Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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47.

Prag, den 22. November 1871.

Nach Baden Böhmen. Auch dieser kleine Feldzug lief ohne besondere Schwierigkeiten ab. Den Güterdirektor der riesigen Besitzungen des alten Kaisers Ferdinand, Herrn Bertel, traf ich zunächst nicht in Prag. Unsre Maschinen entdeckte ich in einem versteckten Neste, Minkwitz, im Begriff, auf einem großen Wiesenstrich, der früher ein Teich gewesen war, ihre Tätigkeit zu beginnen. Meine erste Aufgabe lag darin, sie vor dem Versinken zu bewahren. Ein Mittel, das ich dagegen vorschlug, hätte mehrere Wochen der Beschaffung gekostet. Um nun mit dem rein örtlichen Hindernis nicht allzuviel der kostbaren Herbstzeit zu verlieren, schickte man den Apparat auf ein drei Stunden entferntes Gut Slowenowes, wohin wir alsbald übersiedelten.

Hier erst bekam ich einen Begriff von dem Reichtum Böhmens. Die Höhen über den kleinen Tälern, in denen ich mich bisher bewegt hatte, bilden ungeheure, teils ebene, teils sanftgeschwungene Flächen des besten Bodens. Soweit das Auge sieht, kaum unterbrochen durch endlose Reihen von Obstbäumen, durch einen einsamen Meierhof, durch den Schornstein einer Zuckerfabrik oder einer Brauerei, dehnt sich der hellgelbe Grund mit seinen viertelstundenlangen Pflugfurchen. Den Horizont bilden die Höhen des Erz- und Riesengebirges, gerade noch nahe genug, um dem müden Auge einigen Trost zu gewähren. Es scheint in der Tat ein Land wie geschaffen für Dampfkultur, namentlich wenn man weiß, daß unmittelbar unter diesem fruchtbaren Boden die beste Kohle zu haben ist.

Wir gingen munter an die Arbeit und schienen die Eingeborenen höchlich zu befriedigen. Was mir besonderen Spaß machte, war, daß mein alter Freund aus ägyptischen Zeiten, Delano, vor drei Vierteljahren einen Howardschen Pflug hier abgeliefert hatte, der betrübt in einer Scheune stand. Es war dies der erste Dampfpflug in der Gegend, von dem man natürlich Erstaunliches erwartete. Grafen und Fürsten, die ganze hohe Welt Böhmens wurde zu der Eröffnungsfeierlichkeit eingeladen. Die Geschichte dieses Tages muß man den Gutsverwalter von Hostiwitz, wo das Ereignis stattfand, erzählen hören. Die hohen Herrschaften kamen schon morgens in Schwärmen, aber nichts war fertig. Zwei englische Monteure konnten sich mit keinem Menschen verständigen und fuhren mit englischer Ruhe fort, ihre sieben Sachen auszupacken. Der Gutsverwalter zeigte den Grafen seine Milchkühe, seine Dreschmaschinen, seine Rübenschnitzel, seine Brauerei, sein Zugvieh, er gab ihnen ein Gabelfrühstück, er lud sie ein, auf die Jagd zu gehen, kurz, er hatte acht Stunden lang vor vierzig blaublütigen, nicht sehr geduldigen Gästen seine Verzweiflung zu verbergen. Endlich gegen fünf Uhr abends gelang es, die ersten Furchen zu ziehen, worauf die ganze Versammlung auseinanderstob und niemand als der halb ohnmächtige Gutsverwalter auf dem Platze blieb, während sich die Engländer ruhig, als sei nichts geschehen – was auch wirklich der Fall war –, an ihr verspätetes Mittagessen machten.

Totgeschlagen haben mich die Böhmen übrigens nicht. Im Gegenteil. Das böhmische Bier und die böhmische Küche vertragen sich ganz wohl mit einem kosmopolitischen deutschen Magen, und das Tschechentum macht sich in den Zeitungen um ein ziemliches breiter als im wirklichen Leben. Die Gutsverwalter auf den kaiserlichen Gütern haben mich mit der freundlichsten Zuvorkommenheit gefüttert und gepflegt, mehr noch die Gutsverwalterinnen. Man hat in der Tat in Westdeutschland keinen Begriff davon, wie behäbig diese Leute leben.


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