Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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137.

Schalabas bei Damiette, den 20. April 1880.

Die Zeit der langen Briefe ist vorbei. Ein Glück, daß ich mich auf den Überschuß guter Werke aus der jüngsten Vergangenheit berufen kann. Ich schreibe in einem Häuschen aus Nilschlamm, aus dem bei meiner Ankunft eiligst ein fast ebenso großer Haufen Staub, Stroh und Flöhe hinausgefegt wurde, und das dann nach weiteren zehn Minuten sein entsprechendes Hausgerät empfing. Neben mir wohnt ein armenischer Kammerdiener Nubar-Paschas, den mir sein Herr als dienstbaren Schutzgeist mitgegeben hatte, und der sich seit zwei Tagen mit vieler Geduld von mir pflegen läßt; denn er behauptet, sich erkältet zu haben. Hundert Schritte davon sind drei Häuser, das eine, geheimnisvoll verschlossen und bewacht, der Harem Mahmuds, des Gutsverwalters, das andre, stets offen, die stallartige Wohnstätte eines französischen Mechanikers, und als drittes ein altes Maschinenhaus, das stattlichste von den dreien. Hinter dem letzteren und hart am Nil ist das chaotische Feld meiner Tätigkeit, auf dem das neue Pumpwerk errichtet wird, dessen Ankunft ich so lange mit Schmerzen erwartet habe.

Sonst ist alles eine unübersehbare Fläche mit ein wenig Weizen und ein wenig Baumwolle und unendlich viel Reis, dem Haupterzeugnis der Gegend. Denn ein Dutzend Fellahhütten, welche sich kaum über den Boden erheben, dem sie gleichen, sind nicht des Bemerkens wert.

Fast noch bescheidener ist, was sich von Menschen zeigt, da Nubar-Pascha das große Gut nicht selbst verwaltet, sondern an die Bauern der umliegenden Dörfer verpachtet hat, denen er zugleich das Wasser liefert. Das letztere sollen unsre Pumpen in so außerordentlich billiger Weise beschaffen, daß es mir vor der kommenden Prüfung förmlich graut. Denn Mr. Fowler hat Nubar ein fast unmögliches Minimum von Kohlenverbrauch versprochen, und ich bereue seit Wochen dieses rasche Versprechen aufs tiefste. – Es ist allerdings herrlich – für Mr. Fowler –, daß man sogar seine Gewissensbisse durch einen andern erledigen lassen kann.

Nubar, der mich selbst in seinem Dampfer hierherbringen wollte, zog schließlich vor, diese Ehre seinem Kammerdiener zu überlassen, mit dem ich zunächst nach Damiette fuhr. Es ist eine altertümliche, wunderlich aussehende Stadt mit einer langen Reihe hoher, zerfallender Häuser, dicht am Nil, und mit einem halben Dutzend hübscher Minaretts und ärmlicher Moscheen. Ein Franzose, der während des Suezkanalbaues hier strandete, hält das einzige Wirtshaus, in dem wir die einzigen Gäste waren. Die Stadt war in fieberhafter Erregung. Denn am folgenden Tag wurde der Vizekönig erwartet, der gegenwärtig eine Rundreise macht, um sich hinter dem Rücken der europäischen Finanzverwaltung Geld für eine Reise nach Konstantinopel einzusammeln, und deshalb das Land von Ort zu Ort abgrast. Es ist etwas hart, wenn man illuminieren muß, während einem die Taschen ausgeleert werden. Aber die Leute scheinen ganz glücklich dabei und preisen die von Gott gewollte Regierungsweise mit viel schönen Reden.

Am folgenden Morgen nahmen wir ein Boot mit einer ausbedungenen Bemannung von drei Leuten, um nilaufwärts nach Scharabas zu kommen. Der dritte Schiffer, zugleich der Steuermann, war aber erst fünf Jahre alt, so daß ich das Amt selbst übernehmen mußte, was mich einen halben Tag lang um so mehr unterhielt, als wir viermal strandeten und unser kleiner Steuermann sich beim Essen einer Apfelsine, die ich ihm geschenkt hatte, so weit vergaß, daß er über Bord fiel und mit vielem Geschrei wieder gerettet werden mußte. Anderseits war die stille Fahrt in der köstlichen Morgenluft überaus angenehm und die Begegnung mit den fünf vizeköniglichen Dampfern sowie der Jubel der Dörfer am Ufer, selbst zu Ehren des Küchendampfers, von hohem und allerhöchstem Interesse.

Und nun sitze ich hier, vergessen von der Welt, die Welt vergessend.


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