Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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74.

Leeds, den 11. Januar 1874.

Wenn nicht alles täuscht, sehe ich für ein paar Monate einem Stilleben in englischem Nebel entgegen, das mir hochwillkommen ist. Denn es verspricht still zu sein in meinem Sinn: Arbeit genug; Kopf und Hände voll und auch einiges für die Beine zu tun. Zunächst einen neuen Flachpflug für Ungarn, Rumänien und Rußland und ein neues Boot für die englischen Kanäle. Dabei endlich wieder einmal ein geordneter Wechsel von Arbeit und berechtigtem Müßiggang. So gefällt mir's – für den Augenblick.

Doch, was rede ich von Arbeit? Es ist Sonntag heute. Ich genieße mit sybaritischem Behagen das Gefühl einer gewissen geistigen Müdigkeit, wie man sie leiblich nach einem scharfen Marsch empfindet, das gemütliche Kaminfeuer in der Stube, das helle Gaslicht, die Junggeselleneinsamkeit, die manchmal ihre Vorzüge hat. In England wenigstens. Es ist merkwürdig, wie man in dieser Beziehung die Lebensweise auf dem Festland und hier falsch beurteilt. Der Fremde, der zum erstenmal in das schmutziggraue, freudlose Geschäftstreiben einer englischen Stadt hereinsieht, der an die gemütlichen Kneipen, die schmucken Cafés und den sonnigen Himmel drüben über dem Kanal denkt, glaubt sofort zu finden, daß in England das Leben allein durch die Familie erträglich werde. Sogar Taine, dieser feinfühlige Beurteiler auch englischer Verhältnisse, behauptet, daß dem Briten, der etwas mehr als animalische Genüsse beanspruche, keine andre Wahl bleibe als Selbstmord oder Ehestand. Ja, drüben in Paris und Brüssel, in Köln oder Wien lasse sich leben und besser leben, ohne sich mit ehelichen Banden zu quälen. Der kluge Franzose hat diesmal gründlich unrecht; es ist gerade umgekehrt. Hier nehme ich mir ein paar Zimmer und bin Herr im Haus. Es wohnt sonst niemand unter demselben Dach als die Leute, die es sich zu ihrem Hauptgeschäft machen, mich aufmerksam zu bedienen. Die Zimmer sind hübsch ausgestattet und stets aufs peinlichste in Ordnung gehalten. Mein Frühstück, mein Tee, meine Pantoffeln, mein Bier, all das erscheint lautlos und zur bestimmten Zeit auf der Bildfläche, ohne daß ein Wort darüber verloren wird. Und dabei hat das Ganze den Anstrich ruhiger Häuslichkeit, daß man sich nach zwei Wochen so behaglich fühlt, als lebte man seit Jahrzehnten zwischen diesen fremden Wänden.

Dagegen drüben auf dem Festlande! Ich hab's jetzt in Wien wieder verschmeckt. Dort hatte ich drei Zimmer in der Habsburgerstraße und hätte drin leben und sterben können wie ein Hund, ohne daß ein Hahn danach gekräht hätte. Später nahm ich einen prachtvollen Salon auf dem Parkring, mit einer Aussicht über den Stadtpark, entzückend wie eine Dorésche Architekturskizze. Aber ich fühlte mich am ersten wie am letzten Tag so gottverlassen auf meinem glatten Parkettboden, daß mir der Ausflug in die Wallachei wie eine Erlösung vorkam! Und dann das unerträgliche, gezwungene Wirtshausleben. Morgens früh in ein Café, in dem man selbst mit der größten Vorsicht nicht vermeiden kann, ein altes Witzblatt, den stinkenden Kadaver der vergangenen Woche, in die Hand zu bekommen. Mittags, abends dieselbe Gefahr und dazu den beständigen stillen Kampf um einen ruhigen Platz, um ein ordentliches Fenster, um einen vernünftigen Stuhl. Ich bekam in Wien eine solche Sehnsucht nach Häuslichkeit, daß ich manchmal nachts heiße Kastanien auf der Straße kaufte und rasch heimging, um sie zu Haus zu verzehren. Wenn man schnell genug heimkommt, so daß sie noch warm sind, ist das Mittel nicht ohne Wirkung.

So viel von Junggesellenwirtschaften und ihren stillen Freuden. Das eheliche Leben ist in England dafür im Durchschnitt weniger erfreulich, als es den Anschein hat. Man darf nicht vergessen, daß bei allem, was diesen Punkt berührt, die Schale dazu da ist, den Kern zu verstecken. Ausnahmsweise glückliche oder unglückliche Ehen sind auf dem Festlande mit seinem wärmeren Blute vielleicht häufiger als hier. Beim Mittelschlag geht in England das Leben des Mannes neben dem der Frau einher, als ob sie keine Verbindung miteinander hätten. Bei dem einen das alles verzehrende Geschäft nach außen mit dem großen Leitstern Geld: bei dem andern die kleinen eiteln Nichtigkeiten einer Gesellschaft, die ihre reichen Mittel nicht zu benutzen weiß, ein prunkender Leib ohne Seele. Daß diese Elemente nicht verschmelzen können, ist klar genug. Der Stoff auf beiden Seiten ist nicht flüssig zu bekommen.


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