Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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24. Höchste Fruchtbarkeit

Quellen: Moritz Cantor: »Geschichte der Mathematik«. Verlag von B. G. Teubner, Leipzig, 1894. Z. – Eduard Engel: »Geschichte der französischen Literatur«. Verlag von J. Baedeker, Leipzig, 1901.

Nur von Erzeugnissen des Geists soll hier die Rede sein, aufgezeigt an etlichen Beispielen von der Höchstgrenze der Leistung in quantitativer Hinsicht. Auf die innere Güte und Bedeutung kann in diesem Zusammenhang selbstverständlich nicht eingegangen werden. Es handelt sich vielmehr nur um die Menge der Produktion, die das Einzelleben zu bieten vermag, wenn auch in diesen Massen eine Bestätigung des Worts liegen mag: »Das Genie ist der Fleiß.«

Lionardo da Vinci, der nach neuer Wertung »nebenher Maler und Bildhauer« war, im Hauptberuf aber Ingenieur, Physiker und Erfinder, ist auch den fruchtbarsten Schriftstellern aller Zeiten zuzurechnen. Die Gesamtzahl seiner Buchwerke beträgt 120; viele davon sind untergegangen und teilen das Vergänglichkeitslos seiner Bildhauerarbeiten. Aber die Zahl der von Lionardo herrührenden Blätter mit Abhandlungen, Entwürfen und Berechnungen, soweit sie noch heute erhalten sind, geht immer noch in die Tausende!

Raimundus Lullus, (geboren 1235), Urheber der »Ars magna Lulli«, der man ehedem in der philosophischen Welt eine gewisse Bedeutung beimaß, betätigte sich als einer der kräftigsten Vielschreiber. Die Mindestzahl der von ihm herrührenden Schriften theologischen, philosophischen und alchimistischen Inhalts beträgt 500. Nach andern Quellen hat des Lullus Fruchtbarkeit das Riesenmaß von 4000 Schriften erreicht.

Die Produktion des spanischen Dichters Lope de Vega ist in ihrer Üppigkeit weit über die Grenzen seiner Heimat sprichwörtlich geworden. Seiner eigenen Rechnung zufolge hat er bis zum Jahre 1631 weit über 1500 Komödien und 400 kleinere Bühnenspiele verfaßt. Ungefähr 500 davon sind erhalten, während die Mehrzahl verloren ging. Dazu kommt bei dem nämlichen Autor eine enorme Menge von Schriften erzählenden, lyrischen und didaktischen Inhalts, die in einer Madrider Ausgabe 21 weitere Bände füllten.

Auch Vegas genialer Landsmann Calderon hat mit seinen Gaben nicht gekargt. Er erreichte und überschritt mit seinen dramatischen Werken die Zahl 200.

Honoré de Balzac brachte es in seinem arbeitsreichen Leben bis auf 90 Romane und Novellen, die zusammen eine Bibliothek von 120 Bänden ausmachen.

Die Fruchtbarkeit des älteren Alexandre Dumas wird von Eduard Engel in seiner Geschichte der französischen Literatur drastisch gekennzeichnet: man hat berechnet, daß Dumas mehr als dreimal so viel zusammengeschrieben hat als Voltaire, dessen sämtliche Werke etwa hundert Bände umfassen. Scherzhaft 35 wurde gesagt, aber man könnte es ebensowohl im Ernst aussprechen: niemand habe Dumas' sämtliche Werke gelesen, nicht einmal – Dumas selber. Es gibt eine gut beglaubigte Anekdote, daß Dumas von einem der Romane, die seinen Namen trugen, unbefangen sagte: »Je l'ai signé, mais je ne l'ai pas lu.« Der Katalog seines Verlegers Lévy weist genau 300 Bände von Dumas dem Älteren aus, und dieser Katalog ist unvollständig!

Von den Gelehrten behauptet der große Mathematiker Leonhard Euler den Gipfel der Unbegreiflichkeit. Ihn feiert M. Cantors Monumentalwerk der Geschichte der Mathematik: „Man wird kaum ein Gebiet der reinen und angewandten Mathematik nennen können, in welchem Euler nicht tätig war, und Tätigkeit hieß bei ihm bahnbrechender Erfolg. Eine Gesamtausgabe alles dessen, was Euler geschrieben hat, würde mindestens 2000 Druckbogen stark werden.” Also nach der Größe gemessen mehr als 30 Bände größten Lexikonformats, worin Zeile auf Zeile die schwierigsten Probleme mit dem Maximum des Scharfsinns behandelt werden!

Auch unser Alexander von Humboldt kann sich in der Reihe der Hochproduzenten sehen lassen. Es genüge der Hinweis auf eine Notiz des Professors Leunis, der vom Jahre 1856 lakonisch meldet: »Humboldts sämtliche Werken kosten an 3000 Thaler!«

Den Beschluß bildet eine Frau, die Schriftstellerin George Sand. Die Pariser Gesamtausgabe ihrer Werke umspannt 109 Bände, Verleger und Werkstatt hatten zwanzig Jahre zu arbeiten, um das zu drucken, was der Dichterin aufs Papier strömte. Die Sand schrieb eigentlich ununterbrochen, und jedenfalls so andauernd, daß man kaum begreift, wo sie neben ihren geschriebenen die Zeit für ihre erlebten Romane hernahm. Es wird von ihr erzählt, daß sie nachts gegen zwei Uhr, wenn sie eben einen Roman beendet hatte, einen frischen Packen weißen Papiers vor sich ausbreitete, um die ersten Kapitel eines neuen Werks fertig zu stellen.


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