Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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177.

London, den 15. Juli 1882.

Und nun sage ich auch London Lebewohl. Das bunte Treiben in diesem Mittelpunkt der Welt, in dem ich mich so ganz zu Haus fühlte, wurde mir in der letzten Woche noch einmal recht nahe gebracht. Ich hatte mich zum erstenmal in einem deutschen Gasthof angesiedelt, um doch auch zu wissen, wie und wo meine Landsleute wohnen. Meine Tischnachbarn waren aus Japan, Ohio und Ostindien. Einer meiner Zimmernachbarn war außerdem zu meinem Staunen Andrada mit seinen Karten und Plänen vom Sambesi und langen, kreuz- und quergeschriebenen portugiesischen Briefen. In einem derselben war zu lesen, daß ein ihm befreundeter Schiffskapitän, der schon seit Monaten wegen beständiger Südwinde in einer Flußmündung eingeschlossen liegt, vor Hitze und Ungeduld den Verstand verloren habe, und in einem andern, daß einer seiner näheren Freunde von einem Rhinozeros gefressen worden sei. Sonst aber sei die ganze Gegend ein wahres Paradies. In den Straßen stieß ich fortwährend auf alte Bekannte aus Ägypten, wo zurzeit Arabi wütet, mit langen Gesichtern voll Blutdurst und Todesangst. Ein mir befreundeter Zahnarzt aus Kairo kam gerade vom General Wolseley, dem er seine Ansichten über einen Feldzug im Delta mitgeteilt hatte, die er mir denn auch bei meinem letzten Glas Bier in London mit vielen arabischen Brocken vermischt anvertraute. Eine Stunde später kehrte ich all dem wehmütig den Rücken. Der Gedanke, daß die Welt auch andre Mittelpunkte habe, wollte nicht verfangen. Ich hoffe, es wird mir dies später wieder deutlicher werden.

Zur Erinnerung an diesen Abschiedstag nahm ich in den ersten Frühstunden meine letzte englische Skizze in den Straßen Londons auf: Ludgatehill mit St. Paul im Hintergrund. Mein Gasthof, de Keysers Hotel, liegt in nächster Nähe, so daß ich nur beizeiten aufzustehen brauchte. Es war noch Dämmerung; wenigstens brannte eine Gasflamme in der Straßenlaterne, die mir während des Zeichnens als Stütze diente. Über die Kuppel der gewaltigen Kirche trieben rosige Wölkchen. Um mich her war es noch so still, als es in einer Millionenstadt sein kann. Zu jeder anderen Stunde wäre es unmöglich gewesen, an dieser Stelle zu skizzieren. Aber auch so war kein rechter Ernst in der Arbeit. Ich dachte daran, dass dreimal sieben Jahre verflossen waren, seitdem ich zum erstenmal, an einem sturmbewegten Frühlingsmorgen, dieses Bild angestaunt hatte, betäubt von dem wogenden Brausen um mich her, das an diesem Kreuzungspunkt von Ludgatehill und Blackfriars nie zu verstummen schien. Einundzwanzig Jahre! Was hatte ich nicht alles erlebt in dieser Zeit, gesehen und gehört, genossen und wohl auch zuzeiten gelitten! Genossen weit mehr als gelitten, sicherlich. Und nun war all das vorbei, und die donnernden Straßen lagen still und tot um mich her, für den Augenblick. – Doch wohl nur für den Augenblick. Rosige Morgenwölkchen trieben auch jetzt wieder über die Kuppel von St. Paul. –

Heute Abend gehe ich über Harwich nach Köln und Bonn. Mein sämtliches Gepäck ist bereits unterwegs. Den Frachtbrief, den ich ordnungswidriger Weise auf einer der Rückseiten meines Skizzenbuchs entwarf, lege ich bei:

Frachtbrief

Mit einem Köfferlein,
Niedlich und klein,
Zog ich einst frisch in die Welt hinein.

Mit Kisten und Kasten,
An die zwanzig Lasten,
Komm' ich heut' wieder, vielleicht für immer zu rasten.

All das in kurzer Frist;
Nun es gewogen ist,
Weiß ich, wie leicht mir war – und wie schwer mir's ist.


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