Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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12.

Leeds, den 12. Juni 1869.

Nicht ohne Feierlichkeit, die ich nicht übergehen darf, kam mein Aufenthalt in Belgien in den letzten Tagen zum vorläufigen Abschluß.

Wir hatten der Welt einen großartigen Versuch – »une expérience« – angekündigt. Der Zweck war einfach, zu zeigen, was wir zu leisten imstande sind und was wir bereits geleistet haben. Es standen uns die Linie zwischen Lüttich und Namur und drei Drahtseilschlepper der Maasgesellschaft zu Gebot, da der vierte, der von Seraing, nicht fertig geworden war. de Mesnil und namentlich Labrousse waren in ihrem Element. Ganz Europa und ein Teil von Amerika wurden eingeladen »d'assister«.

Auch erschienen diese und andre Weltteile. Leutnant Heywood, ein alter Indier, war einer der ersten Ankömmlinge. Ein besonders glücklicher Umstand hatte dabei mitgeholfen. Hervorragende angloindische Kaufleute hatten die englische Regierung schon vor Jahresfrist ersucht, die Kettenschiffahrt auf der Seine untersuchen zu lassen. Der vergessene Brief wurde aus einem Haufen Akten hervorgezogen, als R. Fowler den Herzog von Argyle, den Sekretär des Indian Office, um einen Teilnehmer an unsern Versuchen bat, der nun auch sofort abgesandt wurde. Sodann kam, um mit den Engländern aufzuräumen, ein Vertreter von Glas Elliot, den atlantischen Telegraphenleuten, und endlich Crampton, der bekannte Erfinder des Cramptonschen Lokomotivsystems.

Die Franzosen fanden sich zahlreicher ein. Amtlich wurden drei Ingénieurs-en-chef des ponts et chaussés – einer aus Metz und zwei aus Paris – geschickt. Dann waren verschiedene Bergwerks-, Kanal- und Flußschiffahrtsgesellschaften vertreten. Am wichtigsten für uns war Buquet, der Ingénieur de la navigation du canal de Suez, den Lesseps mit einem Entschuldigungsschreiben voll französischer Höflichkeit gesandt hatte, da er selbst zurzeit damit beschäftigt war, sich bei den Wahlen zu Marseille gründlich abführen zu lassen.

Buquet hatte kürzlich mehrere Briefe gegen uns veröffentlicht, gegen die sich de Mesnil wacker verteidigt hatte. Er kam deshalb ohne Zweifel mit der redlichsten Absicht, alles so schlecht als möglich zu finden, und verhielt sich während des ersten Tages mit finsterer Zurückhaltung. Höchst belustigend war es nun, zu sehen, wie dieser Mann im Laufe von drei Tagen rechtsumkehrt machte und schließlich mit französischer Lebhaftigkeit erklärte, daß er unser System für das einzig mögliche auf dem Suezkanal halte. Einer seiner Bekannten erinnerte ihn daran, daß er noch vor wenigen Wochen dies und jenes gegen die Seilschiffahrt gesagt habe. Seine Antwort war energisch und bezeichnend für einen alten Dragoneroffizier, der er war. »Ich scher' mich den Teufel um das, was ich geschrieben habe!« – Die Deutschen hielten sich wacker. Vom Rhein war der Königlich Preußische Stromdirektor von Nobiling da, der in jugendlicher Begeisterung, trotz seiner Jahre, über die Sache herfiel. Von der Elbe kam der »Vater der deutschen Kettenschiffahrt«, ein lieber, älterer Herr, ohne unüberwindliche Vorurteile; von Dresden Ingenieur Bellingrath, der Leiter der dort sich neubildenden Schleppgesellschaft. Österreich schickte einen Wasserbaudirektor und einen Ingenieur Ressel, den Sohn des Erfinders der Schraube, und das energische Württemberg den wohlwollendsten der wohlwollenden Wasserbautechniker, Herrn von Martens. Holland und Belgien übergehe ich als selbstverständlich zahlreich vertreten. Es ging alles wie am Schnürchen, und der allgemeine Eindruck war sichtlich ein durchaus günstiger. Ein Drittel unsrer Gäste war grundsätzlich gegen uns gewesen, und ein derartiges Schaufahren ist natürlich nicht genügend, um die Überzeugung von vielleicht vielen Jahren über Bord zu werfen. Doch selbst in hartnäckigen Fällen erzielten wir das Geständnis, daß die gründlichste Prüfung beider Systeme jedem weiteren Vorgehen mit Seil oder Kette vorangehen müsse. Wenn ein zweijähriger Junge gegen einen zwölf- oder fünfzehnjährigen so viel herausschlägt, muß doch wohl das Bürschchen etwas vom Herkules in sich haben.

Bei dem unvermeidlichen Festessen, das den Schluß der drei Tage bildete, waren fünfzig bis sechzig Leute beisammen, von denen jeder ein wirkliches Interesse an der Sache hatte. Die meisten hatten weite Reisen unternommen, um sie zu beobachten, und alle kehrten mit dem Gedanken zurück, daß wir der Lösung einer der schwierigsten technischen Aufgaben entgegengingen.


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