Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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103. Ein Besuch Virgils

Quelle: Musäus: »Der Geisterseher Swedenborg«, Weimar, 1863. Z.

Swedenborg (siehe auch Abschnitt 101) unterhielt fortwährend Verkehr mit Geistern. Ihm erschienen nicht nur Personen, die er noch lebend gekannt hatte, sondern er unterhielt sich auch mit den Geistern längst verstorbener bedeutender Männer. Swedenborgs Biograph Musäus berichtet besonders ausführlich von einem Besuch Virgils bei dem Seher, dem zum Teil ein Zeuge beiwohnte:

„Einst während Swedenborgs Aufenthalt in London bekam er den Besuch eines jungen Magisters aus Finnland, des später wegen seiner ausgezeichneten Gelehrsamkeit bekannten Professors Porthan zu Abo. Dieser, obgleich weit entfernt, ein Swedenborgianer zu sein, hatte, teils aus Neugierde, den wunderbaren Mann zu sehen, teils aus dankbarer Achtung getrieben, sich in Swedenborgs Vorzimmer eingestellt, wo er von seinem Bedienten ersucht wurde, zu warten, weil sein Herr einen andern Fremden bei sich habe.

Porthan hatte zufällig seinen Platz nahe bei der Tür, die zu dem innern Zimmer führte, eingenommen, und von diesem aus hörte er, daß eine lebhafte Konversation gehalten wurde, die, während man auf- und abging, dann und wann abgebrochen und von ihm weniger zusammenhängend aufgefaßt wurde. Er vernahm jedoch deutlich, daß das Gespräch in lateinischer Sprache geführt wurde und die römischen Antiquitäten betraf, einen Gegenstand, der das größte Interesse für ihn hatte.

Als er eine Zeit lang zugehört hatte, wurde ihm gar wunderlich zu Mut, denn er hörte die ganze Zeit hindurch nur eine einzige Stimme, von längeren oder kürzeren Pausen unterbrochen, wobei die Stimme von irgend Jemandem eine Antwort bekommen zu haben schien, in der sie immerfort Veranlassung zu neuen Fragen fand.

Er nahm indessen als gewiß an, daß derjenige, den er hörte, Swedenborg war, der auch höchst zufrieden mit seinem Gast schien. Wer übrigens dieser wäre, konnte Porthan zwar nicht erforschen, aber doch deutlich erkennen, daß das 133 Gespräch sich um Personen und Verhältnisse in Rom während des Zeitalters des Augustus drehte, sowie auch, daß darunter vieles vorkam, das Swedenborg neu war.

Bald darauf wurde die Tür geöffnet, und Swedenborg, den er aus Porträts kannte, trat mit einer höchst zufriedenen Miene heraus. Mit einem freundlichen Nicken begrüßte er Porthan, war aber doch hauptsächlich mit einem unsichtbaren Gast beschäftigt, den er unter den verbindlichsten Artigkeiten bis an die äußere Tür begleitete, wo er von ihm Abschied nahm, sich ausbittend, bald einen neuen Besuch von ihm zu erhalten. Unmittelbar darauf wandte sich der Geisterseher an Porthan und redete ihn mit einem herzlichen Händedruck folgendermaßen an:

»Herzlich willkommen, Herr Magister! Entschuldigen Sie, daß ich Sie habe warten lassen. Sie sehen aber, daß ich Besuch hatte.«

Erstaunt und verlegen stammelte der arme Porthan hervor: »Ja, es kam mir vor, als ob ich es vernähme.«

»Und würden Sie wohl raten, von wem?«

»Unmöglich.«

»Denken Sie einmal, mein Herr, von Virgilius selbst. Und, wissen Sie, er ist ein ungemein angenehmer Mann. Ich habe stets eine gute Meinung von ihm gehabt, und er verdient es; er ist ebenso anspruchslos wie geistreich und dabei höchst interessant und unterhaltend.«

»So habe ich ihn mir auch vorgestellt«, fiel der Magister ein.

»Richtig, und er ist sich auch vollkommen gleich geblieben. Es mag Ihnen vielleicht bekannt sein, daß ich mich in meiner früheren Jugend mit römischer Literatur vielfach beschäftigte und auch einige Carmina verfaßte, die in Skara gedruckt wurden.«

»Ich weiß es, und alle Kenner schätzen sie hoch.«

»Das freut mich; dem sei aber wie ihm wolle; dies machte die liebste Beschäftigung meiner Jugend aus. Allein viele Jahre anderer Studien, Beschäftigungen und Gedanken liegen zwischen jener Zeit und der jetzigen. Virgils unerwarteter Besuch hat meine Jugenderinnerungen zurückgerufen; ich fand ihn artig und mitteilsam und befragte ihn daher über viele Dinge, worüber niemand besser als er Bescheid geben kann. Er hat mir versprochen, daß er bald wiederkommen werde.«”

Aus dieser Vision erkennt man klar den abnormen Geisteszustand Swedenborgs. In seiner Jugend hatte er sich viel mit lateinischen Dichtungen beschäftigt, und die Erinnerung daran wurde in ihm eines Tags so lebendig, daß er einen der bedeutendsten Vertreter jener Poesie wirklich vor sich zu sehen 134 glaubte. Kein objektiv Denkender wird an die Wirklichkeit der Erscheinung glauben. Die Annahme einer Halluzination liegt auch bedeutend näher, zumal wir aus vielen Fällen mit Sicherheit wissen, daß geeignete Personen einen ganz konkreten Eindruck des halluzinierten Gegenstands haben.


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