Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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27.

Leeds, den 6. August 1870.

Eure letzten Briefe waren acht Tage unterwegs. Wäre es möglich, daß alles an der Grenze aufgehalten wird, um etwaige Kriegsnachrichten ablagern zu lassen? Es wäre so unklug nicht.

Daß Ihr meinem vorwitzigen Brüderchen trotz seiner Jugend nichts in den Weg gelegt habt, als Freiwilliger mitzuziehen, ist schön und gut. Will's Gott, so ist sein guter Wille und eine Anzahl erschöpfender Märsche alles, was das Vaterland von ihm verlangt. Ich wollte nur, ich könnte Euch etwas von dem Stoizismus geben, der mir auf dem Meer und in der Wüste, im rauchigen Leeds und in den sonnigen Tropen allmählich angewachsen ist. Die Zeiten mögen kommen, in denen wir alles brauchen, von innen und außen, was uns aufrechterhalten kann. Eins aber sollen sie uns nicht nehmen – den Glauben an Gottes Fügung und an die Kraft des Guten in der Welt.

Man spricht hier, weit vom Schusse, fast von nichts anderm mehr als vom Krieg. Die Schlacht von Weißenburg, von der wir nur erst durch den Telegraphen wissen, macht einen gewaltigen Eindruck. Sie löst sozusagen die mechanische Frage des Kriegs, die mir viel zu schaffen machte: sie zeigt, daß die Zündnadel gegen Chassepot und Mitrailleuse gewinnen kann. Damit ist unser schließlicher Sieg fast gewährleistet.

Die Volksstimmung hierzulande ist zurzeit entschieden deutsch. Die englischen Berichterstatter auf deutscher Seite sind voll Begeisterung für die Sache und das Volk, dessen Kämpfe sie zu beobachten haben. Nur der torystische Standard hat unlängst eine Schwenkung in französischem Sinne gemacht, was recht gut ist, indem es den andern Blättern Gelegenheit gibt, wenigstens gegen einen ihrer Kameraden loszuziehen. Die Einstimmigkeit unmittelbar nach der Kriegserklärung war uns nicht zuträglich. Das Publikum fühlt sich in solchen Fällen geneigt, selbst Opposition zu spielen.

Hinsichtlich der Neutralität Englands geschieht wenigstens etwas. Eigentliches Kriegsmaterial, Kriegstelegraphen und dergleichen werden aufgehalten, Kohlen für Kriegsschiffe ebenfalls, Pferde nicht. In diesen Dingen bleiben die Engländer ewig Engländer. Es ist die schwache Seite der Nation, wie es ›l'amour propre‹ die Eigenliebe, bei den Franzosen ist. Nichts wird einen Franzosen überzeugen, daß es Verhältnisse gibt, in denen l'amour propre andern Rücksichten nachzustehen hat. Nichts überzeugt einen Engländer, daß Umstände eintreten können, die ihn um eines höheren Zwecks willen verpflichten, auf einen guten Handel zu verzichten. Zudem ist die Maschinerie der englischen Gesetze unglaublich unbeholfen, wenn es sich darum handelt, in die persönliche Freiheit einzelner einzugreifen. Eine gute Plumpheit unter Umständen. Die Sache ist schwieriger, als man in Deutschland annimmt, wo, wie in Frankreich, unter Neutralität ein ausgesprochener Hang nach der eignen Seite verstanden wird.

Ich habe wenig Lust, in dieser ernsten Zeit, in der das Schicksal der Welt und jeder einzelnen Familie auf des Schwertes Spitze schwankt, von meinen eignen kleinen Erlebnissen zu erzählen. Alle Geschäfte fühlen den Einfluß des Kriegs. Bradfords Wollenindustrie und die Flachsspinnereien von Leeds sind wie vom Schlag gerührt. Bei uns geht es noch. Nächstes Jahr ist die Olympiade der großen Dampfpflugwettkämpfe wieder abgelaufen und bereits sind wir in Tätigkeit, Vorbereitungen für deren Wiederholung zu treffen. Infolge davon habe ich ein Patent auf eine Dampfmaschinensteuerung genommen und bin im Begriff, Geräte zum Flachpflügen zu konstruieren. Die Sache liegt mir schon seit einem Jahr im Magen und muß endlich heraus. Aber es ist eine förmliche Niederkunft mit Hindernissen. Ich werde bleich und bedarf stärkender Weinchen. Hoffentlich kann ich ein paar Monate hierbleiben, um den Gedanken Fleisch und Blut werden zu sehen.

Vorausgesetzt, das Vaterland braucht mich nicht; und beinahe wäre dies der Fall! Wie alles in fast unglaublicher Weise in Berlin vorbereitet ist! Ich bin nun seit neun Jahren aus Deutschland sozusagen ausgewandert und habe zu Preußen nie irgendwelche Beziehungen gehabt. Trotzdem bekomme ich vor einigen Tagen ein Schreiben von irgendwelcher Militärbehörde in Berlin: Man vermute, daß es mir möglich sein dürfte, mit einem englischen Paß nach Frankreich zu gehen, um Erkundigungen einzuziehen, ob und welche Truppen in den nördlichen Häfen des Landes zusammengezogen werden. Ich bat sofort Fowler, mir den Paß zu verschaffen; wir bauen gegenwärtig einen Schlepper in Caen, nach dem ich notwendig sehen müsse. Fowler roch leider den Lunten, lachte und meinte, mein Hals sei ihm lieber als der Schlepper, der bis nach dem Krieg warten könne. So bleibt mir nichts andres übrig, als darauf zu verzichten, dem Vaterland besagten Hals anzubieten. Soldat oder Spion, ich hätte es herzlich gern getan.


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