Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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109. »Das habe ich doch schon einmal erlebt . . . .!«

Unter »fausse reconnaissance« oder »Pseudo-Bekanntheitsgefühl«, wie es Bärwald übersetzt hat, versteht man einen Vorgang, bei dem jemand die Empfindung hat, daß er genau dieselbe Situation unter genau denselben äußeren Umständen bis in alle Einzelheiten hinein schon einmal erlebt habe.

Als typisch wird unter anderem folgender Fall angeführt: »Ich lese in meinem Zimmer bei offenem Fenster; vor mir liegt der Roman »Quo vadis«. Während ich lese, denke ich an Petronius und befasse mich mit der Analyse seines Charakters. Ich denke daran, lese aber weiter, und die Begebenheiten der Erzählung ziehen an mir vorbei, während all mein Denken dem antiken arbiter elegantiae gilt. Da sagt mein Nachbar, der die Zeitung liest, mit lauter Stimme dazwischen: »Sieh mal! Barnum in Paris!« In demselben Moment habe ich die sehr bestimmte Empfindung, denselben Komplex von Eindrücken bereits auf genau dieselbe Weise empfangen zu haben. In einer Vergangenheit, die ich nicht bestimmen kann, war ich – so kommt es mir vor – bereits hier in 145 demselben Zimmer, in demselben Anzug, dasselbe Buch lesend, das in mir dieselben Betrachtungen hervorrief. Derselbe Freund hat, auf demselben Stuhl sitzend, im selben Journal lesend, die gleiche Bemerkung mit der gleichen Stimme fallen gelassen.«

Ähnliche Fälle sind vielfach berichtet worden. Es gibt Personen, die zu diesem Pseudo-Bekanntheitsgefühl besonders neigen. Es ist in jüngeren Jahren häufiger als im Alter und verschwindet später in vielen Fällen. Es kommt bei geistig ganz gesunden Personen vor, wird aber von diesen noch richtig gewertet. Nur wenn keine Korrektur mehr stattfindet, kann der Fall allenfalls zu den abnormen psychischen Zuständen, selbst zu den Symptomen einer Geistesstörung gerechnet werden. Hennig hat in neuerer Zeit darauf hingewiesen, daß wahrscheinlich der Seelenwanderungsglaube auf dem Auftreten dieses Pseudo-Bekanntheitsgefühls beruht. Unter den Gelehrten hat besonders Nietzsche sehr stark zu dieser Erscheinung geneigt, und es ist die Vermutung ausgesprochen worden, daß er dadurch zu seiner Wiederkunftstheorie angeregt worden sei.

Das Pseudo-Bekanntheitsgefühl hat ebenso wie andere Gedächtnisfehler eine große Bedeutung für die Beurteilung okkultistischer Phänomene. Es wird oft berichtet, daß Sterbende im Augenblick des Tods oder kurz vorher einem ihrer nächsten Angehörigen oder Freunde, der weit von ihnen entfernt ist, erscheinen. Die Anhänger der Telepathie führen das auf geistige Fernwirkung zurück, die dadurch bedingt werde, daß der Sterbende sehr stark an seine fernen Lieben denkt.

Eine englische wissenschaftliche Gesellschaft hat das Gebiet ausführlich bearbeitet. Unter den Fehlerquellen spielt sicherlich das Pseudo-Bekanntheitsgefühl eine Rolle. Der Betreffende hat die Empfindung, etwas zu erfahren, was ihm nicht neu ist, und wenn auch bei vielen eine vollkommene Korrektur eintritt, so gibt es doch eine Gruppe von Leuten, die weder das Ganze für eine Täuschung halten, noch glauben, daß sie den Vorgang wirklich schon einmal erlebt haben. Sie sind vielmehr überzeugt, daß der Vorgang zum erstenmal eintritt, glauben aber, ihn früher schon einmal geistig geschaut zu haben. Dadurch kommen sie zu der Überzeugung, daß sie die Fähigkeit des Vorausschauens haben, und es erklären sich damit viele prophetische Träume. Aber es erklärt sich damit auch ein großer Teil der sogenannten telepathischen Erfahrungen, besonders auch das Erscheinen Sterbender. Wenn die Nachricht von dem Tod eintrifft, hat der Betreffende das Gefühl, es sei ihm das Sterben schon vorher mitgeteilt worden, sodaß der Glaube an die Fernwirkung des Sterbenden damit außerordentlich erleichtert wird.

Hinzu kommt noch eine andere Fehlerquelle, auf die besonders Parish aufmerksam gemacht hat, und die er als Erinnerungs-Adaption bezeichnet. 146 Wenn nur eine Kleinigkeit stimmt, wird nachträglich sehr leicht alles, was sich etwa auf den Todesfall bezieht, in der Erinnerung angepaßt. Gerade der Krieg hat uns gezeigt, wie unzuverlässig in vielen Fällen das Gedächtnis ist, wie viele geneigt sind, irgend eine Mitteilung auf jede mögliche Weise auszuschmücken, und man wird sich wohl denken können, daß das besonders bei solchen Leuten in hervorragendem Grad geschieht, die durchaus an Wunder glauben wollen.


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