Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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223. Der Tod und die Entropie

Quellen: F. Henning: »Entwicklung der Thermodynamik«. – F. Hasenöhrl: »Die Erhaltung der Energie und die Vermehrung der Entropie« in »Kultur der Gegenwart«, erster Band, dritte Abteilung. Verlag B. G. Teubner, Leipzig, 1915.

Wenn die Welt einmal untergehen soll, so wird sie unter verschiedenen Untergängen, die ihr seit der Apokalypse der Glaube, die Phantasie und die Erkenntnis zur Verfügung stellten, reichliche Auswahl haben. Tod durch Verbrennung, durch Zusammenstoß der Weltkörper, durch Kometenprall, durch Vergletscherung, durch Zerstäubung – alles wurde ihr angedroht, und es fragte sich nur, welche Prophezeiung die anderen überholen würde.

Zum Überfluß hat die neuere Physik einen neuen Modus aufgestellt und diesen mit Beweisen ausgerüstet, die an Schärfe alle früheren überragen. Nach diesem Modus wird die Welt am Entropie-Tod sterben.

Was ist Entropie?

Die meisten Leser würden die Lektüre abbrechen, wenn wir ihnen hier eine 311 genaue Erklärung vorsetzen wollten. Denn es handelt sich um eine höchst verwickelte Angelegenheit der Thermodynamik, die zu schwer zu erfassenden Formeln führt. Verzichten wir daher auf die Exaktheit des Ausdrucks und stellen wir einfach fest: die Entropie ist eine nur dem mathematischen Verstand erkennbare veränderliche Größe. Ihre Veränderlichkeit in steter Abhängigkeit von allen Bewegungen, allen Geschehnissen in der Welt ist so geartet, daß die Größe selbst stets größer und größer wird. Sie strebt einem Maximum zu und muß dieses einmal erreichen.

Und die physikalische Ausdeutung besagt: das Maximum der Entropie ist gleichbedeutend mit der Erschöpfung aller Bewegungserscheinungen der gesamten Welt. Alles was wir unter Körpergestaltung, organischem wie unorganischem Leben und Dasein, Himmelsmechanik und irdischem Vorgang, überhaupt unter sinnfälliger Erscheinung verstehen, hört auf. Übrig bleibt nur ein gestaltloses, vernebeltes Chaos mit einem gewissen Besitztum von innerer Wärme. Es ist ein Weltentod, der mit dem höchsten Grad der Wahrscheinlichkeit, d. h. gewiß, eintreten muß, da die unheimliche Größe, Entropie genannt, selbst auf einer zwingenden Wahrscheinlichkeitsbetrachtung beruht.

Die Physiker Thomson, Clausius und Boltzmann sind die Väter oder Pathen der Entropie. Gesehen oder dargestellt hat sie keiner; nur erschlossen und definiert haben sie dies unheimliche Etwas. Einfach hingeschrieben sieht es nicht einmal sehr schrecklich aus, nämlich so:

Die Buchstaben beziehen sich auf Wärmemenge und absolute Temperatur, während die vorgezeichnete Schlange ein Integral bedeutet. Aber dieses Integral ist lebensgefährlich. Es will immerwährend wachsen, und dieses Wachstum ist nur dadurch möglich, daß es allein übrig bleibt, alles andere verschwindet. In seiner Unersättlichkeit gibt es sich nicht eher zufrieden, als bis es den ganzen Kosmos mit allen Erscheinungen, die Welt als Wille und Vorstellung, aufgefressen hat.

Aber es ist ein Trost dabei. Der Entropiesatz hat einen Haken, und an diesen mag sich die Hoffnung klammern: die Physik hat dem Ungeheuer zur Erreichung seines Maximums auch eine ungeheure Zeitspanne gesteckt, nämlich die Unendlichkeit, und diese Ewigkeit ist nicht von heute an zu messen, sondern von Urzeiten. Da nun aber vom Anfang der Dinge bis jetzt eine solche Ewigkeit bereits verstrich, so hätte das Maximum der Entropie mit seinen grauenhaften Folgen längst erreicht sein müssen, während die Existenz der Welt das Gegenteil beweist. Vielleicht liegt die Unstimmigkeit der Prognose daran, daß die 312 Entropie-Lehre die Welt als ein abgeschlossenes System betrachtet, während jenseits des Universums andere Gebiete liegen mögen, in denen unsere Physikgesetze versagen.

Das eröffnet neue Ausblicke, die wiederum an längst vorhandene anschließen. Schon Voltaire hat sich, von Pope beeinflußt, in seinen Erzählungen »Candide«, »Zadig«, »Memnon« mit diesen vielfältigen anderen Universen beschäftigt. Unter den hunderttausend Millionen von Welten, die im Raum zerstreut sind, so belehrt bei Voltaire ein Engel den Helden, geht es durchaus stufenweise. Man hat weniger Weisheit und Vergnügen auf der zweiten als auf der ersten, auf der dritten weniger als auf der zweiten und so fort bis zur letzten, wo alles vollständig toll ist. Da fürchte ich, versetzt der Held, unser kleiner Erdball möchte just das Tollhaus des Universums sein. Nicht ganz, lautet die Antwort des Engels – aber viel fehlt nicht.

Allein selbst in dieser unserer engeren Welt erteilten schlechten Zensur kann ein Trost liegen; wenn man sie nämlich auf das Abenteuer der Entropie bezieht, die als »Gedanken-Experiment« irgendwie von den Erfahrungen unserer armseligen fünf Sinne abhängig bleibt. Der Philosoph von Ferney behauptet, daß schon auf dem Sirius 1008 Sinne vorhanden sind, die dann natürlich zu weit vollwertigeren Erkenntnissen führen. In der Sirius-Physik besteht vielleicht ein Satz, nach dem gerade die Entropie ein ewiges gedeihliches Fortleben der Universa verbürgt, ein Glücks-Intregal, das einem Maximum zustrebt.


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