Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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185. Der Trompeter auf dem Blitzzug

Man könnte im Speisewagen eines fahrenden D-Zugs ein Konzert veranstalten. Die Tafelmusik würde sich dann nach Tonhöhe und Klangfarbe durchaus nicht von einem Vortrag auf dem festen Erdboden oder im Saal eines Hauses unterscheiden. Höchstens würde das ratternde Geräusch der Räder auf den Schienen die Deutlichkeit der Musik ein wenig beeinträchtigen.

Anders gestaltet sich indes die Sache, wenn man die Bedingungen des Konzertvortrags abändert. Nehmen wir einen Solisten, zum Beispiel einen Trompeter, und setzen wir diesen anstatt in das Innere des Wagens oben auf das Verdeck. Zugleich stellen wir uns vor, daß der Zug sein Tempo beschleunigt und mit Hilfe einer Lokomotive von unerhörter Leistung eine Geschwindigkeit von 350 Metern in der Sekunde erreicht. Und nun beginnt der Trompeter der Fahrtrichtung entgegen zu blasen.

Erster Effekt: die Mitfahrenden und der Musikant selbst hören garnichts. Bliese er auch so stark wie sein Kollege von Jericho, so erreichte doch kein einziger Ton das Ohr der Hörer. Der Grund leuchtet ohne weiteres ein: die Geschwindigkeit des Zugs übertrifft die des Schalls, wir fliehen somit vor dem Ton, der uns nicht einzuholen vermag. Ebensowenig vernehmen wir nunmehr unsere Sprache oder einen Zuruf von Mund zu Ohr. Auch das Fahrgeräusch des Wagens ist für uns erledigt, denn wir überholen auch den ratternden Lärm seiner Räder.

Zweiter Effekt: wir durchsausen einen Bahnhof. Die dort versammelten Zuhörer würden die Melodie hören, aber in einer gewaltsamen Entstellung, mit völlig verschobenen Tonhöhen; bei der Annäherung des Zugs mit graduell erhöhten Tönen, bei der Entfernung mit ebenso vertieften. Es ist das bekannte »Doppler-Prinzip«, das diese – übrigens schon bei weit geringerer Geschwindigkeit beobachtete – Wirkung zeitigt.

Dritter Effekt: der Zug verlangsamt sein Tempo bis unter 330 Meter 253 in der Sekunde, so daß die Schallgeschwindigkeit wieder die Überlegenheit gewinnt und die zuvor verlorenen Klänge uns einholen. Nunmehr braucht der Trompeter nicht mehr zu blasen, wir hören sein Konzert trotzdem und zwar das ganze vorher absolvierte Programm. Aber in welcher Reihenfolge? Offenbar erreicht und überholt uns der zuletzt ausgesandte Ton zuerst, denn seine Schallwellen sind uns ja zunächst. Der erste Ton hingegen, als der fernste, erreicht uns zuletzt, mit anderen Worten: das Lied kehrt sich vollständig um, wie in einem verkehrt abgedrehten Phonographen. Hatte die Melodie eine Tonfolge von unten nach oben, in der Richtung von Baß zu Sopran, so gewinnt sie jetzt das Gefälle von Sopran zu Baß. Dieselbe Erscheinung würde natürlich in anderem Zeitmaß auch bei völligem Stillstand des Zugs eintreten. Der Trompeter könnte sich längst entfernt haben, aber sein ganzes Konzert würde uns, ins Gegenteil verkehrt, durch die Luft nachgeliefert.


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