Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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121.

Paris, den 28. Oktober 1878.

Der Wandertrieb beginnt sich mächtig in mir zu regen. Kein Wunder, wenn er durch solche Beispiele hervorgerufen wird. Heute früh um vier Uhr weckte mich und das ganze Hotel de Lille, in dem ich derzeit hause, der unermüdliche Mr. Greig, nachdem er zuvor in tiefer Nacht zwei andre Gasthöfe alarmiert hatte. Er kam von Bukarest, wollte mit dem ersten Morgenzug nach London abreisen und nur im Fluge sehen, wie mir's gehe. Es war kaum Zeit genug, ihm morgens drei Uhr ein Mittagessen zu verschaffen und ihn weiterzubefördern. Den Abend zuvor war ich der Bärenführer seines Bruders gewesen, der auf dem Weg nach Spanien ist. Quecksilber ist ein festes Metall, verglichen mit dem Blut dieser Familie.

Ich selbst habe als Vorbereitung für Weiteres in letzter Zeit drei kleine Ausflüge gemacht, die die Einförmigkeit der Ausstellung angenehm unterbrachen. Der erste ging nach Süden, in Begleitung des Herzogs von Sutherland (was manche für eine große Ehre halten, wie den Händedruck, dessen mich neulich der Prinz von Wales gewürdigt hat), auf ein Gut, für das wir eine transportable Eisenbahn zu liefern haben. Der zweite richtete sich nach der Normandie, einer Straßenlokomotive wegen. Dort ist eine Glasfabrik, mitten im tiefen Wald, die schon seit hundert Jahren der gleichen Familie gehört und seinerzeit von Philipp dem Schönen begründet wurde. Es gibt auch in Frankreich noch alte, liebe, nette Leute, bei denen es einem wohl werden kann, solange sie nicht merken, daß man ein Deutscher ist. Nicht mir, sondern ihnen zulieb war ich gezwungen, unter falscher Flagge zu segeln. Aber es ist doch etwas peinlich.

Und dann folgte noch ein allerdings kurzer Abstecher nach dem St. Gotthard, denn mit den Festlichkeiten der Preisverteilung hatte ich zum Glück persönlich nichts zu tun. Am Tag, an dem sie anfingen, war ich auf dem Weg nach Luzern. Mr. Fowler sollte und wollte sich selbst mit dem Einernten unsers Ausstellungsertrags beschäftigen, der auch diesmal wieder aus einem grand prix d'honneur und drei Denkmünzen (Gold, Silber und Bronze) besteht. Alles scheint ziemlich schlecht angeordnet gewesen zu sein und ließ das Gegenteil von Begeisterung zurück. Der gewöhnliche Ausstellungskatzenjammer nimmt an allen Enden und Ecken überhand. Das ist nicht anders zu erwarten.

Die Fahrt nach dem Gotthard, die den Zweck hatte, festzustellen, wieweit sie's dort mit der Anwendung von Preßluft gebracht haben, war eine wahre Erfrischung. Am ersten Tag von Paris nach Luzern; am zweiten von da nach Göschenen; am dritten zurück bis Basel, und am vierten wieder in Paris. Die Schweiz, um den Vierwaldstätter See, ist um diese Jahreszeit, wenn Bäume und Gesträuch rot und gold sind, statt grün, so schön als je, und die kahlen Felsenwände des oberen Reußtals lassen sich ja überhaupt nicht von Wind und Wetter stören. So kam ich seelenvergnügt zurück und war in der besten Stimmung, mit Mr. Fowler zu trauern, der bei der Preisverteilung aus Versehen eine falsche Eintrittskarte bekommen hatte, und statt in feierlichem Zug hinter dem Präsidenten drein zu ziehen, nur in der Herde der einfachen Medaillisten seine eignen Ehrengenossen anstaunen durfte.

Die Vorbereitungen für einen Vorstoß in Algier sind im Gang und geben mir hoffentlich wieder eine fachlich-greifbare Aufgabe. Dabei würde ich wohl in die Lage kommen, auf einige Zeit keine oder doch nur wilde Menschen zu sehen, nach was ich mich von Herzen sehne.


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