Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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57.

Lundenburg (Mähren), den 1. Oktober 1872.

Der herzbrechende Anblick einer großen Maschinenfabrik, die ein Streik lahm legt, der Kampf um die tägliche Arbeit mit Lehrjungen und fremden, ungeschulten Leuten, der Verlust unsrer besten alten »Hände«, wie man sie hier heißt, die lieber verhungern, als ihre Union verlassen, hat nicht bloß uns die Sommermonate verbittert. Manchmal schien es, die ganze Fabrik müßte darüber zugrunde gehen, aber nichts vermochte den Starrsinn dieser Yorkshireleute und Schotten auf beiden Seiten zu brechen. Erst seit ein paar Wochen sind wir aus dem Schlimmsten heraus: die Arbeiter haben für diesmal verloren, aber auch wir unsre besten Arbeiter. Es war mir eine wahre Erlösung, als es hieß, daß meine Anwesenheit in Österreich unumgänglich notwendig sei, obgleich ich schon in Leeds ahnte, daß ich vom Regen in die Dachtraufe kommen werde.

Auf dem Festlande, namentlich hier um Wien, scheint ja alles rein toll geworden zu sein. Selbst das Beste ist nicht sicher, in die Hände von Gründern zu fallen, und dieses Los scheint auch unsre Dampfpflüge betroffen zu haben. Zwei Herren – Friedländer und Frank –, die das »Gründen« aus dem Effeff zu verstehen scheinen, kauften vor etwa drei Monaten zwei Dampfpflüge, die sie mietweise arbeiten lassen wollten, um dadurch einer halbgebildeten Gesellschaft auf die Beine zu helfen. Sie haben nun ihre Dampfpflüge dermaßen in den Dreck geritten, daß es eine Herkulesarbeit sein wird, den Karren wieder auf festen Boden zu bringen. Herr Friedländer, ein ausgesprochenes Kind Israels, scheint hinter den Kulissen der Oper weit mehr zu Hause zu sein als auf einem ungepflügten Feld und wollte mich – liebenswürdig, wie diese Herren nun einmal sind – sofort bei Frau Wild, zurzeit der ersten Sängerin des k. k. Hofopernhauses, einführen. Ich lehnte dies dankend ab, da ich mich weit mehr nach dem Pfiff seiner Maschinen sehnte.

Diese Sehnsucht ist mir übrigens rasch vergangen. Ich stecke nun bis über die Ohren im Morast des mährischen Alluviums. Tag um Tag vergeht im eiteln Streben, die Fehler eines vollständig falsch angelegten Feldzugs wieder gutzumachen. Dabei stehen wir vor dem Winter, der uns den schwachen Lebensfaden vollends abreißen wird. Und wie man auch mit einem verunglückten Unternehmen zusammenhängt, etwas bleibt immer an dem Unschuldigsten hängen. An einem rußigen Kessel wird der Reinlichste schwarz. Der sogar besonders. Einen der F.F.schen Dampfpflüge fand ich in Hohenau, südlich von Lundenburg, schwere Felder voller Waldwurzeln pflügend, in den Händen eines Wiener Lumpen von Maschinisten, der tagweise davonlief und die Maschinen in gräßlichen Zustand geraten ließ. Ich telegraphierte zunächst um ein paar Leute von England. F.F. sah ein, daß nicht so weitergewirtschaftet werden konnte und war bereit, mit dem Pflug nach Lundenburg überzusiedeln, wo geeignetere Felder zur Verfügung standen. Jetzt aber zeigte sich eine andre Not. Lundenburg ist von Hohenau durch die Teya getrennt, die in unzähligen Armen die marschige Talsohle durchfließt. Die gewöhnliche Fahrstraße führt über acht Brücken, von denen nicht eine für uns stark genug ist. Fünf Tage lang suchte ich in einem Umkreis von fünf Stunden Mittel und Wege, um trockenen Fußes oder wenigstens ungebrochenen Halses über den Fluß zu kommen. Wie man bei einer solchen Gelegenheit von wohlwollenden Eingeborenen an der Nase herumgeführt wird, muß man erlebt haben, um es zu glauben. Ich hatte einen Geldpreis für die Angabe eines brauchbaren Wegs ausgesetzt. Die Frage war dadurch eine öffentliche, brennende geworden. An Wirtstischen schrien sich die Leute heiser, »ob eine Brücke von Holz sei oder von Stein?« »ob ein alter Flußarm Wasser führe oder nicht?« Und gewöhnlich hatte der ortskundige Alte, der auf der betreffenden Brücke oder im umstrittenen Graben geboren zu sein behauptete, unrecht.

Nun führt auch die Kaifer-Ferdinands-Nordbahn von Hohenau nach Lundenburg. Diese Bahn, eine der ersten des Landes, hat jedoch keine Wagen, auf die sie unsre Maschinen laden könnte, und will uns nicht gestatten, mit eignem Dampf über ihre Eisenbahnbrücken zu fahren. Dagegen besitzt die »Staatsbahn« einen Wagen, der hierzu geeignet wäre. Dieser eine Wagen ist, wie man mir schreibt, zurzeit in Troppau. Er dürfte jedoch nach Hohenau kommen und uns aus unsrer Mausfalle erlösen. Auf das Wann? gibt kein gemütlicher Wiener bestimmte Antwort. Und wenn er's tut, so darf man sicher sein, daß es nicht stimmt.

Der zweite F.F.sche Dampfpflug arbeitet in Bisenz, zehn Meilen weiter östlich, und hat natürlich auch eine Geschichte seiner Leiden zu erzählen. Er weiß zum Beispiel, wie es in Torfgründen aussieht, wo er gelegentlich unerwartete Untergrundstudien macht.

Daß für uns viel mehr Schaden als Nutzen dabei herauskommt, wenn man Leute, die nichts von der Sache verstehen und glauben, mit Dampfpflügen könne man Handel treiben wie mit Mausfallen und Scheren, selbständig wirtschaften läßt: das ist durch die ganze Angelegenheit ad oculus demonstriert. Man lernt eben nie aus.


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