Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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252. Die Erde vom Mond gesehen

Quellen: Professor Dr. Julius Franz: »Der Mond«, 90. Bändchen der Sammlung »Aus Natur und Geisteswelt«. Verlag B. G. Teubner, Leipzig, 1906. Z. – Bruno H. Bürgel: »Aus fernen Welten«. Verlag Ullstein & Co., Berlin, Wien, 1910. Z.

Bei unserm Spaziergang auf dem Mond (siehe den vorigen Abschnitt) haben wir nicht vergessen, uns nach der Erde umzusehen.

So lange wir uns auf derjenigen Mondseite aufhielten, die unserm Planeten stets abgewendet ist, sahen wir natürlich nichts von der Erde. Dort ist sie ewig unbekannt. Aber nun befinden wir uns an dem zur Beobachtung geeignetsten Ort, im Mittelpunkt der der Erde zugewendeten Mondscheibe.

Senkrecht uns zu Häupten steht jetzt die Erde als eine mächtige Kugel am tiefdunklen Himmel, umgeben von einer strahlenden Fülle der anderen, so sehr viel kleineren Sterne. Da der Durchmesser der Erde 13½mal größer ist als der des Monds, so erscheint sie von dort her auch weit umfangreicher als wir von unserer Heimat aus den Mond sehen. Und entsprechend stärker ist ihr Schein in den Mondnächten. Das von ihr zurückgeworfene Sonnenlicht strahlt dann so kräftig, daß man den Erdenschein auf dem Mond sogar von der Erde aus sehen kann. Wir nehmen ihn deutlich wahr, wenn der Mond als schmale Sichel am Himmel der Erde steht; denn dann sehen wir auch den übrigen Teil der Mondscheibe in einem grauen Schein, dem »aschfarbenen Licht« leuchten. Lionardo da Vinci hat es zuerst richtig als Erdenschein gedeutet. Er ist heller, 352 wenn die großen Wüstenflächen Asiens und Afrikas dem Mond zugewendet sind, und weniger hell, wenn die geringeres Licht zurückstrahlende Wasserwüste des Großen Ozeans der Mondkugel gegenüber steht.

Während Sonne und alle übrigen Sterne in vier irdischen Wochen oder einem Tag und einer Nacht des Monds einen Umlauf am schwarzen Firmament vollenden, scheint die Erde am Himmel des Monds ewig zu ruhen: ein Sinnbild der Beständigkeit. Nur daß sie sich dem Blick nicht immer als eine volle Scheibe darbietet, sondern Phasen zeigt. Zur Zeit des Vollmonds (für die Erde) ist Neuerde (für den Mond), beim letzten Mondviertel erstes Erdviertel, bei Neumond ist Vollerde, beim ersten Mondviertel letztes Erdviertel. In jeder seiner Nächte wendet die Erde dem Mond 14mal alle ihre Seiten zu, und da bei ihrer Rotation immer wechselnde Flecken auf ihr sichtbar werden, kann sie den Mondbewohnern als eine immer genau gehende große öffentliche Uhr dienen.

Vom Mond aus gesehen, ist die Erde von einem sehr schmalen, hellen, verwaschenen Saum umgeben, nämlich der Atmosphäre; „und längs der Lichtgrenze verbreitet sich ein abschattierter Dämmerungsstreif. Man sieht das Spiegelbild der Sonne auf dem Ozean als hellen Punkt und bei geschärfter Aufmerksamkeit deutliche Anzeichen selbstleuchtender Punkte auf der Nachtseite der Erde. Es sind die tätigen Vulkane, die Feueressen der Bergwerke und Hütten und vor allem die immer zunehmende elektrische Beleuchtung der Großstädte. Ohne Zweifel werden sich auch unsere großen Wälder im Sommer als grünliche, im Herbst als braune, im Winter als graue Flecke abheben, und so könnte man vom Mond aus den Wechsel der Jahreszeiten auf Erden wahrnehmen.

Gebiete, die kleiner sind als z. B. die Insel Island oder als Bayern und Württemberg zusammengenommen, könnte man freilich mit unbewaffnetem Auge nicht mehr vom Mond aus erkennen. Mit unseren besten Fernrohren hingegen sähe man sogar noch vom Mond aus bei günstiger Beleuchtung und entsprechendem Schattenfall die große Cheops-Pyramide am Rand der Wüste als ein winziges Pünktchen. Sehen wir doch auf dem Mond mit den Rieseninstrumenten der Lick- und Yerkes-Sternwarte Kraterlöcher von 150 bis 200 Metern Durchmesser! Auch ein großer Truppenkörper, etwa ein Armeekorps, könnte auf geeignetem Gelände wahrgenommen werden. Eine große Stadt nun, etwa Berlin, wäre schon ein gut erkennbares Gebilde.”

Am auffälligsten sind aber, wenn man die Erde vom Mond aus betrachtet, die unerklärlichen, gewaltigen und veränderlichen Massen, die mit ihrer weißen Farbe alle Einzelheiten zeitweise verdecken. Sie wandern in bestimmten, bevorzugten Richtungen, so in Europa meist von Westsüdwest nach Ostnordost. Man sieht sie stets, aber den Bewohnern des Monds, wenn es solche gäbe (was nicht 353 der Fall ist), müßten sie für immer ein unlösbares Rätsel bleiben. Denn wie sollten sie auf ihrem Himmelskörper ohne Wasser und Luft – Wolken begreifen können!

Am allerwenigsten würde es ihnen in den Sinn kommen, daß diese merkwürdigen hellen Flecke schweben. Sie würden glauben, daß diese kompakten Massen bei ihrer Wanderung über die Oberfläche der Erde dort alles überdecken und erdrücken. Sie müßten daher nach der Meinung der Mondmenschen die Erde unbewohnbar machen, oder, da sie sich bewegen und verändern, selbst die Bewohner und zwar die einzigen Bewohner der Erde sein. Solchen Täuschungen kann man anheimfallen, wenn man sich von den aus der engsten Umgebung geschöpften Anschauungen nicht völlig befreit.


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