Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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4.

Hansweerd, Zeeland (Holland), den 4. Oktober 1868.

Vor zehn Tagen kam ich zum erstenmal hierher. Der Bevelandkanal verbindet die Ost- und Westschelde und bildet einen Teil der Wasserstraße zwischen Antwerpen und Rotterdam. Hansweerd, ein Dörflein, dessen Dächer kaum über die hohen Dämme der Flüsse und Wasserbecken herausragen, liegt am südlichen Ende des Kanals, der übrigens nur zehn Kilometer lang ist. Vorläufige Versuche mit einem größeren Schlepper verliefen auf dem allerdings sehr günstig gestalteten Kanal ohne jeden Anstand. Nach denselben kehrte ich nach Godurville zurück, um die nötigen Vorbereitungen für die Austragung der Wette mit Bouqié zu treffen. Die Sache erregte beträchtliches Aufsehen in Brüssel. Für mich war sie nur ein schlechter Witz; denn wenn uns nicht ein besonderer Unfall in die Quere kam, so war ich meiner Sache sicher. Ein solcher war allerdings bei einer noch ganz neuen Maschine möglich, und überdies machten auch andre Erfahrungen die äußerste Vorsicht nötig. Die Böswilligkeit der am Kanal beschäftigten Pferdebesitzer beginnt praktische Formen anzunehmen.

Morgens um zehn Uhr war alles bereit. Ich hatte einen meiner englischen Monteure aus Lüttich herbeitelegraphiert, der Heizer sein sollte. Den Maschinenwärter spielte ich selbst. Die Sicherheitsventile bliesen ab, die Maschine war blank geputzt und wohl geölt, der kleine Dampfer lag ungeduldig rauchend vor dem Eingang des Tunnels. Um halb elf Uhr kam die Gesellschaft von Brüssel, etliche zehn Herren, Bouquié mit seinen Freunden, de Mesnil mit den seinigen, amtliche Zeugen mit Chronometern und anderm feierlich erscheinendem unnötigem Geräte. Alles sah so ernsthaft drein, als gälte es eine Königskrone. Ein kleiner Streit entstand: »ob die Wette so zu verstehen sei, daß der Dampfer vom Augenblick, wo seine Spitze in den Tunnel tritt, bis zum Zeitpunkt, in dem seine Spitze den Tunnel verläßt, oder bis sein Steuerruder draußen ist, zwölf Minuten brauchen dürfe?« Großmütig entschied ich für Bouquiés Auffassung, der natürlich von der Spitze bis zum Ruder rechnete. Darauf begab sich die Hälfte der Gesellschaft an das entgegengesetzte Ende des Tunnels. Bouquié, der sichtlich den Mut zu verlieren anfing, blieb auf unsrer Seite. Den Direktor der Fowlerschen Fabrik zu Leeds, Mr. Greig, welcher uns auf der Durchreise einen Besuch machte, nahm ich an Bord. Sonst war niemand mit uns als der Heizer, ich und der Steuermann. Die Sache ging glänzend vonstatten. Einer der Zeugen, der unsre Einfahrt beobachtete, hatte ein Pferd bereit und galoppierte, den Chronometer in der Hand, während wir durch den Berg brausten, über denselben nach dem andern Ende, wo uns ein allgemeines Hurra empfing. Wir hatten die Fahrt in 9 Minuten 49 Sekunden gemacht, und die Wette mehr als gewonnen. Komisch war am Schluß des Tags das Schicksal meines englischen Heizers, eines sonst strengen Temperenzlers, der in der Freude seines Herzens gegen Abend seinen Wein wie Wasser trank und aus Übermut nahezu im Kanal ertrank. Vorgestern kehrte ich zurück, um den Verkehr auf dem Bevelandkanal wenn möglich in regelmäßigen Gang zu bringen.


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