Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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97.

Timaschwo, den 23. Juli 1876.

Die lange Eisenbahnfahrt von Ostende über Berlin, Petersburg und Moskau nach Nishnij Nowgorod, die längere Fahrt mit den Wolgadampfern bis Samara und ihre kurzen Unterbrechungen voll fremdartiger Eindrücke muß mit diesen wenigen Worten als erledigt gelten.

Als ich Timaschwo, ein kleines Dorf, achtzig Werft östlich von Samara, erreicht hatte, fand ich eine unsrer Dampfpflugmaschinen in Kratchoffka, der nächsten Eisenbahnstation, zehn Stunden von Timaschwo, von den sechs englischen Arbeitern, die wir mit den Sachen abgeschickt hatten, fertig aufgestellt. Der weit größte Rest des Materials lag noch in Samara, am Ufer der Wolga. Der Weg von Kratchoffka nach Timaschwo, den wir mit eignem Dampf zurückzulegen hatten, machte mir zunächst schwere Sorgen. Er führt über fünf bedenkliche Brücken, die sämtlich gestützt werden mußten und auch dann in keiner Weise für die Last berechnet waren, die ihnen nunmehr drohte. Die moralische Verantwortung lag auf mir, und ich beschloß, die fertige Maschine zum Zweck einer Probefahrt nach Timaschwo zu bringen, ohne auf die andern zu warten. Wir setzten uns mit dem gewöhnlichen Gefolge von Ochsenkarren, Wasserwagen, von Brettern und Balken für vorübergehende Straßenbauten in Bewegung. Die Sache fing nicht allzu erbaulich an. Beim ersten Talübergang, noch ehe wir die erste Brücke erreicht hatten, sank die Maschine durch die scheinbar festeste Erdschichte bis an die Achsen in den Moorgrund. Erst am folgenden Tag hatten wir sie wieder über dem Boden und über dem ersten Fluß. Dann ging's flott ein paar Stunden entlang bebauter Höhenzüge. Am zweiten Abend lagen die zwei nächsten und gefährlichsten Brücken hinter uns und wir hielten in tiefer Feld- und Waldeseinsamkeit für die Nacht. Am dritten Tag, nachmittags vier Uhr, waren wir unter großem Volksauflauf glücklich über die letzte Schwierigkeit hinweg und in Timaschwo eingerückt.

Dort erwartete mich ein Telegramm aus London: »Straßenlokomotive für russisches Militär geht morgen nach Petersburg«. Dies ist für mich ein Zeichen, das gleiche zu tun und diesen Brief in ungewohnter Überstürzung zu schließen.


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