frau prangen, leben sie wieder auf, erhalten ihren früheren Glanz zurück. Nach der Meinung von Dr. Carthaus, der sich eifrig mit diesem Problem beschäftigt hat, beruht dieser überraschende Vorgang darauf, daß die Hautatmung mancher Frauen, wenn auch in geringen Mengen, Stoffe ausscheidet, die nährend und belebend auf den unter der glänzenden Hülle der Perle schlummernden Mikroorganismus einwirken. Die Richtigkeit dieser Annahme wird durch die Tatsache bestätigt, daß Perlen, die kurz nach ihrer Gewinnung in Reiskleie gebettet werden, also in eine Substanz, die ein vorzüglicher Nährboden für solche Lebewesen ist, an Größe zunehmen, ja sogar noch knospenartige Auswüchse hervorbringen.

Den Chinesen ist diese Entstehungsursache der Perlen offenbar schon seit 92 langem bekannt, denn sie veranlassen geeignete Seemuscheln künstlich zur Perlenbildung, indem sie kleine harte Körper vorsichtig in ihren Leib einführen.

Die größte Perle, die je gezeigt worden ist, war auf der Londoner Industrieausstellung im Jahre 1851 zu bewundern. Sie war 3,8 Zentimeter lang und 2,5 Zentimeter breit, also ein wahrer Goliath ihrer Art.


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