Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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222. Ebbe und Flut des festen Lands

Quelle: Artur Fürst: »Die Wunder um uns«. Vita, Deutsches Verlagshaus, Berlin-Charlottenburg. Z.

Nicht nur die Ozeane haben ihre Ebbe und Flut. Auch das feste Land ist genau denselben Gezeiten unterworfen.

„Der Mond, der im Zusammenwirken mit der Sonne die Meere von ihren Ufern fortzieht und sie senkrecht unter seiner Masse zu einem Wasserberg anstaut, übt den gleichen Einfluß auch auf das Land. Jenen Punkt der Erdoberfläche, über dem er gerade im Zenith steht, das heißt jenen Punkt der Erdkruste, der von einer gedachten, den Mittelpunkt der Erde mit dem Mittelpunkt des Monds verbindenden Linie getroffen wird, zieht er an sich heran. Es entsteht an dieser Stelle eine kräftige Aufwölbung der Erdoberfläche, die durch die Drehung unseres Planeten im Lauf von 24 Stunden einmal im Kreis um den ganzen Erdkörper herumläuft. In der Zenithbahn des Monds, die gänzlich in den Tropen liegt, beträgt diese Aufwölbung mehr als 30 Zentimeter, in Berlin erreicht sie noch die Höhe von annähernd 25 Zentimetern.

Da die Erde als ein völlig elastischer Körper anzusehen ist, so ist an dieser Ebbe und Flut des festen Lands der gesamte Erdball beteiligt.

Doch von dieser Bewegung merkt unser Auge natürlich nichts. Denn es fehlt uns der in absoluter Ruhe befindliche archimedische Punkt, von dem aus wir die Bewegung wahrnehmen könnten; wir selbst wandern ja mit hinauf und hinunter, und alles um uns herum gleichfalls. Der Schiffer aus hoher See 310 merkt es ebensowenig, wenn unter seinem Fahrzeug die Flut eintritt. Erst an der Küste wird das Phänomen sichtbar, denn der Flutberg des Wassers kann eine Höhe von zwanzig Metern erreichen, während das Festland, wie gesagt, nur um wenige Zentimeter nachgibt.

Die Tatsache der Deformierung der gesamten Erde durch die Mondanziehung ist wissenschaftlich einwandfrei festgestellt. Gewisse Messungen haben ergeben, daß man dem Erdball ungefähr die Festigkeit und Elastizität einer gleich großen Stahlkugel zusprechen kann. Es ist folglich eine für irdische Verhältnisse ganz ungeheure Kraft, mit welcher der Mond an der Erdkruste zerrt.

Doch man darf die Erdbewegung, die unser Trabant hervorruft, auch nicht überschätzen. Erstaunlich genug ist es zwar, daß diese Flutwelle im festen Boden überhaupt vorhanden ist, aber was bedeuten dreißig Zentimeter gegenüber dem Durchmesser der Erde, der mehr als zwölfeinhalb Millionen Meter lang ist! Man denke sich die Nordsee in ein Gefäß mit festen, völlig unnachgiebigen Wänden eingeschlossen und in das Wasser eine Stecknadelspitze eingetaucht. So unbedeutend wie die Erhebung des gesamten Wasserspiegels der Nordsee durch das Eintauchen dieser Stecknadelspitze, ist im Verhältnis die Verlängerung des Erddurchmessers durch die Mondflut. Von meßbaren Verschiebungen oder Spannungen, die durch die wechselnde Deformierung im Erdkörper auftreten, kann also keine Rede sein.

Die Großartigkeit des Phänomens bleibt trotzdem bestehen als ein Beweis für die Einheitlichkeit der Naturgesetze im ganzen Weltall.”


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