Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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26. Vom wunderbaren Spiel

Die Herausgeber dieses Buchs haben der größten Autorität auf dem Gebiet des Schachs, dem Weltschachmeister Dr. Emanuel Lasker, sieben Fragen vorgelegt und darauf autoritative Antworten von ihm empfangen. Die Fragen und Antworten lauteten:

  1. Ist die Anzahl der möglichen Spiele auf dem Schachbrett begrenzt oder ist sie unendlich?

Die Anzahl der möglichen Stellungen ist eine zwar ungeheure, aber 37 endliche und ließe sich sogar vielleicht nach Regeln der Kombinatorik zahlenmäßig bestimmen. Die Anzahl der möglichen Partien hängt von der Zahl der Züge ab, die man für eine Partie rechnet. Aber da man hierfür eine bindende Voraussetzung nicht aufstellen kann, so muß man die Anzahl der möglichen Partien überhaupt als unbegrenzt bezeichnen.

  1. Gibt es eine ideale, d. h. auf beiden Seiten fehlerlose Schachpartie?

Nach heutigem Stand der Theorie ist anzunehmen, daß es nicht nur eine, sondern sogar mehrere durchaus fehlerlose Partien geben kann. Ich (Dr. Lasker) bin geneigt, die Zahl dieser Partien auf etwa 20 zu veranschlagen. Das Übergewicht des ersten Zugs würde zum Gewinn der Partie nicht ausreichen. Die nach der Fragestellung als »ideal« bezeichneten Spiele würden vielmehr in jedem Fall zu einem völlig ausgeglichenen Remis führen.

  1. Worin bestehen die äußersten Leistungen des Blindlingsspiels und des Simultanspiels?

Die Höchstleistung auf diesem Gebiet wurde von Pillsbury mit 23 Blind-Partien innerhalb 12 Stunden vollbracht. Die Leistung erscheint enorm, wenn man sich vergegenwärtigt, daß er dabei ungefähr 1000 verschiedene Stellungen mit jeder kleinsten Einzelheit im Gedächtnis aufzubewahren und kombinatorisch auszufolgern hatte. Im Simultanspiel dürften heute Marshall und Capablanca mit je hundert gleichzeitig und offen gespielten Partien, rein zahlenmäßig benommen, an der Spitze stehen.

  1. Existiert in Theorie oder Praxis ein Schach »im Raum«?

Es existiert. An Stelle des Schachbretts tritt, so glaube ich, ein Kubus von 8 mal 64 durchsichtigen Würfeln. Die Figuren darin haben eine dreidimensionale Bewegungsfähigkeit. Das Raumschach entspricht indes meiner Ansicht nach nicht den Bedürfnissen des menschlichen Geists, und ich glaube sonach nicht, daß es sich eine Gemeinde gewinnen wird.

  1. Entsprechen die Schachaufgaben, als Endzüge, möglichen Fällen der Spielentwicklung?

Geschichtlich ist die Schachaufgabe aus überraschenden Zügen wirklicher Partien entsprungen. Dieses Band hat sich indes außerordentlich gelockert, und die heutigen Komponisten von Aufgaben erkennen in diesem Betracht als einzige Bedingung nur noch an, daß die Stellung, wie partie-unwahrscheinlich sie auch sein mag, nur partie-möglich sein muß. Man muß übrigens unterscheiden zwischen Problemen und Endspielen. Die Komponisten der Endspiele legen Wert auf Natürlichkeit im Sinn eines wirklichen Schachkampfs.

  1. Läßt sich der besondere Charakter einer bestimmten, als hervorragend anerkannten Partie mit Worten beschreiben oder wenigstens andeuten? Wir 38 wählen hierzu die sogenannte »Unsterbliche Partie« zwischen Anderssen und Kiseritzki.

In dieser »Unsterblichen Partie«, gespielt 1851 in London, lag das hervorstechende Moment im Opfer. Darunter versteht der Schachspieler die Preisgabe der eigenen Figuren, anscheinend ohne Kompensationen. Fast ausnahmslos entscheidet im Schach das Übergewicht der Figuren, sei es an Zahl oder an Qualität. In der Unsterblichen Partie aber setzte Anderssen mit 3 kleinen Figuren, nämlich 2 Springern und einem Läufer, matt, während der Feind noch alle Figuren auf dem Brett hatte.

  1. Entspricht das Schach als Spiel allen Bedingungen einer vollendeten Scharfsinnsprobe, oder könnte es in Zukunft durch ein anderes Spiel mit verfeinerten Regeln verdrängt werden?

Ich betrachte das Schach nicht absolut als das Allheil auf dem Gebiet des Figurenspiels. Z. B. stelle ich dem Go, dem Figurenspiel der Malayen, ein günstiges Prognostikon. Die geschichtliche Mission des Schachs ist indessen bei weitem nicht abgeschlossen. Es wird sich in kommenden Jahrhunderten noch entwickeln oder ändern. Aber, von kleinen Änderungen abgesehen, scheint mir das Schach, das doch einem bestimmten Bedürfnis des menschlichen Geists entsprechen soll, ein genügend einfaches und zugleich ein genügend verwickeltes Spiel zu sein.


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