Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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144.

Leeds, den 5. September 1880.

Ruhigere Zeiten! – Jeden Morgen kommt Greig in mein Arbeitszimmer und läßt zwei oder drei Aufgaben zurück, von denen jede, mit Ernst angepackt und richtig durchgeführt, eine oder zwei Wochen in Anspruch nehmen würde. Wir fangen jedoch an, uns zu verstehen. Anstatt zu verzwatzeln und an zehn Enden zugleich anzufangen, schreibe ich die verschiedenen Probleme ruhig und wohlnumeriert auf ein Papier, zum Beispiel so: 1. Versuche, um den verhältnismäßigen Wirkungsgrad ein- und zweizylindriger Dampfmaschinen festzustellen. – 2. Umgestaltung von G. Greigs Dampfmähmaschine. – 3. Entwurf eines Dampfgräbers für Hopfengärten. – 4. Feststellung einer Preisliste von Pumpen und Maschinen für Ägypten. – 5. Aufsatz für eine technische Enzyklopädie über Dampfkultur. – 6. Vortrag über die Anwendung des Dampfes auf die Landwirtschaft für das Institution of Mechanical Engineers. – 7. Projekt einer Drahtseilbahn auf den Snowden. –

Und dieses Papier halte ich ihm von Zeit zu Zeit unter die Nase, mit der Bitte, mir zu bezeichnen, was er eigentlich wolle? Worauf er sich leise brummend zurückzieht und nach etlichen Stunden im Vorbeigehen durch die offene Tür meine Liste um ein paar Nummern vermehrt oder mir mitteilt, daß ich in kürzester Frist nach Ägypten aufzubrechen habe, was ich ebenfalls pflichtschuldigst auf mein Papier schreibe.

Die wunderliche Tatsache ist, daß wir, wie sehr häufig in schlechten Zeiten, zu viel zu tun haben. Denn die schlechten Zeiten bestehen darin, daß Bestellungen für die gewöhnlichen Erzeugnisse der Werkstätten nicht in genügender Menge aufzutreiben sind und daß es an derjenigen Arbeit mangelt, die dem Kopf der Fabrik weniger zu tun gibt. Mit dem Suchen nach Neuem wird dann eine Unmasse von Kopfarbeit nutzlos vergeudet; wenn man das nutzlos heißen kann, wozu die Notwendigkeit treibt. Und so kommt's, daß ich schon ein paar Tage nach meiner Ankunft über manches andre, nur nicht über Arbeitsmangel zu klagen habe.

Dabei ist mir leidlich wohl, auch wenn es sich nicht um Himmel und Erde bewegende Aufgaben handelt; denn Lebensbedürfnis ist mir fast ebensosehr die Verwertung der geistigen Arbeit als diese selbst, ihre langweilige und beschwerliche Anwendung auf die Wirklichkeit, der Druck von außen und von oben, der den alten Adam zwingt, sich mit Disteln und Dornen zu befassen. Wo soll ich den gleich herbekommen, wenn ich mich etwa von meinen hiesigen Verhältnissen lossagen wollte, die allerdings nicht immer den Idealen des Lebens entsprechen.


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