Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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127.

Leeds, den 21. September 1879.

Briefe aus Lima, San Franzisko und Konstantinopel, aus Amsterdam (wegen Java), aus Rumänien und Algier. Endlich regt es sich wieder!

Ein Sommer ruhiger, aber mannigfaltiger Arbeit geht zu Ende, der mir Zeit ließ, das halb zur Heimat gewordene England in seiner feuchten, duftigen Schönheit näher kennen zu lernen; der auch manchen kleinen Ärger brachte, wie uns solche in schlechten Zeiten moskitoartig umschwärmen, auch Stunden für stille Studien, abseits vom Geschäft: Fergussons Prachtwerk über indische Architektur, Crolls Erklärung der Eiszeiten, Piazzi Smyths Pyramidenphantastereien. Schließlich, als die Geschäfte noch immer nicht gehen wollten, ergab ich mich mit großem Ernst dem Buddhismus und wundere mich unsäglich, wieviel menschlich Wahres in Sprüchen uralter Weisheit liegt:

»Bete nicht! Das ew'ge Dunkel gibt in Ewigkeit kein Licht!
Frage nicht! Das ew'ge Schweigen kann nicht reden; frage nicht.«

Gibt es zwei Zeilen, die aus einer tieferen Tiefe des natürlichen Menschenherzens kommen?

Ein kürzlich erschienenes Buch erregt einiges Aufsehen auch unter dem Volk, welches nur lebt, um Geld zu machen, und nicht weiß, was damit anfangen, wenn es gemacht ist. Der Titel heißt: »Is life worth living?« »Ist das Leben wert, gelebt zu werden?« Der Verfasser erwidert schließlich nicht ja und nicht nein, sondern ein wehmütiges »Kaum«. »Punch« gab eine vortreffliche Antwort, die sich leider nicht übersetzen läßt: »That depends on the liver«. Das hängt von dem »liver« ab. Liver heißt der Leber, das heißt der Lebende, der es lebt; aber auch die Leber. Darin liegt Weisheit. Ärgerlich aber ist, ein solches Buch, das so ganz aus unserm modernen Leben hervorging, mit dem alten indischen Denken und Fühlen zu vergleichen. Wir sind nicht weiter gekommen seit dreitausend Jahren. Weiter?! Ja, wenn der Schritt von der erschütternden Ergebung des träumenden Indiers zur krittligen Nervenschwäche unsers heutigen Zynismus ein Fortschritt ist! Wenn mich irgend etwas an Darwin irre machen könnte, so wäre es diese Versumpfung des menschlichen Geistes in betreff seiner höchsten Interessen. Wir stehen so stumm wie Fische und so dumm wie Ochsen vor einer ehernen Mauer, die wir nie durchbrechen werden. Frage nicht! – Ja, wenn es nichts Besseres gäbe und nirgends mehr Licht!

Wundert Euch nicht, wenn mein nächster Brief aus Algier kommt. Dort soll es seit einigen Wochen drunter und drüber gehen, wie es sich schickt für diese tolle Welt.


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